Walker: "Chemiewaffen weltweit eliminieren"
1. Dezember 2013Am Montag (2. Dezember 2013) erhält Paul Walker den "Right Livelihood Award" - auch bekannt als Alternativer Nobelpreis - für seinen jahrzehntelangen Einsatz für die Zerstörung aller chemischen Waffen weltweit. Die Right Livelihood Award-Stiftung schreibt, der 67-Jährige habe entscheidend dazu beigetragen, "dass mehr als 55.000 Tonnen chemischer Waffen zerstört worden seien." DW sprach mit ihm über seine Arbeit und über das, was noch zu tun ist.
Deutsche Welle: Was bedeutet die Auszeichnung für Ihr Anliegen, Chemiewaffen zu zerstören?
Paul Walker: Der Preis wird eine große Hilfe dabei sein, Chemiewaffen weltweit zu eliminieren. Die USA und die Russen sind schon seit den frühen 1990er-Jahren mit ihren riesigen chemischen Vorräten aus Zeiten des Kalten Krieges beschäftigt. Aber wir bekommen nicht viel Medienaufmerksamkeit.
Der Preis wird helfen, das öffentliche Bewusstsein zu wecken und zusätzlich Druck auszuüben auf Nicht-Mitgliedsstaaten der Chemiewaffenkonvention, wie Israel, Ägypten, Nordkorea, Myanmar, Südsudan und Angola, diesem Abkommen beizutreten. Bezogen auf die unmittelbare Zukunft hilft der Preis auch dabei, ein größeres Augenmerk auf den Ernst der Lage in Syrien zu lenken.
Woher kommt Ihr Interesse an Chemiewaffen?
Es gab da ein Erlebnis in den frühen 1990er-Jahren, das mein Interesse an Chemiewaffen weckte: Ich hatte das Glück, die erste amerikanische Inspektion russischer Chemiewaffen vor Ort zu organisieren. Im Juli 1994 schaute ich mir mit dem Vizeverteidigungsminister und zwei Kongressabgeordneten eines der größten russischen Vorratslager in den Steppen Sibiriens an.
Wir waren verblüfft über die Größe des Lagers, obwohl wir es ja auf Satellitenbildern gesehen hatten. Die Waffen waren sauber und einsatzbereit. Es gab mehr als zwei Millionen Granaten mit Nervengift. Es gab wenig Schutz und keine Inventarliste. Uns war klar, dass wir uns beeilen mussten, Russland zu helfen, die Sicherheit vor Ort zu verbessern und mit ihnen zusammen ein Vernichtungsprogramm auszuarbeiten. Heute, fast 20 Jahre später, ist das Lager zu etwa 75 Prozent zerstört. Das hat mich bestärkt, mich auf Chemiewaffen zu konzentrieren, ehe sie in andere Länder verschwinden oder in die Hände von Terroristengruppen gelangen.
Im Falle Syriens scheint ein Jahr eine völlig unrealistische Frist für die Zerstörung der Chemiewaffen - vor allem wenn man bedenkt, dass die USA und Russland Jahrzehnte brauchten.
Es ist ein ehrgeiziger Zeitplan. Die USA arbeiten seit 23 Jahren daran - der erste Vernichtungs-Standort wurde 1990 in Betrieb genommen und etwa zehn Prozent der Vorräte sind noch da. Die Russen arbeiten seit elf Jahren daran. Aber man muss bedenken, die russischen und amerikanischen Vorräte waren viel größer: 40.000 Tonnen in Russland und 28.500 Tonnen in den USA - und vielleicht nur 1000 Tonnen in Syrien.
Wenn ich "nur" sage, ist das relativ, es ist immer noch eine riesige Menge. Wenn die Vorräte zum größten Teil nicht in Waffenform vorliegen, sondern als chemische Ausgangsstoffe, die man auch in der Industrie benutzen könnte, kann man das alles relativ schnell vernichten. Die schwierige Frage ist, wie viel des Vorrats bereits als Waffe vorliegt und ob diese Waffen Sprengstoff und Raketentreibstoff beinhalten. Das ist eine viel gefährlichere und riskantere Operation.
Ist es in den vergangenen 20 Jahren einfacher geworden, Chemiewaffen zu zerstören?
Zunächst haben nur die USA und Russland vereinbart, ihre Vorräte zu zerstören. Das war in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren ein wichtiger Schritt, da diese beiden Staaten 95 Prozent der existierenden Chemiewaffenvorräte besaßen.
Heute sind 190 Länder der Chemiewaffenkonvention beigetreten. Alle haben sich bereit erklärt, ihre gesamte chemische Industrie inspizieren zu lassen. In diesen Ländern kann man nicht nur Vorräte zerstören, sondern man hat auch ein Auge auf die kommerzielle chemische Industrie, damit Chemiewaffen in keiner Form wieder auftauchen.
Zudem sind die Technologien heute sehr viel besser als in den 1990er-Jahren. Alles zu verbrennen war damals die einzige wirkliche Wahl. Heute gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, die Stoffe zu neutralisieren. Es gibt Sekundärbehandlungen und auch mobile Technologien, die man zum Beispiel in Russland und China für alte, aufgelassene Chemiewaffen angewendet hat. Davon wird Syrien profitieren können.
Glauben Sie, dass Sie eine Welt ohne Chemiewaffen noch erleben werden?
Das hängt natürlich davon ab, wie lange ich noch lebe! Aber ich erwarte, dass die amerikanischen und russischen Vorräte in den nächsten zehn Jahren vernichtet sein werden, die syrischen in ungefähr einem Jahr. Dann bleibt noch die Frage, wie lange der Irak braucht, um seine verbliebenen Mittel zu zerstören, die in zwei großen Bunkern lagern. Das wird ein hochkompliziertes Programm, teuer und gefährlich.
Dann hängt es davon ab, ob wir alle übrigen Länder - vor allem Nordkorea - dazu bekommen mitzumachen. Ich bin optimistisch, weil wir in den letzten 20 Jahren so viele Fortschritte gemacht haben - da sollten zehn Jahre ausreichen, um den Job zu beenden und Chemiewaffen adieu zu sagen, während hoffentlich die Aufsicht der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen bestehen bleibt.
Die Eliminierung einer ganzen Kategorie von Massenvernichtungswaffen ist auch ein gutes Zeichen für die Vernichtung von Atom- und biologischen Waffen. Mindestens 25 oder 30 Länder fehlen noch in der Biowaffenkonvention. Die Nichtverbreitungsabkommen müssen allgemeingültig sein. Befreit von diesen gigantischen, inhumanen und willkürlichen Waffen wird die Welt viel sicherer.
Welche anderen Länder haben noch Giftgasvorräte?
Wir wissen nur von Syrien und Nordkorea. Es wird behauptet, dass Israel und Ägypten Vorräte haben könnten, aber dafür habe ich noch keine Beweise gesehen. Ich denke auch eher, das trifft nicht zu, denn sie wissen, dass ihnen diese Waffen nicht wirklich nutzen würden, sondern eher eine politische Belastung sein könnten. Israel und Ägypten möchte ich wirklich nahelegen, dem Abkommen beizutreten, jetzt, wo Syrien der Chemiewaffen-Konvention beigetreten ist.
Paul Walker ist Direktor für "Environmental Security and Sustainability" beim Grünen Kreuz.
Das Interview führte Ben Knight