Flüchtlinge meiden Bulgarien
10. September 2015"Wir wurden von einer fünfköpfigen Gruppe Bulgaren angegriffen. Ich konnte entkommen, mein Freund aber nicht. Die Bulgaren warfen ihn zu Boden. Vier von den Angreifern stellten sich auf seine Beine und Arme, während der Fünfte auf seinen Körper wie auf ein Trampolin sprang. Die Angreifer ließen erst von ihm ab, als ein Fahrzeug herannahte und das Licht der Scheinwerfer sie verschreckte. Mein Freund wurde schwer misshandelt und erlitt unzählige Brüche am Körper. Einen anderen irakischen Flüchtling warfen sie von einer zweieinhalb Meter hohen Brücke, nachdem sie auf ihn eingestochen hatten. Jetzt kann er seine Beine nicht mehr richtig bewegen und lahmt."Das berichtet ein irakischer Flüchtling, zitiert von Pro Asyl.
Flüchtlinge sind unerwünscht
Über zehntausend Menschen aus arabischen Ländern kamen nach Bulgarien mit der ersten Flüchtlingswelle der Jahre 2013-2014. Sie berichteten mehrheitlich über eine schlechte Behandlung seitens der bulgarischen Behörden und der Bevölkerung insgesamt. In Bulgarien spekulierte man zwar, dass sie mit Absicht übertrieben haben, um schneller weiter gen Westen reisen zu dürfen, Tatsache ist aber, dass die Bulgaren mehrheitlich die Flüchtlinge ablehnen. In den Diskussionsforen im Internet kann man täglich Hasskommentare lesen. Außerdem gab es Angriffe auf die Flüchtlinge sowie Demonstrationen und politische Aktionen gegen sie. Die Botschaft ist immer die gleiche: Bulgarien ist arm und christlich, wir wollen euch nicht!
Offiziell aber wurde die Öffentlichkeit zu diesem Thema nie befragt, stellt der Soziologe Schivko Georgiev fest. "Die Politik will es einfach nicht wissen", sagt er. Auch der Soziologe Andrey Raytchev ist der Meinung, dass die Flüchtlinge seit Anfang des Jahres gerade deswegen Bulgarien auf ihrem Weg gen Westen meiden, weil die Bevölkerung sie äußerst aggressiv behandelt: "Die Bulgaren empfinden diese Ankömmlinge als eine Art von 'Zigeunern'", sagt Raytchev – ein in Bulgarien sehr negativ besetzter Begriff. "Die einzige Erfahrung des Durchschnittsbulgaren mit 'Fremden' bezieht sich auf die Roma im Lande. Dass die Flüchtlinge jetzt über Mazedonien nach Europa pilgern ist das Ergebnis dieser Ablehnung", so der bulgarische Soziologe.
Keine Erfahrung mit den Ausländern
Tatsächlich ist die Einstellung der Mehrheit der Bulgaren gegenüber der Roma-Minderheit im Lande sehr negativ und sie wird ungefiltert auf die Flüchtlinge übertragen. Außerdem hatten die Bulgaren, anders als die Bürger in den ehemaligen jugoslawischen Republiken Mazedonien und Serbien, während der langen Jahrzehnten hinter dem Eisernen Vorhang, kaum Kontakte zu fremden Kulturen und Menschen.
Dass die meisten Flüchtlinge Moslems sind, reizt die Bulgaren zusätzlich. Denn ihre nationale Identität schöpfen sie vor allem aus der vereinfachten Erzählung vom sogenannten "500-jährigen türkischen Joch" als das heutige Bulgarien ein Teil des Osmanischen Reiches war. Das zeigen auch Dutzende von Postings, die im Rahmen einer DW-Umfrage auf Facebook aus Bulgarien gekommen sind. "Wir wollen sie hier nicht! Die Moslems haben uns 500 Jahre lang wie Hühner geschlachtet", ist da zu lesen, oder: "Geht weg! Wir haben genug Probleme mit unseren Zigeunern, die sich Roma oder Türken nennen."
Flüchtlingshandbuch aus dem Internet
Die Flüchtlinge haben diese Botschaft offenbar bekommen und meiden Bulgarien. Arabist Vladimir Tschukov spricht von drei Quellen von Information über Bulgarien, die die arabischsprachigen Flüchtlinge benutzen. Einmal sind es die Erfahrungen, die andere Flüchtlinge in den sozialen Medien teilen. Dann sind da die Einschätzungen der Schlepper, die sich unter den Flüchtlingen schnell verbreiten. Und die dritte Quelle ist ein sogenanntes "Flüchtlingshandbuch", das Tschukov im Internet gelesen habe.
"Die Flüchtlinge wählen ihre Route oder Destination nach dem Indian-File-Prinzip", erklärt der Hochschulprofessor. Dieser Begriff wurde über die Einwanderer nach Großbritannien Mitte des 20. Jahrhunderts benutzt. Gemeint ist, dass die Migranten sozusagen "im Gänsemarsch" ins Land kommen und sich über Mundpropaganda über das neue Umfeld informieren.
Das "Flüchtlingshandbuch" sei auf einer Assad-freundlichen Webseite veröffentlicht worden, erzählt Tchukov. "Da rangiert Bulgarien auf Platz 1. unter den Ländern, die ein Asylbewerber meiden soll. Das bulgarische Volk sei mehrheitlich rassistisch eingestellt und die Flüchtlinge würden unter unmenschlichen Bedingungen in den Lagern behandelt, steht da zu lesen."
Eine Behauptung, die viele Flüchtlinge unterschreiben würden. Zum Beispiel Herr A., der in einem Gespräch mit Pro Asyl seine Erfahrungen so zusammenfasste: "Das Leben in Bulgarien ist die Hölle. Der ganze Aufenthalt in Bulgarien war von Leid, Misshandlungen und Demütigungen geprägt. Weder die bulgarischen Beamten noch die bulgarische Bevölkerung waren gut zu Flüchtlingen."