Warschau bringt Medien auf ihren Kurs
22. Dezember 2015Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" schlägt Alarm: Die Menschenrechtsorganisation sei "in höchstem Maße besorgt", hieß es mit Blick auf Warschau. Gemeint sind Reformpläne, die zwar offiziell noch nicht vorgestellt wurden, aber von Regierungsmitgliedern bereits angekündigt werden. Vieles lässt vermuten, das Ziel der Reform könnte sein, auch "die vierte Macht" auf Linie zu bringen.
Betroffen wären das öffentliche Fernsehen, das Radio und die Polnische Presseagentur PAP. Die heute staatlichen Aktiengesellschaften sollen künftig nicht mehr auf Gewinne achten, sondern auf ihren "nationalen Auftrag". Sie werden von "öffentliche" in "nationale Medien" umgetauft. Aus Aktiengesellschaften sollen "nationale Kulturinstitute" werden.
Der nationalen Mission folgen
Was mit "nationalem Auftrag" gemeint ist, erklärt der zuständige Staatsminister im Kulturministerium, Krzysztof Czabański: Die polnische Geschichte soll künftig zum wichtigen Programmschwerpunkt werden. Mit nationalen Interessen sind Inhalte gemeint, die patriotische Gefühle der Zuschauer ansprechen. So ähnlich klingen Pläne der Schulreform, wo die Geschichte zu einem so wichtigem Fach wie Polnisch oder Mathe werden soll.
Auch Verschwörungstheorien könnten leichter ihren Platz im TV-Programm finden, wie die über die Flugzeugkatastrophe 2010 von Smolensk. Viele in der Regierungspartei glauben, dass die Katastrophe, bei der das polnische Präsidentenpaar und weitere 94 Insassen ums Leben kamen, kein Unglück, sondern ein Attentat war.
Politischer Einfluss
Mit der Reform sollen auch neue Strukturen kommen. Über die inhaltliche Ausrichtung und das Personal würde ein neuer "Rat der Nationalen Medien" entscheiden - gewählt vom Parlament und dem Präsidenten. "Damit unterliegen die Medien der parlamentarischen Mehrheit und dem Präsidenten, also den Organen, die ein starkes bürgerliches Mandat haben", erklärt Czabański vom Kulturministerium.
Dass polnische Medien von Regierenden instrumentalisiert werden, hat Tradition. 2007, als die Bürgerplattform die Regierung übernahm, wurden ebenfalls führende Positionen im Fernsehen durch eigene Leute besetzt. Auch zuvor war das eher die Regel als die Ausnahme. Diesen Punkt kritisierte die PiS stark. Doch die Kritik heißt nicht, dass man es ändern will. "Nicht nur in Polen, sondern in vielen Ländern, ist die Politik für die Medien zuständig und keiner hat bisher eine bessere Lösung gefunden", versucht Krzysztof Czabański zu erklären, als wollte er rechtfertigen, warum man daran weiter festhalten wird.
Journalisten unter Druck
Für kritische Journalisten scheinen schwere Zeiten angebrochen zu sein. Unbequeme Medienvertreter werden eingeschüchtert oder suspendiert, wie das Beispiel der TV-Moderatorin Karolina Lewicka zeigt: Im Interview mit Kulturminister Piotr Gliński stellte sie Fragen, die diesem nicht gefielen. Daraufhin sagte der Politiker ungeniert vor laufender Kamera, er würde nicht darauf antworten, denn es handle sich um einen "Propagandasender, und damit wird bald Schluss sein".
Auch die Talkshow von Tomasz Lis - einem der bekanntesten polnischen Journalisten - wird bald abgesetzt. Der Journalist sieht sich derzeit einer Hetzkampagne ausgesetzt. Krzysztof Czabański nannte seine Sendung "nicht objektiv, befangen, gesteuert und manipuliert" und den Moderator einen "Propagandafunktionär". Sogar der Geheimdienstkoordinator Mariusz Kamiński meldete sich zu Lis zu Wort: "Sein Name symbolisiert das Böse und wird vom öffentlichen Fernsehen für öffentliche Gelder finanziert".
