Hadern mit dem Kohleausstieg
22. November 2017Wissenschaftler der Lappeenranta University of Technology (LUT) in Finnland stellten auf der UN-Klimakonferenz in Bonn erstmalig eine Studie vor in der sie zeigten wie günstig und Vorteilhaft der Umstieg auf eine Stromerzeugung mit Erneuerbaren Energien in allen Regionen der Welt und einzelnen Staaten ist.
Das zentrale Ergebnis: Eine komplette "Dekarbonisierung" des Elektrizitätssektors - damit ist eine Umstellung auf Energiequellen gemeint, die kein CO2 emittieren - ist bis zum Jahr 2050 umsetzbar. Und der Strom wäre dabei kostengünstiger als heute.
"Die Energiewende ist nicht länger eine Frage von technologischer Umsetzbarkeit oder wirtschaftlicher Rentabilität, sondern eine Frage des politischen Willens", sagte Hauptautor Christian Breyer von der LUT.
Ermöglicht wird der klimafreundliche Umbau der Energieversorgung vor allem durch die stark fallenden Preise bei Windenergie, Solarkraft und Batterien. Zudem hat der Umbau einen sehr positiven Effekt auf den Arbeitsmarkt: Weltweit könnten durch den Umstieg auf Erneuerbare Energien bis 2050 fast doppelt so viele Menschen im Stromsektor arbeiten, wie heute.
Umweltkosten von Kohleverstromung bisher weit unterschätzt
Was kostet eigentlich Kohlestrom wenn auch Gesundheits- und Materialschäden in die Gesamtbetrachtung einbezogen werden? Das Bundesumweltbundesamt (UBA) berechnete diese Kosten jetzt neu und veröffentlichte diese in einem Positionspapier zum Kohleausstieg in Deutschland.
Laut UBA kostete die deutsche Kohleverstromung durch Treibhausgasemissionen und Luftschadstoffe im Jahr 2016 rund 46 Milliarden Euro. Pro erzeugte Kilowattstunde (kWh) Braunkohlestrom zahlt die Gesellschaft nach Berechnungen des UBA noch 19,2 Cent zusätzlich durch Kosten für Umwelt- und Gesundheitsschäden. Bei der Steinkohle liegen diese Zusatzkosten pro kWh bei 16,1 Cent.
Demgegenüber sind die zusätzlichen Umweltkosten pro KWh bei der Stromerzeugung aus Erdgas (8,8 Cent), Photovoltaik (1,8 Cent) und Windenergie (0,4 Cent) deutlich geringer.
Kohleausstieg wirtschaftlich sinnvoll
Nach Ansicht von Energieexperten ist ein zügiger Kohleausstieg auch aus ökonomischer Gesamtsicht empfehlenswert. "Schon immer war klar, wenn diese externen Kosten berücksichtigt werden, dass Erneuerbaren Energien große Kostenvorteile haben. Die neuen Ergebnisse des UBA machen das noch mal deutlich", sagt Energy Watch Group Präsident Hans-Josef Fell.
"Ein Umstieg von Atom und Kohle zu mehr erneuerbaren Energien ist kostengünstig, wohlfahrtssteigernd und schafft wirtschaftliche Chancen", stimmt Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zu. Die Studien zeigten, dass Emissions- und Umweltkosten durch den Kohleausstieg in Deutschland vermieden würden. Die gesetzten Klimaziele könnten noch erreicht werden. "Der Umstieg ist so schnell wie möglich einzuleiten. Je früher wir beginnen, desto weniger Umweltkosten entstehen, desto größer ist die Wohlfahrtssteigerung."
Unmittelbar nach der Bundestagswahl hatte die Energieökonomin, die im Sachverständigenrat für Umweltfragen die Bundesregierung berät, mit anderen führenden Wissenschaftlern die unverzügliche Einleitung des Kohleausstiegs in Deutschland empfohlen.
Warum hadert die Politik?
Was sind aber dann die Gründe an dem alten System mit Kohlestrom noch festzuhalten? Wir fragten Experten und alle Parteien im deutschen Bundestag.
