Warum in Deutschland zu wenig Wohnungen gebaut werden
18. Dezember 2023Wohnraum, vor allem bezahlbarer, bleibt knapp. Schließlich wird das von der Bundesregierung angestrebte Ziel, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen fertigzustellen, wieder um Längen verfehlt. "Angesichts der rückläufigen Genehmigungen und der Probleme im Wohnungsbau steuern wir eher Richtung 200.000 Wohnungen," beurteilt Michael Voigtländer vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln die Entwicklung. Schon in den letzten Jahren, so der Experte für Finanz- und Immobilienmärkte, wurden insbesondere in den Großstädten und Ballungsräumen nur etwa 75 Prozent der benötigten Wohnungen errichtet.
Angesichts von Inflation und gestiegenen Zinsen hält sich auch Deutschlands größtes Wohnungsunternehmen Vonovia mit Bauprojekten zurück. In den ersten drei Quartalen 2023 hat Vonovia noch 1799 Wohneinheiten fertiggestellt. Nach den Worten von Unternehmenssprecher Marc Friedrich arbeite das "Development-Team" zwar weiterhin an neuen Bauprojekten, "diese werden allerdings, solange die schwierigen Marktumstände bestehen, nur bis zum Baurecht entwickelt." Die Rede war zuletzt von bis zu 60.000 fertig geplanten Wohnungen. Vonovia ist ein börsennotiertes Unternehmen mit Sitz in Bochum. Größte Aktionäre sind der norwegische Staatsfonds mit knapp 15 Prozent und die US-Investmentgesellschaft Blackrock (7,4 Prozent).
"Wohnungsbauunternehmen sind nicht die, die besonders viel bauen"
Wenn sich die Marktsituation deutlich verbessern sollte, so Vonovia-Sprecher Friedrich, sei man somit in der Lage, "dass wir die Projekte schnell wieder aktivieren können". Das dürfte angesichts der derzeit hohen Baukosten allerdings dauern. Unabhängig davon stellt Immobilienexperte Voigtländer vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln klar, "sind die großen Wohnungsunternehmen nicht unbedingt die Unternehmen, die besonders viel bauen".
Bauen muss sich auch für einen Wohnungskonzern wie Vonovia erst einmal rechnen. Und danach sieht es einstweilen nicht aus. Vor wenigen Jahren kostete ein Quadratmeter im Bau rund 3000 Euro, macht Unternehmenssprecher Friedrich die Rechnung auf. "Heute sind es etwa 5000 Euro, inklusive des Grundstücks. Um kostendeckend zu bauen, müssten Mieter 20 Euro pro Quadratmeter zahlen." Das aber könne kaum jemand zahlen heißt es aus der Unternehmenszentrale in Bochum. "Und das ist auch nicht unser Ziel." Nur zur Verdeutlichung: Derzeit beträgt die durchschnittliche Miete bei Vonovia 7,60 Euro pro Quadratmeter.
Zwei Prozent Leerstand gelten als vollvermietet
Und Wohnungen zu diesem Preis sind überaus gefragt. Zum Bestand von Vonovia gehören rund 490.000 Wohnungen. Die Leerstandsquote beträgt etwa zwei Prozent, wobei eine solche Quote in der Branche als "vollvermietet" bezeichnet wird. Bedacht werden müsse zudem, dass in diesen zwei Prozent auch solche Wohnungen enthalten sind, die renoviert werden. Wohnungen, die nicht lange leer stehen, konstatiert Marc Friedrich. "Auf jede Wohnung, die wir ins Angebot nehmen, bekommen wir binnen kürzester Zeit Hunderte Anfragen. In Berlin beispielsweise ist die Nachfrage besonders groß."
