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Chatila: "Ich habe es für die Menschheit getan"

Elizabeth Grenier so
29. November 2019

Ein libanesisch-schweizerischer Unternehmer ersteigert Besitztümer von Adolf Hitler auf einer Auktion. Im DW-Interview erzählt er, wie er damit verhindern will, dass diese Objekte in falsche Hände geraten.

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Schweiz Abdallah Chatila
Bild: Vincent Calmel

Der in Beirut geborene und in der Schweiz und in Europa tätige Unternehmer Abdallah Chatila erwarb auf einer Auktion in der Nähe von München Besitzstücke von Adolf Hitler für rund 600.000 Euro (660.000 Dollar). Durch seinen Kauf wollte er verhindern, dass diese in die Hände von Neo-Nazis geraten. Chatila kaufte unter anderem Adolf Hitlers Zylinder für 50.000 Euro, eine seltene Kopie von "Mein Kampf" für 130.000 Euro, Hitlers silberne Zigarrenkiste für 19.000 Euro sowie persönliche Briefe und weitere Stücke ranghoher Nationalsozialisten. Nach der umstrittenen Auktion kündigte er an, die Stücke einer jüdischen Stiftung zu spenden, die sie ihrerseits an Israels bedeutendste Holocaust-Gedenkstätte, Yad Vashem, weitergeben soll.

DW: Was hat Sie dazu bewogen, diese historisch vorbelasteten Gegenstände auf der Auktion zu erwerben?

Ich las einige Artikel über Rabbi Margolin (Vorsitzender der European Jewish Association, Anm.d.Red.), der sich darüber beschwerte, dass er den Verkauf dieser Artefakte nicht stoppen könnte. Er sagte, dass es unmoralisch sei, wenn diese Gegenstände in die Hände von Menschen gelangten, die dem jüdischen Volk so viele schlechte Dinge angetan hätten. Mir war klar, dass die Auktion nicht aufzuhalten war. Um sicherzustellen, diese Gegenstände nicht an die Falschen geraten, beschloss ich deshalb, sie selbst zu kaufen. Von dem Moment an ging alles sehr schnell.

Hitlers Zylinder
50.000 Euro zahlte Chatila für Hitlers FaltzylinderBild: picture-alliance/dpa/H. Historica

Wie reagierte der jüdische Verein Keren Hayesod, als Sie ihnen mitteilten, dass Sie die Gegenstände spenden würden?

Als ich beschloss, die Gegenstände zu kaufen, hatte ich zunächst den Wunsch, sie zu zerstören. Doch dann wurde mir schnell klar, dass ich nicht in der Position bin, zu entscheiden, was damit geschehen soll. Deshalb beschloss ich, sie einem jüdischen Verein zu überlassen. Da ich bereits einige Kontakte zu Keren Hayesod (Hauptorganisation, die Spenden für Israel sammelt, Anm. d. Red.) hatte, hoffte ich, dass man mir helfen würde zu entscheiden, wem die Gegenstände nützen würden. Eine halbe Stunde vor dem Verkauf rief ich sie an und kündigte an, was ich tun würde. In einem Brief bat ich darum, dass mein Name nicht im Zusammenhang mit diesen Gegenständen auf der Auktion auftaucht, ohne meine Intention zu erklären. In derselben Minute, in der ich das letzte Los kaufte, schickte ich eine Pressemitteilung raus, in der ich meine Motivation erklärte. Ich hatte große Angst, dass die Leute - wegen meines Namens - denken würden, ich hätte es für den falschen Zweck getan.

Sie haben befürchtet, dass die Menschen auf Ihren arabischen Namen mit Rassisismus reagieren würden...

Ja, außerdem befürchtete ich auch die gegenteiligen Reaktion, nämlich dass die Leute denken würden, dass ich der jüdischen Gemeinde zu nahe stehen würde. Ich wollte erklären, dass ich es für die Menschheit getan habe, nicht nur für die Juden.

Waren die Artikel teurer als erwartet?

