Warum glauben Menschen Falschnachrichten?
15. Februar 2021Jacqueline F. fiel 2019 auf eine Falschnachricht auf Instagram herein. Polizisten hätten in Chile Demonstranten in Metrostationen misshandelt und erhängt, hieß es auf dem Screenshot eines Zeitungsartikels, der auf Instagram geteilt wurde. Damals hatten Chilenen gegen eine Erhöhung der Metroticket-Preiseprotestiert. "Ich war total geschockt und dachte: 'Was machen die Polizisten da?'", erzählt Jacqueline F. rückblickend.
Sie ist versehentlich auf eine Falschnachricht reingefallen — andere wiederum wollen Falschinformationen und Verschwörungstheorien glauben. "Es kommt auf meine Voreinstellung an", erklärt der Konfliktforscher Andreas Zick, "ich glaube Verschwörungsmythen, wenn ich schon im Vorfeld bestimmte Einstellungen oder Feindbilder habe." Feindbilder können beispielsweise die Polizei sein, eine Regierung oder auch Aktivisten im Kampf gegen den Klimawandel.
Im Netz gebe es dann unzählige Online-Angebote, die die eigene Meinung bestätigten, sagt Zick. "Ich konsumiere dann nur noch Kanäle, die genau meiner Meinung entsprechen. Das ist dann mehr als eine Blase, es ist schon so eine Art Paralleluniversum, das alle möglichen Bedürfnisse befriedigt."
Dabei spiele Angst eine große Rolle, sagt der Psychologie-Dozent Andreas Kappes von der City University London. "Es könnte zum Beispiel sein, dass jemand Angst vor Nadeln hat und deswegen nicht geimpft werden will", erklärt er. Die Person suche sich dann Informationen, die bekräftigten, dass Impfungen gefährlich seien und man sich nicht impfen lassen sollte.
"Es ist also nicht wichtig, sich zu fragen, 'Warum glauben Menschen nicht an Wissenschaft', sondern 'Warum wollen sie nicht an Wissenschaft glauben?'" Laut Kappes ist es also nicht so, dass auf der einen Seite die gebildeten Menschen stehen und auf der anderen die ungebildeten.
Kaum Unterschiede zwischen seriösen und unseriösen Quellen
Die Kompetenz, gute und schlechte Quellen voneinander zu unterscheiden, spiele jedoch eine wichtige Rolle, erklärt die Neurowissenschaftlerin Franca Parianen. "Verschwörungsideologen tendieren dazu, bei ihren Quellen sehr schwach zu unterscheiden, wann es sich um Expertenquellen handelt und wann um irgendein YouTube-Video", erklärt sie. Das werde schon Kindern in der Schule einfach zu wenig beigebracht.
Zudem seien Menschen oft anfällig für Falschnachrichten, die einen großen Kontrollverlust in ihrem Leben erfahren hätten, sagt Parianen. Falschnachrichten gäben Menschen diese Kontrolle zurück. "Die Welt wird plötzlich sehr verständlich", erklärt die Neurowissenschaftlerin. "Und wenn die Verschwörungsgläubigen sich unsicher fühlen, dann versuchen sie erst recht, andere Leute zu überzeugen. Denn wenn jemand anderes das Gleiche glaubt, dann fühle ich mich ja wieder bestätigt."
Während der Pandemie sei auch Langeweile ein Faktor. "Langeweile trägt dazu bei, dass sich die Leute in die Verschwörungstheorie verstricken", erklärt Parianen. Auf einmal habe man viel Zeit, sich etliche Seiten und Gruppen anzuschauen. Und man habe eine Community und sei nicht mehr ganz allein zuhause. Dadurch identifiziere man sich mit einer Gruppe.
Algorithmus als Katalysator für Fake News
"Fake News" seien aber nicht nur ein Produkt der Psychologie der Nutzer, sagt Jens Koed Madsen, Senior Research Assistent an der Universität von Oxford — sondern auch der Sozialen Netzwerke. Die Kombination aus der eigenen Meinung und dem Algorithmus sei gefährlich. Eine US-amerikanische Studie besagt etwa: Falschnachrichten verbreiten sich auf Twitter viel schneller als echte Nachrichten. "Falschnachrichten beinhalten häufig eine emotionale Sprache, häufig auch eine sehr reißerische Sprache", begründet Madsen. Manchmal seien die Desinformationen so absurd und "witzig", dass sie sogar Menschen teilten, die sie gar nicht glaubten.
Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, könnten aber durchaus noch mit rationalen Argumenten überzeugt werden, erklärt Andreas Kappes. Man müsse diese Menschen nur auf die richtige Art und Weise ansprechen. "Wenn du ihnen widersprichst, werden sie dir nicht zuhören", sagt der Psychologe. Man müsse eine gemeinsame Grundlage finden, eine Sache, in der man sich einig sei – dann diskutieren und Fakten heranziehen. Denn: Menschen, die an Falschnachrichten glauben, müssen etwas finden, was ihnen wieder Halt gibt.
"Es hilft, sich im Leben Bereiche zu suchen, die man kontrollieren kann, sich in demokratischen Organisationen zu engagieren", erklärt auch Parianen, "Sichere Bindungen im Umfeld helfen auch immer." Und: Quellenkompetenz. Zu wissen, welche Quellen seriös sind und welche nicht.
Das hilft vor allem Menschen wie Jacqueline F., die versehentlich auf Falschnachrichten hereinfallen. Als Jacqueline F. gemerkt habe, dass die Nachricht über Polizisten, die Menschen in Chile misshandelt und erhängt hätten, falsch war, habe sie sich ein bisschen geschämt. Deswegen recherchiere sie seitdem sorgfältiger: "Wenn ich nicht weiß, ob etwas richtig oder falsch ist, dann versuche ich mehr Informationen darüber zu finden. Ich versuche, mich auf verlässliche Quellen zu stützen und nicht auf unseriöse Webseiten."