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Walter Kolbow: "Die Ukraine hat eine europäische Perspektive"

2. März 2006

Im Interview mit DW-RADIO ermuntert der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Walter Kolbow, die Ukraine zu weiteren Reformen. Deutschland habe großes Interesse an der Zusammenarbeit mit der Ukraine.

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Interview mit DW-RADIO/UkrainischBild: DW

DW-RADIO/Ukrainisch: Herr Kolbow, welchen Eindruck haben Sie nach Ihren Gesprächen in Kiew von der Ukraine gewonnen?

Walter Kolbow: Die Stimmung ist, so meine ich, gespalten. Man hat mehr von der ‚orange Revolution’ erwartet zur Verbesserung der Lebensverhältnisse, darf aber nicht übersehen, darauf haben wir hingewiesen, dass die Zeit noch nicht so reichhaltig war, aber dass jetzt Reformen und Demokratisierung auch nach der Wahl im Lande natürlich auf der Tagesordnung stehen. Jetzt ist Wahlkampf und dort werden die Programme auf den Weg gebracht und ich habe den Eindruck, dass die Parteien der ‚orange Revolution’ aufholen, habe aber nach einem Gespräch mit Herrn Janukowytsch den Eindruck, dass er ebenfalls zuversichtlich ist, sodass die Situation gesplittet ist.

Die jüngsten Umfragen zeigen, dass Wiktor Janukowytschs Partei der Regionen tatsächlich die Parlamentswahlen gewinnen könnte. Würde dies einen Rückschlag für die demokratische Entwicklung der Ukraine bedeuten?

Ich habe diesen Eindruck schon, auch aus Gesprächen mit Journalisten, aber auch mit den Politikern aus der Werchowna Rada, denke ich, würde das als Rückschlag natürlich auch aus der internationalen Sichtweise betrachtet werden.

Wir bewertet man in Deutschland den Streit innerhalb des ‚orange Lagers’, dass sich die einstigen Verbündeten nicht einigen können?

Ich denke, hier müssen persönliche Interessen zurückgestellt werden für das Ziel, die Zukunft der Ukraine zu gestalten, demokratisch, sozial, aufgeschlossen und gerecht, und deswegen sind die Führer und die Führerinnen der ‚orange Revolution’ aufgefordert, Egoismen zu überwinden und sich einer gemeinsamen Sache, nämlich der Zukunft des Landes, verpflichtet zu fühlen.

Wird sich Ihrer Meinung nach die Politik Deutschland gegenüber der Ukraine ändern, falls die politische Kraft, die Janukowytsch unterstützt, die Parlamentswahl gewinnt?

Ich denke, das ist ein Ergebnis einer demokratischen Wahl. Diese Wahl wird - wir werden Beobachter aus der europäischen Szene zu Gast haben - fair und frei sein. Und faire und freie Wahlen haben dann alle zu akzeptieren. Es wird sehr auf die Inhalte einer politischen Vereinbarung ankommen, aber noch ist das auch nicht so, dass orange und blau zusammenarbeiten müssen. Orange hat nach wie vor eine Chance, aber das ist dann eine Sache der Ukraine und die Europäer, auch Deutschland, werden mit einem demokratischen Wahlergebnis aktiv und konstruktiv umgehen.

Wie bewerten Sie die Äußerung von EU-Kommissar Verheugen, wonach in 20 Jahren alle europäischen Länder Mitglied der EU sein werden – mit Ausnahme der Nachfolgestaaten der Sowjetunion, das heißt also: auch mit Ausnahme der Ukraine?

Ich denke, man sollte Herrn Verheugen, der Sozialdemokrat ist, und ich werde das auch tun, bitten, in die Ukraine zu reisen und sich vor Ort über den Fortgang der Dinge zu informieren. Natürlich ist hier noch viel auf den Weg zu bringen. Aber ich bin mit vielen deutschen Politikern der Auffassung, dass die Ukraine eine europäische Perspektive hat, wenn sie sich den Standards entsprechend anpasst und wenn sie hart an ihrer Zukunft arbeitet und Probleme der Vergangenheit überwindet. Wir haben sicherlich im Augenblick keinen Zeitplan anzubieten, aber ich denke, dass die europäische Perspektive der Ukraine eindeutig ist.

Welche Rolle spielt die Ukraine Ihrer Ansicht nach in Osteuropa?

Ich glaube, die Ukraine muss nach der ‚orange Revolution’ ihre Rolle als regional bedeutende Macht finden. Sie muss auch ihr Selbstbewusstsein im Zusammenhang mit dem großen Nachbarn Russland finden. Sie muss die Unübersichtlichkeiten der Gasverträge überwinden und sich eben auch sozial und wirtschaftlich weiterentwickeln. Ich habe gesehen, dass es in Deutschland großes Interesse gibt an wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Zur gleichen Zeit, als ich in Kiew war, war zum Beispiel eine Konferenz von Angehörigen der deutschen Bauwirtschaft mit ukrainischen Bauindustriellen. Auch hier sind gute Zeichen vorhanden, handels- und wirtschaftspolitisch vorwärts zu kommen und die Ukraine als europäisches Land zu stabilisieren und ihr eine Zukunft zu geben. Aus Deutschland wird es an Unterstützung nicht fehlen, insbesondere, und das habe ich ja vertreten, aus dem deutschen Parlament heraus.

Reicht Ihrer Meinung nach die Politik der Europäischen Union aus, was die europäische Zukunft der Ukraine betrifft?

Ich bin der Auffassung, dass Europa stärker, auch die Europäische Union, mit der Ukraine zusammenarbeiten soll, dass man hier auch bilaterale Initiativen ergreifen soll. Deutschland wird das tun. Der Außenminister ist am 28. Februar in der Ukraine, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses folgt einen Tag später. Vor den Wahlen wird man inhaltlich nichts Entscheidendes voranbringen, aber nach den Wahlen, wenn sich die Dinge in der Ukraine geklärt haben. Und so hoffen wir, dass die ‚orange Revolution’ eine zweite Chance bekommt, dass dann auch die Nachbarn, und Deutschland wird das sicherlich tun, ihre Aktivitäten für eine gute Zusammenarbeit und für eine europäische Zukunft mit einer eigenständigen Ukraine fortführen können.

Das Interview führte Wolodymyr Medyany
DW-RADIO/Ukrainisch, 27.2.2006, Fokus Ost-Südost