FDP hält sich mehrere Türen offen
19. September 2021"Unser Staat funktioniert oft nicht. So wie es ist, darf es nicht bleiben." Dieser Befund steht im Wahlaufruf der Freien Demokraten (FDP), der eine Woche vor der Bundestagswahl am 26. September auf einem Sonderparteitag in Berlin beschlossen wurde. Spitzenkandidat Christian Lindner, zugleich Parteivorsitzender und Fraktionschef im Bundestag, betont seit Monaten seinen Willen, Teil der künftigen Bundesregierung zu werden. Einer Regierung, die wahrscheinlich aus drei Parteien bestehen wird.
Lieber Union als SPD
Aktuellen Wahlumfragen zufolge dürfte die künftige Regierung von den Sozialdemokraten (SPD) oder den Christdemokraten (CDU) angeführt werden. Deren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz und Armin Laschet spekulieren mehr oder weniger offen darauf, die Liberalen im Bedarfsfall auf ihre Seite ziehen zu können. Je nach Wahlausgang könnte die SPD dann Teil einer sogenannten Ampel-Koalition mit SPD und Grünen werden oder eines "Jamaika-Bündnisses" mit der CDU, ihrer bayrischen Schwesterpartei CSU und Grünen. Beides ist für die FDP verlockend und riskante zugleich .
Denn in beiden Fällen würden die Liberalen nach aktuellen Prognosen die kleinste Fraktion in der Regierung. Deshalb müsste sie inhaltlich wohl mehr Kompromisse schließen, als ihre Koalitionspartner. "In vielen Grundüberzeugungen steht uns die Union näher als Rot-Grün", sagte FDP-Chef Lindner auf dem Sonderparteitag kurz vor der Bundestagswahl. Eine Koalitionsaussage vermied er aber.
Steuererhöhungen könnten Knackpunkt sein
Lindner sieht seine in Wahl-Prognosen aktuell zwischen 12 und 13 Prozent taxierte Partei als "Garant für die Mitte" in Deutschland. Die Union allein habe nicht die Durchsetzungskraft, um einen weiteren Linksdrift in Deutschland zu verhindern. SPD und Grüne seien ohnehin offen nach ganz links: "In dieser Situation wächst uns Freien Demokraten eine besondere Verantwortung zu."
In einer Ampelkoalition dürfte es für die FDP besonders schwer werden, dieser selbst gewählten Verantwortung gerecht zu werden. Denn eines schließt die FDP im Falle einer Regierungsbeteiligung aus: Steuererhöhungen. SPD und Grüne aber wollen vermögenden Menschen und Unternehmen genau das abverlangen. Die Union dagegen tendiert ebenfalls zum Verzicht auf Steuererhöhungen. Allerdings müssten dann auch die Grünen mitziehen, denen das wohl leichter fiele als der SPD.
Ist es immer noch "besser, nicht, als falsch zu regieren"?
Je geringer der Abstand zu den Grünen ist, desto besser dürfte die Position der FDP in möglichen Koalitionsverhandlungen sein. Momentan liegen die Liberalen in Umfragen drei Prozentpunkte zurück. "Wenn wir diesen Abstand verkürzen, dann haben wir die Chance, Einfluss zu nehmen auf die Koalitionsbildung und auf die Inhalte, die dann in einer neuen Regierung zum Tragen kommen", sagte Lindner.
Diese Gelegenheit hatte die FDP auch schon nach der Bundestagswahl 2017, aus der sie mit 10,7 Prozent der Stimmen stärker hervorgegangen war als die Grünen (8,9). Trotzdem entschied man sich nach wochenlangen Gesprächen gegen eine Regierungsbeteiligung. Mit dem Bonmot "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren" verabschiedeten sich Lindner und die FDP für vier Jahre in die Opposition.
"Keine Linksverschiebung mit uns"
Nach dem Wahlsonntag am 26. September könnte der 42-Jährige erneut vor der Frage stehen, wie er es mit einer Jamaika-Koalition hält. Oder eben mit einer Ampel-Koalition.
Dass er sich diesmal anders entscheiden könnte, darauf deutet eine Passage am Ende des Wahlaufrufs hin: "Nicht alles, was wünschenswert ist, wird sofort realisierbar sein", heißt es da. "Es zeichnet sich eine veränderte politische Landschaft ab. Sie erfordert von uns allen neuen Respekt vor Unterschieden, die Bereitschaft zum Kompromiss und zum Lernen voneinander. In dieser Lage sind die Freien Demokraten bereit, Verantwortung für unser Land zu übernehmen."
Man werde aber nur in eine Regierung eintreten, die einen Kurs der Mitte garantiere und die auf die Herausforderungen der Zeit mit dem Vertrauen auf Marktwirtschaft, Rechtsstaat und Europa antworte, sagte Lindner: "Eine Linksverschiebung der Politik in Deutschland wird es mit uns nicht geben."