Warum "Die unendliche Geschichte" Kult ist
31. August 2019Michael Ende hat eine Welt erschaffen, in der Realität und Fantasie verschmelzen. Im realen Leben ist der Bücherwurm Bastian Balthasar Bux zuhause. Er ist übergewichtig und wird von den anderen Kindern gemobbt. Auf der Flucht vor seinen Klassenkameraden versteckt er sich in einem Buchladen und klaut dort einen seltsam aussehenden Roman mit dem verheißungsvollen Titel "Die unendliche Geschichte". Als er sich in die Lektüre vertieft, merkt er, dass er auch selbst in der Geschichte auftaucht.
Fantasiewelten: Das Buch im Buch
Das Buch, das Bastian liest, handelt von dem Land Phantásien, das von der sogenannten "kindlichen Kaiserin" regiert wird. Eine böse Macht, das Nichts, bedroht ihr Universum. Die Kaiserin ruft daraufhin den jungen Krieger Atréju zu sich, der sie und Phantásien retten soll.
Während seines Abenteuers trifft Atréju Kreaturen aus anderen Welten wie den Felsenbeißer, den bösen Werwolf Gmork und den Glücksdrachen Fuchur, der Atréjus und später auch Bastians Wegbegleiter wird.
Um Phantásien zu retten, muss ein Menschenkind der kindlichen Kaiserin einen neuen Namen geben. Und so wird Bastian selbst in die fantastische Welt gerufen.
Michael Ende verwendete verschiedene Farben, um die beiden Erzählebenen zu unterscheiden: Er wechselte zwischen roter Schrift (Realität) und grüner Schrift (Phantásien). Auch die Illustrationen im Buch sind in Rot und Grün gehalten und verknüpfen die Welten so miteinander. Und manchmal verschmelzen die Erzählebenen: Dann hört Atréju Bastian schreien oder sieht Bastians Gestalt im Spiegel.
"Die unendliche Geschichte" erschien am 1. September 1979 vor genau 40 Jahren und wurde schnell zum Besteller in ganz Europa. Michael Ende hatte mit seinem Roman den Nerv der Zeit getroffen, denn seine utopischen und umweltfreundlichen Botschaften kamen bei den westdeutschen Atomgegnern und Friedensaktivisten gut an. Das Buch wurde daher als mehr als nur ein Kinderbuch angesehen, und es gab verschiedene analytische Interpretationen der Handlung.
Bis zu seinem Tod 1995 hat sich Michael Ende jedoch nie zur Bedeutung der Geschichte geäußert. Der berühmte Kinderbuchautor, der auch Bücher wie "Momo" oder "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" schrieb, sagte nur, dass "jede gute Interpretation der Handlung richtig" sei.
Die Erstauflage hatte gerade mal 20.000 Exemplare umfasst, doch "Die Unendliche Geschichte" blieb jahrelang an der Spitze der Bestsellerlisten. Das preisgekrönte Buch wurde in über 40 Sprachen übersetzt und weltweit Millionen Male verkauft. Die englische Übersetzung von Ralph Manheim wurde 1983 in den Vereinigten Staaten veröffentlicht, der Film dazu kam ein Jahr später in die Kinos.
Der Kultfilm
Der deutsche Regisseur Wolfgang Petersen, der sich 1981 mit seinem Kriegsfilm "Das Boot" einen Namen gemacht hatte, suchte neues Material für sein nächstes Projekt. "Als ich auf 'Die unendliche Geschichte' stieß, hatte ich das Gefühl: Oh mein Gott, nach drei Jahren Arbeit an 'Das Boot' wäre es wunderbar, komplett in eine andere Welt einzutauchen und etwas zu tun, das sich mehr mit den Träumen und Wünschen von Kindern beschäftigt", erzählte er den Machern der Webseite "Nerdist".
Zu Beginn schrieb Michael Ende das Drehbuch zusammen mit Petersen. Da die beiden allerdings unterschiedliche Vorstellungen hatten, distanzierte sich Ende deutlich von der Version des Regisseurs. Das Skript unterschied sich maßgeblich von seinem Buch, Ende war unzufrieden mit den einschneidenden Änderungen an seiner Geschichte. Der Film sei ein "gigantisches Melodram aus Kitsch, Kommerz, Plüsch und Plastik" beschwerte er sich. Michael Ende war derart unglücklich mit der Umsetzung, dass er das Filmstudio sogar verklagte - allerdings erfolglos.
Die deutsche Produktion war Petersens erster Film mit englischem Originalton. Später führte er noch Regie bei Hollywood-Blockbustern wie "Troja" (2004) und "Poseidon" (2006). Als "Die unendliche Geschichte" 1984 in die Kinos kam, war es der bis dahin teuerste Film, der je in Deutschland produziert wurde - die sensationellen Einspielergebnisse machten die kostspielige Investition aber locker wett.
Bis auf ein paar Szenen in Kanada (unter anderem in Vancouver) und Spanien wurde der Film in den Bavaria Filmstudios bei München gedreht. Bis heute kann man die "Bavaria Filmstadt" besuchen und Fans können dort sogar auf dem Glücksdrachen Fuchur reiten.
Aufgrund des großen Erfolgs des ersten Films wurden noch zwei Fortsetzungen gedreht. Die Handlung von "Die unendliche Geschichte II - Auf der Suche nach Phantásien" fängt unmittelbar nach dem ersten Film an und orientiert sich grob an der zweiten Hälfte des Buches. Der dritte Teil "Die unendliche Geschichte 3 - Rettung aus Phantásien" hat nichts mit dem Buchinhalt zu tun und verfolgt einen komplett eigenen Plot.
Ein ikonischer Song
Der berühmte Titelsong für Petersens Film wurde vom Italiener Giorgio Moroder geschrieben, dem "Gottvater der Disco-Musik", der mit seinen Hits Millionen Menschen zum Tanzen brachte. Die Lyrics stammen von Keith Forsey, gesungen wurde der Song von dem Briten Christopher "Limahl" Hamill und der US-Amerikanerin Beth Anderson.
Mit seinen traumähnlichen Synthesizern passte das Lied perfekt zur fantastischen Filmwelt. Für viele Fans war die Single lange Zeit die einzige Möglichkeit, sich den Film ins Gedächtnis zu rufen – bis er endlich auf Videokassette heraus kam. Der Song wurde unzählige Male gecovert. Die jüngste Version in der Netflix-Serie "Stranger Things" verhalf ihm wieder zu neuer Popularität.
"Rhino Records", die Plattenfirma des Original-Songs, lud das Video im Juli nach dem Saisonfinale der Serie erneut auf "YouTube" hoch. Mittlerweile ist es über 2,5 Millionen Mal geklickt worden. Die zuvor verfügbare Version des Songs wurde über 44,5 Millionen Mal angehört.
Passend zum Titel des Films hat der Original-Song kein hartes Intro oder Ende, sondern wird langsam ein- und ausgeblendet, als sei das Lied "unendlich". So wie Michael Endes magische Geschichte, die weiterhin in den Gedanken aller weiterlebt, die das Buch gelesen, den Film angeschaut oder die Musik angehört haben.