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Politik

Warnungen und Mahnungen zum Einheitsfest

2. Oktober 2019

In Kiel haben die diesjährigen Feiern zum Jahrestag der deutschen Einheit begonnen. 29 Jahre nach der deutschen Vereinigung werden auch kritische Töne laut - nicht zuletzt wegen der jüngsten Wahlergebnisse im Osten.

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Kiel | Bürgerfest zum Tag der Deutschen Einheit: Brandenburger Tor Modell
Modell des Brandenburger Tors beim Bürgerfest zum Tag der deutschen Einheit in KielBild: picture-alliance/dpa/C. Rehder

"Wir sagen 'Moin' zu Deutschland, sind bereit für unsere Gäste und freuen uns riesig", sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther zur Eröffnung des Bürgerfestes zum Tag der deutschen Einheit in Kiel. Das Bundesland hat derzeit den Vorsitz im Bundesrat inne und richtet daher den zentralen Festakt zum Einheitstag aus. Zum Bürgerfest erwartet die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt mehr als eine halbe Million Besucher. Prominente Gäste sind Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das Motto lautet in diesem Jahr "Mut verbindet".

Warnung vor neuer Spaltung zwischen Ost und West

Er hoffe auf "zwei tolle Tage", sagte Günther, der das Bürgerfest gemeinsam mit dem Kieler Oberbürgermeister Ulf Kämpfer eröffnete. Zuvor hatte Günther vor wachsenden Differenzen in der politischen Debatte zwischen Ost und West gewarnt. Es sei eine gemeinsame Anstrengung nötig, damit kein großer Riss zwischen Ost und West entstehe, sagte der CDU-Politiker im SWR. Die Stärke der AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg deute er noch nicht als Zeichen für ein Auseinanderwachsen. Günther räumte aber ein: "Klar hat das auch mit dem Gefühl zu tun, abgehängt zu sein." Dagegen anzukämpfen sei eine bundesdeutsche Aufgabe.

Kiel | Bürgerfest zum Tag der Deutschen Einheit: Daniel Günther und Ulf Kämpfer
Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, und Ulf Kämpfer, Kieler Oberbürgermeister, eröffnen das BürgerfestBild: picture-alliance/dpa/C. Rehder

Auch andere deutsche Spitzenpolitiker mahnten anlässlich des 29. Jahrestags der deutschen Einheit vor einer neuen Spaltung des Landes und mahnten, die Leistungen der Menschen im Osten mehr zu würdigen. "Viele ostdeutsche Geschichten sind noch kein selbstverständlicher Bestandteil unseres gesamtdeutschen 'Wir' geworden", so Bundespräsident Steinmeier anlässlich der Verleihung von Bundesverdienstorden unter anderem an Vertreter der DDR-Opposition sowie Akteure von friedlicher Revolution und deutscher Wiedervereinigung.

Ramelow: Leistungen der Menschen im Osten nicht gewürdigt

Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow sieht die Leistungen der Menschen in Ostdeutschland fast 30 Jahre nach dem Mauerfall noch immer nicht gewürdigt: "Der Osten hat einen gewichtigen Beitrag geleistet für das Wohlergehen unseres Landes", erklärte Ramelow in Erfurt.  Der Linken-Politiker verwies auf "Lohnunterschiede und Rentenungerechtigkeiten". Darüber hinaus sei die Zahl der Ostdeutschen in Führungspositionen in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur "unangemessen gering". Zudem würden die neuen Länder auch bei der Ansiedlung von Bundesbehörden benachteiligt, kritisierte Ramelow.

Deutschland Bundesrat in Berlin | Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident Thüringen
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow sieht die Menschen in Ostdeutschland weiterhin benachteiligtBild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Die Bundestagsfraktion der Linken erhob schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung. Diese sei "ein Hindernis bei der Vollendung der deutschen Einheit", erklärten die Fraktionschefs Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch. Bei der Armut gehe es "in die komplett falsche Richtung". Mehr Menschen in Ost und West seien arm oder von Armut bedroht als in den 1990er Jahren.

"Werte der Wiedervereinigung im Kopf behalten"

Die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck sehen 30 Jahre nach dem Mauerfall ebenfalls noch nicht alle Umbrüche in Folge der Vereinigung überwunden. "Aber Menschen haben wieder zusammengefunden und es hat endlich eine offene, ehrliche und zugewandte Debatte über das Zusammenwachsen begonnen", erklärten sie.

Deutschland Parteitag Die Grünen in Leipzig | Annalena Baerbock und Robert Habeck
Annalena Baerbock und Robert Habeck: Noch nicht alle Umbrüche in Folge der Vereinigung überwundenBild: Getty Images

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier rief zum aktiven Einsatz für die Demokratie auf. "Wir alle müssen die Werte der Wiedervereinigung im Kopf behalten und den Feinden der Demokratie entschieden entgegentreten", sagte der CDU-Politiker in Wiesbaden. Dass heutzutage alle in Deutschland in Freiheit leben könnten, sei eine große Errungenschaft der Nation.

Soziologe wirbt für anderen Blick auf die Wiedervereinigung

Auch der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte, zog wie schon vor kurzem bei der Vorstellung desJahresberichts zum Stand der deutschen Einheit eine positive Bilanz. "In gemeinsamen Anstrengungen haben alle Deutschen in den zurückliegenden drei Jahrzehnten viel bei der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West erreicht", sagte der CDU-Politiker. 70 Prozent der Ostdeutschen betrachteten sich als Gewinner der Einheit. "Trotz großer Fortschritte ist an vielen Orten in den neuen Ländern jedoch Unzufriedenheit über eine gefühlte Benachteiligung zu spüren", räumte Hirte ein.

Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit Christian Hirte
Christian Hirte bei der Vorstellung des Jahresberichts zum Stand der deutschen EinheitBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Der Soziologe Steffen Mau mahnte derweil einen anderen Blick auf die Wiedervereinigung an. Die Unterschiede zwischen Ost und West dürften sich immer nur als Problem wahrgenommen, sondern als Chancen gesehen werden, sagte Steffen bei WDR5. In einigen Bereichen hätten die neuen Bundesländer auch eine Pionierrolle eingenommen, etwa bei Formen politischer Beteiligung und Artikulation. Auch in den Bereichen Sozialpolitik, Familienpolitik und bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen seien aus dem Osten viele fortschrittliche Dinge in den Vereinigungsprozess hineingebracht worden. "Das ist bisher zu wenig gesehen worden", sagte Mau.

ww/kle (afp, dpa, epd)