"Eine Abkehr von vergangenen Strukturen ist grundsätzlich konfliktbehaftet und bedarf umfassender gesellschaftlicher und politischer Handlungsstrukturen. Der Umstieg hin zu erneuerbaren Energien ändert das Energiesystem grundlegend, dies löst Ängste aus und Unsicherheiten", sagt Kemfert der DW. "Zudem sind die Lobbyisten der Vergangenheit immer stärker als die Lobbyisten der Zukunft."
"Ich sehe hier eine Gedankenblockade, sich mit der Modernisierung der Industrie auseinanderzusetzten", sagt Fell. "Bei den Entscheidungsträgern gibt es kein Wissensdefizit. Wir erleben derzeit weltweit diese Modernisierung, die Transformation zu einer Welt ohne fossile Energien." Ein Beispiel für das Festhalten am Alten sei die Haltung des FDP-Franktionsvorstizenden Christian Lindner in den Koalitionsverhandlungen gewesen, meint Fell.
Angst vor Unterversorgung
Dabei bekennt sich die FDP grundsätzlich zu den Klimazielen, sagt der Energieexperte der liberalen Partei Hermann Otto Solms: "Die Freien Demokraten sind für so viel Verzicht auf Kohleverstromung wie möglich." Die FDP-Politiker befürchten jedoch, dass nicht genügend andere Strommengen in Deutschland erzeugt werden können, um einen Kohleausstieg zeitnah umzusetzen. Solms möchte dafür mehr Marktmechanismen in die Klimapolitik einführen: Zur Erreichung der Klimaziele fordert er die Stärkung des europäischen Emissionshandels und auch die Einbeziehung von Wohnen und Verkehr in das CO2-Handelsystem.
Die Grünen sehen sich durch die neuen Studien in ihrer Haltung bestätigt. Sie fordern bis 2030 den kompletten Umstieg auf erneuerbaren Strom und halten die Abschaltung von 20 der 77 Kohlekraftwerke in Deutschland bis 2020 für nötig. "Wenn wir das Pariser Klimaabkommen ernst nehmen, dann muss es aktuell darum gehen, die ganz alten Kohlekraftwerke stillzulegen und Überkapazitäten abzubauen," sagt Fraktionsvize Oliver Krischer. "Sonst ist das von den letzten drei Merkel-Regierungen beschlossene Klimaziel für das Jahr 2020 nicht mehr zu erreichen."
Sorge um Arbeitsplätze und Strukturwandel
Die Linke Fraktion teilt diese Einschätzung weitgehend. "Bis spätestens 2035 muss der letzte Kohlemeiler vom Netz", sagt der Klimapolitiker Lorenz Gösta Beutin im Bundestag. Allerdings gelinge der Kohleausstieg nur, wenn dieser auch sozial abgesichert würde.
Im deutschen Braunkohlebergbau arbeiten nach Einschätzung des Bundesverbandes Braunkohle etwa 20.000 Menschen. Diese sind traditionell gewerkschaftlich sehr gut organisiert. Daran kommen auch die Parteien nicht vorbei - insbesondere die Linke und die SPD. "Wir fordern einen Strukturwandelfonds in Höhe von 250 Millionen Euro jährlich für die betroffenen Regionen," sagt etwa Lorenz Gösta Beutin von der Linken.
SPD-Politiker halten Ausstiegshilfen vom Bund für die betroffenen Kohleregionen ebenfalls für erforderlich. "Den Strukturwandel können die betroffenen Bundesländer nicht alleine bewältigen", sagt Staatssekretär Ulrich Kelber (SPD) aus NRW. "Die betroffenen Menschen müssen eine verlässliche Perspektive bekommen."
Der SPD-Europaabgeordnete Arne Lietz aus Sachsen-Anhalt stimmt zu: "Statisch gesehen schafft die Energiewende in der Summe mehr Jobs. Dieses Thema muss man allerdings offensiv angehen, die Chancen nutzen und zusammen mit den Gewerkschaften gestalten. Man darf sich hier nicht von Ängsten leiten lassen", so Lietz. "Leider gibt es aber auch den politischen Protektionismus, die Angst vor Veränderungen, vor Arbeitsplatzabbau und das wird populistisch genutzt".
Die Deutschen Welle hatte auch die CDU/CSU- und AFD-Fraktion zum Kohleausstieg gefragt. Beantwortet wurden die Fragen jedoch nicht.