Warum beginnt die Pubertät immer früher?
17. Oktober 2024Früher fand der Sohn der Kollegin die bunten Haarsträhnen seiner Mutter noch cool. Jetzt heißt es: "Mama, kannst Du nicht einfach normal aussehen?" Spätestens wenn Eltern plötzlich "peinlich" sind, ist der Nachwuchs wohl in der Pubertät.
Jetzt bildet der Körper vermehrt Sexualhormone: bei Mädchen Östrogen und Gestagen, bei Jungen Testosteron. Sie setzen körperliche und psychische Veränderungen in Gang. Stimmungsschwankungen sind normal - und das Abgrenzen von den Eltern auch. Äußerlich wächst bei beiden Geschlechtern das Schamhaar. Bei Mädchen wachsen die Brüste, dann kommt die Regelblutung. Jungen kommen in den Stimmbruch, Hoden und Penis wachsen, es kommt zum ersten Samenerguss.
Pubertät beginnt heute fast ein Jahr früher als vor 50 Jahren
All das findet heute in jüngerem Alter statt als früher. Eine Metastudie zeigte: 2013 begann die Pubertät bei Mädchen durchschnittlich fast ein Jahr früher als noch 1977. Jungen kommen meist ebenfalls früher in die Pubertät, allerdings sind die Studienergebnisse hier nicht ganz so deutlich wie bei Mädchen.
In etwa konstant geblieben ist dagegen der Zeitpunkt der ersten Regelblutung. Seit den 1960er-Jahren menstruieren junge Frauen in Europa mit etwa 13 Jahren das erste Mal - in Deutschland durchschnittlich mit etwa 12,8 Jahren, berichtet Bettina Gohlke, Leiterin der Abteilung Kinder-Endokrinologie (KEDAS) am Universitätsklinikum Bonn in Deutschland.
Noch im 19. Jahrhundert setzte die erste Regelblutung erst im Alter von 17 Jahren ein. Dass es inzwischen deutlich früher ist könnte damit zusammenhängen, dass Frauen durch den gestiegenen Lebensstandard kräftig genug wurden, um früher Kinder auf die Welt zu bringen und diese zu versorgen, so Gohlke im Gespräch mit der DW.
"Allerdings beginnt die Pubertät nicht mit der ersten Regelblutung, sondern mit dem Brustwachstum", betont die Wissenschaftlerin.
Doch warum hat sich dieser Zeitpunkt in nur knapp fünf Jahrzehnten um rund ein Jahr nach vorne verschoben? Die Ursachen dafür sind divers, und nicht alle lassen sich klar beweisen.
Führte Übergewicht zu vorzeitiger Pubertät in der Corona-Zeit?
Untersucht ist, dass übergewichtige Kinder früher in die Pubertät eintreten. In ihrem Fettgewebe entsteht vermehrt der Botenstoff Leptin, und der meldet dem Gehirn: Pubertät einleiten.
Dass Kinder sich weniger bewegten und dicker wurden, könnte einer der Gründe sein, warum während der Cornona-Pandemie deutlich mehr Mädchen in eine sogenannte verfrühte Pubertät (pubertas praecox) kamen. Dabei entwickeln sich äußere Sexualmerkmale bei Mädchen bevor sie neun und bei Jungen bevor sie zehn Jahre alt sind.
"Hinzu kam, dass der ganze Lebensstil verändert war, etwa der Tag-Nacht-Rhythmus, dass die Kinder stärker psychosozial belastet waren und mehr am Computer saßen - und blaues Licht, das haben Tierstudien gezeigt, wirkt auf Hormone," sagt Kinder-Endokrinologin Gohlke, die den Trend der verfrühten Pubertät untersucht hat. Mittlerweile lasse der aber wieder nach.
Welchen Einfluss haben Chemikalien auf die Pubertät?
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass auch Chemikalien aus unserer Umwelt einen Einfluss auf die Pubertät haben. So wurde nachgewiesen, dass das Schädlingsbekämpfungsmittel DDT zu einem früheren Beginn der Regelblutung führte. Auch Stoffe in Körperpflegeprodukten wie Phthalate, Parabene und andere Phenole stehen in Verdacht, die Pubertät früher einleiten zu können. Das gilt besonders für Mädchen.
Möglicherweise könnten auch hormonwirksame Weichmacher in Plastik den Pubertätsbeginn beeinflussen, sagt Gohlke. Sie hält das für sehr wahrscheinlich, denn der weltweite Trend, immer früher in die Pubertät zu starten, habe sich in so kurzer Zeit entwickelt, dass er nicht mit genetischen Veränderungen zu erklärt sei.
Doch welche Stoffe genau dafür verantwortlich seien, lasse sich nicht eindeutig klären. Denn: "Es gibt weit mehr als 100 verschiedene Substanzen, die als mögliche Verursacher in Frage kommen, wie Tierversuche gezeigt haben - und wir sind einer ganzen Reihe von Stoffen ausgesetzt." Außerdem stelle sich immer die Frage nach der Dosis: Eine Menge, die in Tierversuchen noch als unbedenklich gelte, könne auf Kinder durchaus Einfluss haben.
Lavendelöl und Soja-Eiweiß beeinflussen den Hormonhaushalt
Auch ätherische Öle können auf Hormone einwirken - und damit grundsätzlich auch auf den Pubertätsbeginn. So entwickelten Mädchen und Jungen nach dem Gebrauch von Lavendel-Produkten ein vorzeitiges Brustwachstum. Im Labor zeigte sich, dass 65 ätherische Öle bestimmte Stoffe enthalten, die hormonell auf menschliche Zellen wirken. Das Brustwachstum ließ bei allen Kindern nach, als die parfümierten Produkte abgesetzt wurden.
Eine hormonelle Wirkung haben außerdem Sojaprodukte. Soja enthält sogenannte Phyto-Östrogene, also pflanzliche Stoffe, die dem menschlichen Hormon Östrogen ähneln - wie übrigens auch Bier.
Ein Einfluss auf den Pubertätsbeginn wurde zwar bisher nicht nachgewiesen. Aber Frauen, die als Säuglinge mit Soja-Eiweiß ernährt wurden, berichteten in einer Studie von einer deutlich längeren Monatsblutung und stärkeren Menstruationsbeschwerden. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin rät daher davon ab, Säuglinge standardmäßig auf Sojabasis zu ernähren.
Studie aus Dänemark: Einzelkinder pubertieren früher
Und noch etwas scheint den Pubertätsbeginn zu beeinflussen: Einzelkinder pubertieren durchschnittlich früher als Kinder mit Geschwistern, Halb- oder Stiefgeschwistern, wie eine dänische Studie zeigt. Eine Erklärung könnte sein: Bei der Weitergabe der Familien-Gene können sich Einzelkinder nicht auf Geschwister verlassen - daher setzt ihr Körper lieber schon früh auf die eigene Fortpflanzungsfähigkeit.
Redaktion: Anke Rasper
Quellen unter anderen:
Worldwide Secular Trends in Age at Pubertal Onset Assessed by Breast Development Among Girls: https://jamanetwork.com/journals/jamapediatrics/fullarticle/2760573
Time trends towards earlier puberty in boys and girls with type 1 diabetes: Insights from the German Diabetes Prospective Follow-up (DPV) registry, 2000 to 2021: https://doi.org/10.1111/dom.15315
National survey of referrals for precocious puberty in Germany: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37208033/