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Warum über Napoleon wieder gestritten wird

Sonia Phalnikar
4. Mai 2021

Napoleon ist ein Nationalheld in Frankreich. Doch seine Rolle bei der Wiedereinführung der Sklaverei hat 200 Jahre nach seinem Tod eine Debatte über sein Vermächtnis entfacht.

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Eine Zeichnung zeigt Napoleon Bonaparte auf einem Pferd.
Umstrittenes Vermächtnis: der Feldherr Napoleon Bonaparte Bild: imago images

Inmitten von 150 Exponaten über den schillernden Imperialisten, den früheren französischen Kaiser, geht es auch um die dunkle Seite seines Vermächtnisses. Napoleon war "eine Figur, die zugleich faszinierend und umstritten ist", wie es in der Vorschau auf eine große Napoleon-Ausstellung im Pariser Kulturzentrum Grande Halle de la Villette heißt.

Zu sehen sind dort etwa die Originalkopien der von Napoleon 1802 unterzeichneten Gesetze, mit denen die acht Jahre zuvor im Zuge der Französischen Revolution verkündete Abschaffung der Sklaverei wieder rückgängig gemacht wurde. Damit war Frankreich das einzige Land, das die Sklaverei nach ihrer Abschaffung tatsächlich wieder einführte.

"Wenn sie von Napoleon hören, denken die meisten Menschen an das große Imperium, die [napoleonischen] Kriege und die vielen Siege Frankreichs. Es gibt diesen Ruhm über Napoleon, der alles andere, was er getan hat, in den Schatten stellt", sagt Dominique Taffin, Direktorin der Stiftung zur Erinnerung an die Sklaverei, im Gespräch mit der DW. "Es ist notwendig, diesen dunklen Teil seiner Taten einem breiteren Publikum bewusst zu machen", so Taffin weiter.

Dominique Taffin, Direktorin der Stiftung zur Erinnerung an die Sklaverei
Napoleons Ruhm stelle alles andere in den Schatten, sagt Dominique TaffinBild: Louise Allavoine/Foundation for the Remembrance of Slavery

"Als ob nichts passiert wäre"

"Die Entscheidung, die Sklaverei wieder einzuführen, ist nicht nur ein Schandfleck auf Napoleons Erbe, sie ist ein Verbrechen", sagt Louis-Georges Tin, Aktivist und Ehrenpräsident des Representative Council of Black Associations (CRAN), der DW.

Napoleons Entscheidung im Jahr 1802 war nicht nur ein Verrat an den Idealen der Französischen Revolution, sondern verdammte geschätzt 300.000 Menschen zu einem Leben in Knechtschaft - bevor Frankreich die Sklaverei im Jahr 1848 endgültig abschaffte.

Tin, der aus der ehemaligen Kolonie Martinique stammt, fordert, dass diese Aspekte von Napoleons Politik in Frankreich mehr gelehrt werden. "Als jemand, dessen Vorfahren versklavt wurden, kann ich nicht verstehen, warum wir weiterhin das Andenken an Napoleon feiern, als ob nichts passiert wäre."

Der Dom Les Invalides in Paris wird von der Sonne angestrahlt. Hier liegt Napoleon Bonaparte begraben.
In diesem Dom in Paris befindet sich Napoleons Grabstätte Bild: Sonia Phalnikar/DW

Der Aktivist weist darauf hin, dass Napoleons Todestag am 5. Mai nur wenige Tage vor dem 20. Jahrestag des sogenannten Taubira-Gesetzes liegt: Mit dem Gesetz erkannte Frankreich als erstes Land Sklaverei und Sklavenhandel als Verbrechen gegen die Menschheit an. "Frankreich kann nicht das Land der Menschenrechte sein und jemanden feiern, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat. Das macht keinen Sinn", sagt Louis-Georges Tin.

Nicht jeder stimmt dem zu. Der Historiker und Napoleon-Experte Peter Hicks von der in Paris ansässigen Fondation Napoleon sagt, Napoleon Bonaparte sei eine komplexe Figur gewesen, die über Perioden von "Hypergewalt" in Europa geherrscht habe und nicht auf seine kolonialen Positionen reduziert werden könne.

