Polnische Städte ohne EU-Gelder
30. Juli 2020Es ist noch nicht offiziell bekannt, welche Städte künftig ohne EU-Förderung für Städtepartnerschaften auskommen müssen, aber Medienberichten zufolge ist unter anderem die Stadt Tuchów im Bezirk Kleinpolen betroffen. Die Bürgermeisterin der Kleinstadt, Magdalena Marszałek, bestätigte das: "Wir haben noch kein offizielles Schreiben und keine offizielle Position der EU-Kommission gesehen, aber ich habe die Ratsmitglieder darüber informiert, dass wir keine EU-Mittel bekommen."
Sie selbst war gegen die "Resolution gegen LGBT-Ideologie" eingetreten, doch am Ende hatten die Stadträte der regierenden PiS-Partei das Sagen, sie sind im Stadtrat in der Mehrheit. Erste Konsequenzen folgten - das französische Saint Jean de Braye setzte die Städtepartnerschaft aus.
Auch deutsche Partnerstadt reagiert
Auch das niederländische Nieuwegein kündigte die Freundschaft mit der östlichen Stadt Puławy. Anders als Bojarka, die ukrainische Stadt will trotz der Umstände die Zusammenarbeit nicht aufgeben. Es stehe jeder Gemeinde frei, über ihre eigenen Ansichten zu entscheiden, so der Bürgermeister von Bojarka, Oleksandr Sarubin, in einem Gespräch mit der DW. "Uns interessiert bei der Zusammenarbeit etwas völlig anderes: Kultur, Erfahrungsaustausch im kommunalen Bereich, Dienstleistungen für die Bevölkerung", sagte er.
Dies alles wird es zwischen Nowy Sącz und Schwerte in Nordrhein-Westfalen nicht mehr geben. Die deutsche Partnerstadt entschied im Mai, die 30-jährige Zusammenarbeit bis auf Weiteres ruhen zu lassen. "Die Entscheidung Ihres Rates widerspricht unserem europäischen Gedanken der Vielfalt und damit auch dem Gebot der Völkerverständigung", schrieb Schwertes Bürgermeister Dimitrios Axourgos an seinen polnischen Amtskollegen Ludomir Handzel. Dieser hatte ebenfalls gegen die "Charta für Familienrechte" Stellung bezogen, einer weniger scharfen Erklärung als die von Tuchów, aber der Stadtrat überstimmte auch hier den Stadtoberen.
Natürliche Konsequenz?
Für Krzysztof Śmiszek von der polnischen Linkspartei kommen finanzielle Konsequenzen nicht überraschend. Er sieht ihn den Entscheidungen der EU-Kommission eine "natürliche Konsequenz homophob motivierter Maßnahmen in einigen Kommunen. Entweder Achtung von Menschenrechten, Werten und europäische Gelder oder Homophobie und Geldmangel - eine letztlich auch zivilisatorische Wahl", meinte er, der selbst mit einem Mann zusammenlebt.
Möglicherweise werde der Stadtrat von Tuchów seine Entscheidung nun noch einmal überdenken, zitiert die Tageszeitung Gazeta Wyborcza einen Vizebürgermeister der Kleinstadt. Pawel Preneta kann derweil für sich in Anspruch nehmen, Anteil daran zu haben, dass die als "LGBT-freie Zonen" bekannt gewordenen Wojewodschaften, Städte und Gemeinden damit mehr in die Öffentlichkeit geraten sind als ihre Stadtoberen das wohl gewollt haben. Sein virtueller "Atlas des Hasses" kennzeichnet auf einer Polen-Karte all jene Regionen, in der die unterschiedlichen Erklärungen zum Thema verabschiedet wurden. "Die Entscheidung aus Brüssel kann andere Kommunen entmutigen, selbst solche Beschlüsse zu fassen, und das wäre positiv", sagt er. "Aber wir können nicht sagen, wie diejenigen reagieren werden, die diese Beschlüsse bereits angenommen haben. Wir befürchten, die Anti-EU-Stimmung dort wird wachsen".
Zumal die Anti-LGBT-Rhetorik nicht nur von Kommunalpolitikern, sondern auch von höchsten Repräsentanten des Staates im Munde geführt wird. Der von der regierenden PiS unterstützte Staatspräsident Andrzej Duda etwa wetterte in der Endphase des Wahlkampfes gegen LGBT als "Neobolschewismus". "Man versucht, uns einzureden, dass LGBT Menschen sind, aber das ist Ideologie." Wie im Sozialismus versuche man, sie Erwachsenen und Kinder einzuhämmern.
Südosten ist LGBT-kritische Hochburg
Gerade da, wo Andrzej Duda seine besten Werte erzielte, haben Dutzende Kommunen LGBT-feindliche Resolutionen unterzeichnet. Für die moderatere Version, eine "Charta der Familienrechte", in der die Ehe als ausschließliche Verbindung von Mann und Frau definiert wird, stand die konservative Juristenvereinigung "Ordo Iuris" Pate. In einem Gespräch mit der DW erklärt Anwalt Nikodem Bernaciak, es sei dabei um "eine inhaltliche Antwort auf den zunehmenden ideologischen Krieg" gegangen. Das Dokument selbst sei aber frei von Ideologie und auch das Wort "LGBT" tauche darin nicht einmal auf. Es solle den Schutz der Ehe hervorheben und eine familienfreundliche Politik fördern. Bernaciak zeigt sich empört über die Entscheidung der EU-Kommission und kündigt an, seine Organisation wolle noch in dieser Woche bei der Brüsseler Kommission Einsicht beantragen, welche Kommunen betroffen sind und eine ausführliche Begründung der ablehnenden Förder-Entscheidungen anfordern. Deklarationen begründeten per se noch nicht den Verdacht, dass tatsächlich diskriminiert wird, argumentiert der Jurist.
Von einem "rechtswidrigen" Vorgehen der EU-Kommission spricht auch der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro. Der Vorsitzende der PiS-Splitterpartei "Solidarisches Polen" forderte Premierminister Morawiecki auf, "bei der EU-Kommission zu intervenieren". Seiner Ansicht nach wird von Brüssel "Druck ausgeübt" auf Bürger, die ein Recht auf eine eigene Meinung hätten. Ziobro spricht von "verbissenen" EU-Kommissaren, die "ideologisch verstrickt" seien und beruft sich auf die EU-Verträge. "Die EU-Kommission und alle Behörden der EU sind verpflichtet, die nationale Identität der jeweiligen Mitgliedsländer zu respektieren."
Es geht zwar nicht gerade um die größten EU-Fördersummen, und doch ist dieser Schritt Brüssels auch ein symbolischer, der als Signal für die Zukunft gelten kann. Erstmals wird eine Kausalität zur Achtung von Grundwerten nicht nur rhetorisch hergestellt, sondern mit direkten finanziellen Konsequenzen verbunden. "EU-Werte und grundlegende Rechte müssen von den Mitgliedsländern respektiert werden", hatte die EU-Kommissarin für Gleichheitspolitik, Helena Dalli, geschrieben. "Deswegen wurden die sechs Städtepartnerschafts-Anträge abgelehnt, an denen polnische Stellen beteiligt waren, die Resolutionen zu 'LGBT-freien Zonen' oder 'Familienrechten' verabschiedet haben."