Bessere Arbeitsbedingungen
"Wenn Politiker Journalisten als Propagandisten beschimpfen und mit Entlassung drohen, kann es der erste Schritt zur Autozensur sein", sagt die Sprecherin des jetzigen Fernsehrats, Katarzyna Twardowska. Dies kann auch eine Zustimmung zum aggressiven Verhalten gegenüber Journalisten bedeuten, mahnt ihr Gremium.
Dass das nicht nur Panikmache ist, zeigen jüngste Ereignisse. Bei einer Demonstration der Regierungsanhänger war ein kleiner ausgestopfter Fuchs zu sehen, darauf stand: "Tomasz live". Der Fuchs war eine Anspielung auf den Namen des Journalisten. Lis heißt auf Polnisch "Fuchs". Auf derselben Demo hielt jemand einen "Fuchskäfig" hoch.
Bei anderen Demonstrationen wurde ein Reporter des Polnischen Fernsehens angegriffen. Das Mikro wurde ihm aus der Hand gerissen und er vor laufender Kamera angepöbelt. Der größte Privatsender TVN schickt seine Reporter auf solche Veranstaltungen nur noch mit Personenschutz - Zustände, die man in Deutschland von Pegida-Demonstrationen kennt.
Hoffnungen auf bessere Arbeit
Nicht jeder kann standhalten. Journalisten berichten schon, dass bei manchen längst die Schere im Kopf einsetzt. Gerade bei jüngeren Reportern herrscht Angst um die berufliche Zukunft vor. Ihnen verspricht die Regierung eine "gute Wende" in der Medienbranche.
Derzeit sind sehr viele Reporter und Moderatoren beim polnischen Fernsehen - darunter auch bekannte Persönlichkeiten - selbständig, oft zahlen sie weder Krankenversicherung noch Sozialabgaben. Normale Verträge kriegt kaum jemand. Mit der "guten Wende" meint die PiS Regierung auch die Beschäftigungsverhältnisse.
Bessere Finanzierung
Doch paradoxerweise könnte ausgerechnet dieser Regierung gelingen, den öffentlichen Medien eine bessere Finanzierung zu sichern. Theoretisch werden sie aus Rundfunkgebühren finanziert. Doch die Zahlungsmoral der Polen ist schlecht. Von zehn Millionen Haushalten, die für die Nutzung eines Radio- und Fernsehgeräts fünf Euro monatlich aufbringen sollen, zahlt nur jeder zehnte - neun Millionen bleiben ihren Beitrag schuldig.
Schuld ist auch der letzte Premierminister Tusk. 2008 empörte er die Öffentlichkeit, indem er von einer "archaischen Form der Medienfinanzierung, eine Art Schutzgeld" sprach. Tusk wollte die Fernsehgebühr aufheben, schaffte es aber nicht. Jetzt sei er weg, die Probleme aber geblieben, sagt Krzysztof Czabański.
Nach bisherigen Berichten plant die Regierung einen Schuldenerlass und eine neue, nur halb so hohe Rundfunkgebühr einzuführen. Diese müsste jeder Haushalt mit der Steuererklärung oder Stromrechnung bezahlen. So kämen knapp 400 Mio. Euro jährlich zusammen.
Ausländische Verlage zurückdrängen
Ungewiss ist dafür das Vorhaben, die Anteile der ausländischen Zeitungsverlage in Polen zu reduzieren. Diese Forderung ist vor allem gegen deutsche Verlage gerichtet, die in Polen sehr aktiv sind. Die Regierungsmitglieder sprechen von "Repolonisierung" der Medienlandschaft. Auch das soll im Namen der nationalen Interessen geschehen - aber noch sind keine Details bekannt. Die Reform soll spätestens Anfang Januar vorgestellt werden.