Ich wusste nicht, wie hoch die Preise gehen würden. Ich wusste nicht mal, was ich gekauft hatte. Ich habe das Auktionshaus gebeten, mir eine Liste zukommen zu lassen mit den Dingen, die Hitler gehörten. Die haben sie mir am Vorabend geschickt. Ich habe sie nicht einmal angesehen. Der Preis war mir egal.

Hat es Sie nicht gestört, dass die Person, die diese Gegenstände verkaufte, eine Menge Geld durch Sie verdienen würde?

Nein, es war mir egal, wer sie verkaufte, es war mir egal, warum sie sie verkauften. Ich wusste nur, dass sie zum Verkauf stünden. Mir ging es nicht um den Verkäufer, sondern darum, wer sie kaufen würde.

Was wäre Ihrer Meinung nach der richtige Ansatz für den Handel mit nationalsozialistischen Erinnerungsstücken?

Der Verkauf solcher Erinnerungsstücke sollte verboten sein, und es sollte eine Stelle geben, die sich darum kümmert, sie zu sammeln, so wie es bei Waffen oder Munition der Fall ist.

Haben Sie vorher schon mal solche Dinge ersteigert?

Nein, es war das erste Mal, dass ich überhaupt davon gehört habe, dass diese Art von Artikeln zum Verkauf steht, und es war das erste Mal, dass ich so etwas gekauft habe.

Haben Sie vor, noch weitere Maßnahmen gegen die extreme Rechte zu ergreifen?

Ich möchte nicht nur etwas gegen die extreme Rechte tun, sondern etwas, das die Toleranz der Menschen untereinander fördert. Wenn man sich den Zustand der heutigen Welt ansieht, dann ist mir die Förderung der Toleranz ein großes Anliegen.

Abdallah Chatila
Diamanten- und Immobilienhändler Abdallah Chatila zählt zu den reichsten Menschen der SchweizBild: Vincent Calmel

Sie kommen aus einer christlichen Familie aus dem Libanon. Haben Sie auch persönliche Verbindungen zur jüdischen Gemeinde?

Ich habe Verbindungen, weil ich viele jüdische Freunde habe. Ich arbeite mit jüdischen Menschen - aber auch mit Christen und Muslimen. Ich versuche, Muslime und Christen zu versöhnen... Ich bin nicht sehr wählerisch, wer das Ziel meiner Nächstenliebe ist. Ich kann nicht verstehen, warum manche Menschen nicht nachvollziehen können, warum ich diese Gegenstände ersteigert habe. Für mich zählt zuerst die Hilfe für die Menschheit. Herkunft, Religion oder die Kultur der Menschen interessieren mich nicht.

Ihre Familie musste während des Bürgerkriegs (1975-1990) aus dem Libanon fliehen, als Sie noch sehr jung waren. Hat diese Erfahrung Ihre Sichtweise auf religiösen und politischen Extremismus beeinflusst?

Ich denke, im Unterbewusstsein hat der Krieg seine Spuren hinterlassen. Auch mein Vater und seine wertvollen Ratschläge halfen mir dabei, zu der Person zu werden, die ich heute bin.

Gab es einen bestimmten Moment, in dem Sie anfingen, sich mehr Sorgen zu machen?

Ich glaube nicht, dass es einen bestimmten Moment gab. Wir leben in einer Zeit, in der Rechtspopulismus, Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie groß geworden sind. Diese Intoleranz treibt die Menschen an, die Religion zu nutzen, um schlechte Dinge zu tun - Fanatiker, die im Namen der Religion töten, nicht nur im Nahen Osten, sondern auch hier im Westen. Man sieht das leider überall. Nach der Auktion habe ich die Bedeutung von Toleranz in der Welt erkannt, und ich denke darüber nach, eine Grundlage für Toleranz zu schaffen.

Die European Jewish Association wird Ihnen im Januar im ehemaligen deutschen NS-Vernichtungslager Auschwitz eine Auszeichnung verleihen. Werden Sie sie annehmen?

Ich fühle mich durch diese Auszeichnung sehr geehrt und nehme sie sehr gerne an. Ich denke, dass es das Recht des jüdischen Volkes - und aller anderer Menschen auch - ist, die eigene Religion frei und sicher leben zu können.