Unabhängig von den hohen Baukosten muss Vonovia nach ausgedehnten Einkaufstouren auf dem Immobilienmarkt, die weitgehend mit Krediten finanziert wurden, Schulden in beträchtlicher Höhe abtragen. Schon im laufenden Geschäftsjahr verkaufte man darum Immobilien und Anteile für rund 3,7 Milliarden Euro. Auch im kommenden Jahr will man weitere Immobilien im Wert von ca. drei Milliarden Euro veräußern, erklärte Vonovia-Chef Rolf Buch gegenüber dem Wirtschaftsportal Bloomberg. Dabei sollen Pflegeheime und Gewerbeeinrichtungen ganz oben auf der Verkaufsliste stehen. Wohnungen dagegen will man weitestgehend behalten, denn mit der Vermietung von Wohnungen verdient Vonovia schließlich Geld. So belief sich der Umsatz im Jahr 2022 auf 5,4 Milliarden Euro. Unter dem Strich stand ein Gewinn von 1,8 Milliarden Euro.
Krise im Neubau wird noch schlimmer
"Vonovia", betont Unternehmenssprecher Friedrich in diesem Kontext, "versteht sich selbst als langfristiger Bestandhalter." Bezahlbare Wohnungen, resümiert IW-Experte Voigtländer, "sind grundsätzlich eher im Bestand zu finden." Das ändere aber nichts an dem gewachsenen Bedarf. "Es fehlen besonders viele kleine Wohnungen, da in den Städten, wo der Bedarf besonders groß ist, viele kleine Haushalte leben." Um aber zu verhindern, dass noch mehr Familien die Städte verlassen, braucht es aus Sicht des Immobilienexperten auch mehr größere Wohnungen. Das bedeutet Investitionen in Bauprojekte, die sich aber selbst für große Unternehmen nicht rechnen. Und da kaum noch gebaut wird, geht Vonovia-Chef Buch davon aus, dass die Nachfrage nach Wohnraum stetig steigt mit der markttypischen Konsequenz, dass auch die Mieten steigen werden. Mindestens bis 2025, so Buch gegenüber Bloomberg, werde die Krise im Neubau schlimmer werden.
Auch Michael Voigtländer rechnet vor diesem Hintergrund mit einer Steigerung der Mieten. "Insofern halte ich die Unterstützung des Wohnungsbaus in der aktuellen Lage für richtig." Eine Sonderabschreibung von sechs Prozent geht nach seiner Einschätzung in die richtige Richtung, auch wenn sie sich nur an Kapitalanleger richte. Generell plädiert Voigtländer dafür, den Neubau kurzfristig von der Grunderwerbssteuer auszunehmen. "Insgesamt haben wir einfach zu viele Anforderungen an den Neubau. Natürlich helfen auch niedrigere Steuern, doch das ist angesichts der Haushaltskrise nicht realistisch."
Kein spezielles Vonovia-Problem
Als auch künftig nicht realistisch betrachtet man bei Vonovia das politische Vorgabe, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen. Unternehmenssprecher Friedrich verweist auf "rund 100 Milliarden Euro, die investiert werden müssten". Dazu kämen noch Kosten in ähnlicher Höhe für die energetische Sanierung von Gebäuden. Etwa 37 Prozent der Kosten entfallen auf staatliche Anteile wie Grunderwerbssteuer, Umsatzsteuer, Gebühren, also kostentreibende Faktoren, die noch zusätzlich zu Inflation und Bauzinsen hinzukämen.
Unter solchen Voraussetzungen seien auch für ein großes Wohnungsunternehmen Neubauten derzeit nicht kostendeckend möglich. Denn das, so Marc Friedrich, finanziere keine Bank, "da die Miete kaum die Zinsen deckt. Das ist kein Vonovia-Problem, das betrifft die ganze Branche." Unter solchen Voraussetzungen landen Bauprojekte bei großen, Gewinn orientierten Wohnungsunternehmen vorerst in der Schublade, während Wohnungssuchende auf einem knappen Markt mit weiter steigenden Mieten rechnen müssen.