"Der Sklaventeil der napoleonischen Geschichte, so grässlich er auch war, ist minimal und peripher im Vergleich zu den großen Geschichten in Europa wie dem Bürgerlichen Gesetzbuch und dem Vertrag von Amiens [ein Abkommen, das während der napoleonischen Kriege für 14 Monate Frieden in Europa brachte, Anm. d. Red.], der für Deutsche, Franzosen, Briten und Italiener viel wichtiger ist", sagt Hicks.

Sklaven auf Zucker- und Kaffeeplantagen

Aus der Perspektive der ehemaligen Kolonien betrachtet, ist die Bedeutung der von Napoleon wieder eingeführten Sklaverei dagegen alles andere als marginal. In den späten 1780er Jahren war Frankreich eine große Kolonialmacht, deren Territorien von schätzungsweise 800.000 Sklaven versorgt wurden. Seine lukrativste Kolonie war Saint-Domingue (das heutige Haiti) in der Karibik. Etwa 450.000 Sklaven arbeiteten auf Plantagen, die Zucker und Kaffee nach Frankreich exportierten.

Napoleon starb vor 200 Jahren
Ehrenwerte Person: Überall in Frankreich erinnern Statuen an Napoleon, hier im Ehrenhof des "Hôtel des Invalides"Bild: Christian Böhmer/dpa/picture alliance

Historischen Berichten zufolge war das System gewalttätig und die Sterblichkeitsrate unter den Versklavten so hoch, dass zusätzlich Sklaven aus Afrika eingesetzt werden mussten.

"Napoleon wollte das französische Kolonialreich erweitern, um die Karibik zu kontrollieren. Um das riesige Land Louisiana in Nordamerika zu kolonisieren, brauchte er Arbeiter, also setzte er den Sklavenhandel wieder in Gang. Das war eine koloniale Strategie", erklärt Dominique Taffin von der Stiftung zur Erinnerung an die Sklaverei. "Und dafür brauchte er die totale Kontrolle über Saint-Domingue, weil es in diesem geografischen Gebiet zentral war."

Haiti zahlte einen hohen Preis

In der Haitianischen Revolution hatten die Sklaven von Saint-Domingue 1791 einen Aufstand gegen die französische Kolonialherrschaft begonnen, aus dem der Gouverneur Toussaint Louverture als Revolutionsführer hervorging. Der Aufstand brachte Frankreich zunächst dazu, die Sklaverei 1794 in seinem gesamten Reich abzuschaffen.

Um die koloniale Ordnung wiederherzustellen, schickte Napoleon dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts Truppen, um Louverture zu stürzen. Louverture wurde nach Frankreich deportiert - seine revolutionären Mitstreiter in Saint-Domingue waren entschlossen, sich Napoleons Wiedereinführung der Sklaverei im Jahr 1802 zu widersetzen und führten über ein Jahr hinweg einen brutalen Kampf gegen die Franzosen.

Eine Zeichnung zeigt Toussaint Louverture, den Anführer der Haitianischen Revolution, mit einem Säbel in der Hand auf einem Pferd.
Widersacher: Toussaint Louverture führte 1791 die Haitianische Revolution anBild: gemeinfrei

Im Jahr 1803 besiegten sie schließlich Napoleons Armee. Im folgenden Jahr gründeten die Revolutionäre die unabhängige und freie Nation Haiti. Es war die erste Republik der Welt, die von ehemaligen Sklaven gegründet wurde und die Sklaverei und den Sklavenhandel verbot.

"Napoleons Niederlage in Saint-Domingue ist eine wenig bekannte Geschichte. Er verlor die wertvolle Kolonie und verkaufte Louisiana an die USA", erklärt Dominique Taffin. Die Folgen von Napoleons Handeln hielten jedoch noch lange nach dem französischen Abzug aus Saint-Domingue an - in Guyana, Guadeloupe, Martinique und auf der Insel Réunion blieb die Sklaverei bestehen, bis die Franzosen sie 1848 endgültig abschafften.

