Warum Irans Führung am Schleier hängt
21. Dezember 2020Für Schahram Karami, den Staatsanwalt der west-iranischen Stadt Kermanshah war die Sache klar: "Unmoralisch" sei der Werbeclip, in dem eine Iranerin ohne das obligatorische Kopftuch für Damenmode warb. Darum wies er die Sicherheits- und Justizbehörden an, alle Personen ins Visier zu nehmen, die an der Produktion und Verbreitung der Videos beteiligt waren. Inzwischen wurden laut Karami vier Personen verhaftet, wie der US-Sender Radio Farda meldete.
Die Verhaftungen in Kermansha sind das jüngste Beispiel der Entschlossenheit, mit der das Regime in Teheran auf Einspruch gegen die von ihm verfügte weibliche Kleiderordnung reagiert. Die unnachgiebige Haltung ist aus Sicht der Regierung geradezu ein Akt der Staatsräson. Denn seit der Islamischen Revolution von 1979 nehmen die Frauen im symbolischen Universum der Staatsideologie einen zentralen Platz ein.
Chomeinis Frauenbild
Revolutionsführer Chomeini betonte die herausgehobene Rolle der Frauen, zumindest eines ganz bestimmten Frauentyps. "Die Frauen, die zur Revolution beigetragen haben, waren und sind Frauen, die einfache Kleidung tragen" erklärte er im Februar 1979 im Interview mit der italienischen Journalistin Oriana Fallaci. Es handele sich um ganz andere Frauen als jenen eleganten Typ, für den Fallacia selbst stehe, erklärte der Revolutionsführer. "Die koketten Frauen, die sich schminken und auf die Straße gehen und ihre Hälse, ihre Haare, ihre Formen zur Schau stellen, haben nicht gegen den Schah gekämpft. Sie haben nie etwas Gutes getan. Sie wissen nicht, wie man nützlich sein kann, weder gesellschaftlich, noch politisch, noch beruflich. Und das ist so, weil sie, indem sie sich entblößen, die Menschen ablenken und verärgern."
Tatsächlich zeigte sich sehr schnell, welches Frauenbild die Revolutionäre an der Staatsspitze politisch umsetzen wollen. Das Familienrecht etwa, das der von den Revolutionären gestürzte Schah 1967 in die Zuständigkeit der weltlichen Gerichte überführt hatte, sollte nun wieder in die Verantwortung von Klerikern fallen.
Frauenrechte und Islamische Revolution
"Dagegen setzten viele Frauen sich zur Wehr", sagt Politikwissenschaftlerin Negar Mottahedeh im DW-Interview. In ihrem neuen Buch "Whisper Tapes" greift sie auf die Erfahrungen der amerikanischen Journalistin und Feministin Kate Millet bei ihrer Reise in den Iran kurz nach dem Umsturz des Jahres 1979 zurück. "Juristinnen, Studentinnen, Arbeiterinnen, sie alle trafen sich, um über ihre Rechte zu diskutieren. Wir haben keine Revolution gemacht, um rückwärts zu gehen'", zitiert Mottahedeh in ihrem Buch eine der zentralen Parolen der Frauenbewegung in den ersten Wochen der Revolution.
Für Chomeini und seine Anhänger waren aber Frauenrechte nebensächlich. Das von ihnen propagierte Frauenbild war als Gegenentwurf zum freizügigen westlichen Lebensstil gedacht. Man wollte sich nicht nur politisch und wirtschaftlich von der langjährigen Dominanz der USA befreien. An Stelle der westlichen sollte eine in der Region verankerte Kultur treten, eben die islamische.
Eines der ausdrucksstärksten Zeichen für diesen Neuanfang war das Kopftuch. Fortan fungierte es als Gegenmodell zur westlichen Lebensweise. "Die Islamische Revolution entwickelte sich auch zu einer sexuelle Gegenrevolution, einen Kampf um die Sexualität der Frau", schreibt die US-Politologin Hamidegh Sedghi in ihrem 2007 erschienenen Buch "Women and Politics in Iran. Veiling, Unveiling and Reveiling". Diese Sexualität war fortan stark politisch, das heißt: anti-westlich konnotiert. "Trag ein Kopftuch, oder wir schlagen dir auf den Kopf", lautete eine Parole im Revolutionsjahr 1979. "Tod den Unverschleierten" eine andere.
Körperpolitik in Bewegung
Bereits im Frühjahr 1979 forderte Chomeini die Frauen auf, ein Kopftuch zu tragen. 1983 erließ das Parlament ein Gesetz, demzufolge Frauen, die in der Öffentlichkeit kein Kopftuch tragen, mit 74 Schlägen zu bestrafen seien. Seit 1995 werden entsprechende Verstöße auch durch Haftstrafen von bis zu 60 Tagen geahndet.
Der Zwang zur Verschleierung entsprang also in erster Linie dem Versuch, ein antiwestliches Lebens- und Gesellschaftsmodell zu begründen. Entsprechend galten iranische Frauen, die sich kein Kopftuch anziehen wollten, als "westliche Huren", schreibt Hamidegh Sedghi. Die Tradition der Verschleierung wurde genutzt, um das Bild der "echten" iranischen Frau in breiten Teilen der Gesellschaft zu verankern. "Die entsprechend der vom Regime gesetzten Normen gekleidete Frau wurde zur Hüterin von Religion, Staat und Gesellschaft", sagt Negar Mottahedeh.
Allerdings wollen viele Frauen und auch Männer die ideologischen Vorgaben der religiösen Führung nicht mehr hinnehmen. "Die Frauen drücken ihren Protest aus, indem sie sich nicht mehr den Kleidungsvorschriften fügen", so Mottahedeh. "Sie geben zu verstehen, dass sie die Kontrolle über ihren Körper zurückgewinnen wollen. Wie sie ihr Haar tragen, ob sie ihre Fingernägel lackieren oder nicht, geht sie allein etwas an." Die Frauen ließen sich immer neue körperbasierte Aktionen einfallen, auf die das Regime dann reagiere. "Darauf reagieren dann wiederum die Frauen. Es handelt sich um eine Körperpolitik, die ständig in Bewegung ist."