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Wahlkampfauftakt im Irak

Georg Matthes16. Dezember 2004

Sechs Wochen vor den Parlamentswahlen im Irak hat offiziell der Wahlkampf begonnen. Doch noch immer wird um die Kandidatenlisten gefeilscht. Der Termin für die Wahlen Ende Januar steht auf wackligen Füßen.

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Iraks Parteien setzen sich ins BildBild: AP

Es ist ein logistisches Mammutprojekt. Etwa 70 Parteien und Einzelkandidaten bewerben sich um 275 Sitze im Nationalrat des Irak, so viel ist nach Ablauf der Bewerbungsfrist sicher. Wie viele Parteien und Direktkandidaten tatsächlich am 30. Januar auf dem Wahlzettel stehen ist aber unklar, denn ganz abgeschlossen ist die Registrierung noch nicht. Auf Grund der katastrophalen Sicherheitslage im Irak musste die Übergangsregierung in Bagdad immer wieder nachbessern. Für die Parteien in den sunnitischen Provinzen im Nordwesten des Iraks wurde jetzt die Frist ein zweites mal, bis zum 20. Dezember verlängert.

Die schiitische Liste

Demonstration in Basra
Die Liste "Vereinigte irakische Allianz" wird von Großayatollah Ali Sistani unterstützt.Bild: AP

Ganz anders sieht es bei den Schiiten im Irak aus. Sie stellen mit rund 60 Prozent die Mehrheit im Irak und haben gute Chancen einen Großteil der Sitze in der Nationalversammlung zu gewinnen, erklärt Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Universität Duisburg-Essen. Bereits in der vergangenen Woche präsentierten die schiitischen Parteien eine Sammel-Liste mit 228 Bewerbern. Neben den größten schiitischen Parteien umfasst die so genannte Vereinigte Irakische Allianz auch den Höchsten Rat für die Islamische Revolution im Irak. Selbst der radikale Prediger Muktada al-Sadr unterstütze die Partei, sagt Hippler, auch wenn dessen Bewegung nicht offiziell registriert ist.

Es geht um die Verfassung

"Wie stark die schiitische Partei aber wirklich ist, wird sich erst in den kommenden Wochen zeigen", sagt der Irak-Experte Yahia Said. Der Großteil der Bevölkerung sei schlecht informiert, nur wenige wüssten, dass sie bei diesen Wahlen auch über die künftige Verfassung des Irak abstimmen werden. Das könnte das Ergebnis erheblich beeinflussen, so der Wissenschafter an der London School of Economics. "Die Schiitische Liste hat die ethnische Karte gezückt, aber ob alle Schiiten am Ende anbeißen ist nicht sicher", sagt Said. Einigen Schiiten sei die Liste, auf der ganz oben auch der Exil-Iraker Achmed Tschalabi steht, zu nah an der Besatzungsmacht USA. Außerdem würden viele fürchten, dass man versuchen könnte den Irak nach dem Vorbild des Nachbarlandes Iran zu einer Art schiitischem Gottesstaat umzugestalten.

Die säkulare und kurdische Liste

Irak Kurdistan Flagge Nowruz Neujahrsfeier
Eine Kurdische Flagge weht über dem Dukan Fluß im Nord-Irak.Bild: AP

Vor allem die nicht-religiösen Parteien im Irak können davon profitieren. Jeder dritte Kandidat auf den Parteilisten muss eine Frau sein und das kommt auch bei einigen säkular eingestellten Schiiten gut an. Doch nach Meinung von Jochen Hippler stehen die Chancen für die säkularen Parteien im Irak schlecht. "Die Kommunistische Partei und die Partei um Ministerpräsident Ijad Allaui sind zwar in der Bevölkerung sehr beliebt, aber ihnen fehlt das Geld um sich jetzt im Wahlkampf durchzusetzen". Auch der Plan der Kommunisten sich mit den kurdischen Parteien zusammen zu schließen scheiterte. Stattdessen werden die Kurden mit einer reinen Kurdistan-Liste in den Wahlkampf ziehen. "Im kurdischen Teil des Irak kann die Liste um die beiden großen kurdischen Parteien mit 95 Prozent der Stimmen rechnen", so Hippler.

Sorgenkind Sunniten

Flüchtlinge bei Falludscha
Flüchtlinge in der Sunniten-Hochburg Falludscha.Bild: AP

Einzig die sunnitischen Parteien haben noch immer keine einheitliche Position zu den Wahlen gefunden. "Die Chancen, dass sich der sunnitische Teil der Bevölkerung bis Ende Januar in Listen zusammenschließt ist sehr gering", sagt Jochen Hippler, denn die Sunniten hätten zurzeit ganz andere Probleme. Viele Städte, wie die Sunniten-Hochburg Falludscha, liegen in Schutt und Asche. Die Menschen seien verbittert und fühlen sich als Opfer amerikanischer Politik. Schon jetzt rufen einflussreiche Gruppen bei den Sunniten zum Wahlboykott auf. Wer in einigen sunnitischen Krisengebieten trotzdem wählen geht, muss damit rechnen, von den Aufständischen umgebracht zu werden. "Wird die Wahl am 30. Januar einfach durchgezogen, stößt man die Sunniten vor den Kopf und gefährdet ihre Integration", sagt Hippler. Ein Boykott würde deshalb nicht nur die Legitimation des neuen Parlaments in Frage stellen, sondern auch die Zukunft des ganzen Landes.