Auch Haiti zahlte einen hohen Preis. 1825 verhängte Frankreich gegen Haiti unter Androhung eines Krieges eine Strafe von 150 Millionen Francs (der heutige Gegenwert liegt bei rund 17,5 Milliarden Euro), mit denen die ehemaligen Sklavenhalter entschädigt werden sollten. Haiti zahlte diese Entschädigung sehr viel später - im Jahr 1947. Bis heute leidet das Land wirtschaftlich darunter.

In Schulbüchern vernachlässigt

Nur wenige Menschen in Frankreich sind sich dieser Geschichte bewusst. Frédéric Régent, Historiker an der Pariser Universität Sorbonne, sieht dafür mehrere Gründe. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts werde der Kolonialismus in Schulbüchern entweder gelobt oder vernachlässigt - für die nationale Erzählung sei das Thema lange als unbedeutend angesehen worden, weil es sich weit entfernt von Frankreichs Grenzen abspielte. Das Thema Sklaverei sei zudem durch die Abschaffung im Jahr 1848 "abgedeckt" worden.

Passanten sitzen auf dem Slaverei-Denkmal in Pari, das die Form von Ketten und Fesseln hat.
Langsames Umdenken: Die Historie der Sklaverei spielte im öffentlichen Bewusstsein Frankreichs lange Zeit keine RolleBild: Sonia Phalnikar/DW

Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich Europa auf den Wiederaufbau konzentrierte, wurde Napoleon als einigende Figur dargestellt. "Von den 1950er-Jahren bis in die 1990er-Jahre hinein lag der Fokus vor allem auf Napoleon und seinen Eroberungen in Europa. Er wurde als Erbauer Europas dargestellt und als republikanische Figur gesehen", so Régent. "Der koloniale Aspekt wurde weitgehend ignoriert."

Wachsendes Bewusstsein für die Kolonialgeschichte

Doch die Dinge haben sich geändert. Seit den späten 1990er-Jahren gab es in Frankreich Demonstrationen, Gesetze und Änderungen im Schullehrplan, um eine bessere Einbeziehung der Geschichte des Landes zu erreichen. In den vergangenen Jahren hat sich eine lautstarke und vielfältige französische Bevölkerung, oft mit Vorfahren aus den ehemaligen Kolonien, zu Fragen der Rassendiskriminierung und Identität zu Wort gemeldet.

Proteste von Black Lives Mattern in rankreich, Demonstrantinnen halten Schilder hoch.
Nach der Tötung George Floyds kamen auch in Frankreich Tausende zu Black-Lives-Matter-Protesten zusammenBild: Sonia Phalnikar/DW

Vergangenes Jahr brachen nach der Tötung von George Floyd in den USA in ganz Frankreich "Black Lives Matter"-Proteste aus. Es gab auch Forderungen, die Statue vor der französischen Nationalversammlung in Paris zu entfernen, die Jean-Baptiste Colbert darstellt, den Mann hinter dem "Code Noir"-Erlass, der die Bedingungen der Sklaverei in den französischen Kolonien definierte.

Pflicht gegenüber den Nachkommen

Der ehemalige französische Premierminister Jean-Marc Ayrault, heute Präsident der Stiftung zur Erinnerung an die Sklaverei, bezeichnete Napoleons 200. Todestag als Anlass, sich der langen kolonialen Vergangenheit Frankreichs zu stellen und auch die jüngsten Forderungen nach Gleichberechtigung anzuerkennen.

"Die Wiedereinführung der Sklaverei ist ein vergessener und dunkler Teil unserer Geschichte - und als Stiftung müssen wir diese ganze komplexe Geschichte erklären, nicht nur einen Teil davon", sagte Ayrault. "Es ist auch unsere Pflicht gegenüber den Nachkommen derer, die nach der Wiedereinführung der Sklaverei noch einige Jahre in dieser leben mussten." Ein Land könne nur stärker werden, wenn es seine Vergangenheit kenne und verstehe.

Deutsche Adaption: Torsten Landsberg