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Politik

Die Deutschtürken als Zünglein an der Waage

Gezal Acer
24. März 2017

Gut 1,4 Millionen Deutschtürken können ab Montag ihre Stimme für das Verfassungsreferendum in der Türkei abgeben. Die Wähler sind politisch gespalten, viele haben Wissenslücken, meint Türkei-Experte Yaşar Aydın.

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Türkei Referendum Stimmzettel
Bild: picture-alliance/AA/R. Aydogan

Am 16. April stimmen die Türken über eine Änderung ihrer Verfassung ab. Hauptfrage ist, ob der türkische Staatspräsident künftig mit mehr Machtbefugnissen ausgestattet ist. Auch Türken in Deutschland können an der Abstimmung teilnehmen - vom 27. März bis zum 9. April werden hierzulande Wahllokale geöffnet. Wie entscheiden sich die türkischen Wähler hierzulande? Sind sie gut informiert? 

Deutsche Welle: Herr Aydın, das Volk soll entscheiden, ob der türkische Präsident mehr Machtbefugnisse bekommt. Welche Rolle spielen die Deutschtürken bei diesem Referendum?

Yaşar Aydın: Eine wichtige Rolle. In Deutschland leben 1,4 Millionen stimmberechtigte Wähler und Wählerinnen. Ihre Stimmen werden für das Referendum entscheidend sein. Die Stimmung für ein klares "Ja" fehlt zurzeit. Daher ist man in Ankara nervös. Es kommt auf jede Stimme an.

Sind die türkischen Wähler in Deutschland über die Politik in der Türkei und die Auswirkungen eines Referendums ausreichend informiert?

Yasar Aydin Türkei Experte bei SWP Berlin
Dr. Yaşar Aydın lehrt an der Evangelischen Hochschule in Hamburg.Bild: privat

Ich denke nicht, dass es an Informationen mangelt. Das Problem ist eher, dass es Vielfältigkeit fehlt und an der Möglichkeit, bestimmte Entwicklungen richtig einzuordnen. Das liegt daran, dass in der Türkei eine starke Polarisierung vorherrscht und in dieser Situation achtet man nicht so sehr darauf was gesagt wird, sondern wer etwas sagt. Und das führt dazu, dass Menschen nicht mehr zuhören, wenn in Anführungszeichen die "falschen Leute” etwas sagen.

Wie informieren sich Deutschtürken über die Politik in der Türkei?

Sie informieren sich übers Fernsehen, Zeitungen, vielleicht ein bisschen weniger, aber auch über Online-Ausgaben von Zeitungen und über Facebook. Wie ich vorhin angedeutet habe, kann man schon sagen, dass die meisten Sendungen im Fernsehen regierungsnah sind. Aber diese Sendungen informieren die Menschen auch. Es kommt darauf an, wie man diese Informationen einordnet und interpretiert. Und da gibt es eben die Entwicklung, dass die Medien zu stark die Perspektive der Regierung abbilden. Es müsste mehr Meinungsvielfalt und Polarität geben. Die Stimmen derer, die Nein sagen, werden nicht gehört. Diese Menschen haben nicht immer die Möglichkeit, ihre Meinung mitzuteilen. Das funktioniert nicht so gut.

Was sind die ausschlaggebenden Kriterien, beim Referendum mit Ja oder Nein zu stimmen?

Die Wähler werden eher nach Bauchgefühl und politischer Haltung votieren. Diejenigen, diegegen die AKP oder gegen Erdogan sind, werden mit Nein stimmen. Und von denjenigen, die tendenziell mit Nein stimmen werden, wissen viele nicht, worum es eigentlich geht. Was Details angeht, haben sie große Wissenslücken. Auf der Seite derjenigen, die mit Nein stimmen, heißt es oft, eine Verfassungsänderung sei ein Ausverkauf der säkularen Republik und der Beginn von Scharia, Gottesstaat, Dunkelheit und Finsternis. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die tendenziell mit Ja stimmen werden. Diese erhoffen sich meist, dass eine Verfassungsänderung die territoriale Integrität der Türkei sichert und dass das der Wirtschaft zu Gute kommen wird.

Die Verfassungsänderung wird scharf kritisiert. Die türkische Opposition befürchtet, dass das Referendum in eine Diktatur führt. Bekommen auch die türkischstämmigen Wähler hierzulande diese Bedenken mit?

Ja schon. Aber nur diejenigen, die ohnehin gegen die Verfassungsänderung sind. Nicht diejenigen, die jetzt mit dem Gedanken spielen, mit Ja zu votieren. Die glauben nicht daran. Die Kritik derjenigen, die gegen eine Verfassungsänderung sind, ist berechtigt: Sie sagen, es besteht die Gefahr einer Diktatur oder zumindest eines Demokratieabbaus. Die Opposition tut sich schwer, religiöse und konservative Wähler zu erreichen. Sie haben keinen Zugang zu diesen Leuten.

Türkischer Wahlkampf in Deutschland

Einige Wahlkampf-Veranstaltungen türkischer Minister wurden abgesagt. Das haben viele deutschtürkische Wähler sehr emotional aufgefasst. Wie könnten sich die Absagen auf den Ausgang des Referendums auswirken?

Das hat bei vielen Menschen eine Trotzreaktion hervorgerufen. Es hat sie darin bestätigt, dass die AKP im Recht ist. Es kann sein, dass viele Deutschtürken gerade wegen dieser Ereignisse mit Ja votieren werden. Aus einer Mischung von Solidarität und Überzeugung heraus. Viele konservative, nationalistische und religiöse Deutschtürken finden es ungerecht, dass die PKK und die HDP in Deutschland Wahlveranstaltungen abhalten können, aber nicht die türkische Regierung. Es ist durchaus möglich, dass dies diese Wählergruppe bestärkt hat, jetzt erst recht mit Ja zu stimmen. Der Streit um die Wahlveranstaltungen wird sicher ein paar Prozentpunkte bringen. Aber diejenigen, die gegen eine Verfassungsänderung sind, die werden sich davon nicht beeinflussen lassen.

Wie beeinflusst die Berichterstattung in den deutschen Medien das Wahlverhalten der Deutschtürken?

Ich glaube nicht, dass die deutschen Medien auf das Wahlverhalten der Türkischstämmigen in Deutschland einen großen Einfluss haben werden. Es gibt zu wenige, die deutsche Zeitungen lesen. Aber auch hier muss man differenzieren. Die negative Berichterstattung, die Kritik, die starke Präsenz führt bei den Konservativen zu Trotzreaktionen. Viele denken, dass Erdogan vom Westen nicht deswegen angefeindet wird, weil er Menschenrechte missachtet, sondern weil er die Türkei stark macht.

Das Gespräch führte Gezal Acer.

Der Soziologe und Volkswirtschaftler Yaşar Aydın ist Mitglied des Hamburger Türkei-Europa-Zentrums und lehrt zurzeit an der HafenCity Universität Hamburg und Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie.