Wahlen in Russland: Die Frau, die Putin herausfordert
21. Dezember 2023Wladimir Putin stellt sich im März 2024 zur Wiederwahl. Das gab Russlands Staatschef beinahe nebenbei bekannt. Nach einer Soldatenehrung verkündete Putin Mitte Dezember, was alle längst erwartet hatten: zum fünften Mal wird er ins Rennen um das Präsidentenamt gehen. Völlig überraschend war dagegen eine Ankündigung wenige Wochen zuvor: Eine junge TV-Journalistin aus Rschew, einem 60.000-Einwohner-Städtchen westlich von Moskau, will gegen den Dauerherrscher antreten.
Ekaterina Duntsova ist 40 Jahre alt und alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Sie sagt: "Heute ist die Situation in Russland so: Wer die Bürger mit demokratischen Ansichten bei den kommenden Wahlen vertreten könnte, sitzt entweder im Gefängnis oder wird in seinen Rechten beschnitten, strafrechtlich verfolgt oder ins Exil gedrängt." Sie wolle eine echte Alternative bieten. "Warum nicht eine Frau als Präsidentin, als Symbol für Sanftheit, Freundlichkeit und Gefühle?" fragt Duntsova im Gespräch mit der DW.
Marionette des Kreml oder aufrichtige Kandidatin?
Bis zu einer Kandidatur ist es jedoch ein weiter Weg. Wladimir Putin wurde von seiner nationalistisch-konservativen Regierungspartei "Einiges Russland" nominiert. Eine solche Parteinominierung hat Duntsova nicht. Um offiziell als Kandidatin registriert zu werden, muss sie bis zum 31. Januar 2024 insgesamt 300.000 Unterschriften von Unterstützenden sammeln. Das ist kein leichtes Unterfangen für eine Frau, die bislang lediglich als Regionalpolitikerin tätig war.
Als Duntsova ihren Plan verkündet hatte, musste sie sogleich ihre Haltung sie zu der "militärischen Spezialoperation" in der Ukraine erklären. Duntsova tritt für Frieden ein, ohne den Krieg in der Ukraine als solchen zu bezeichnen. Sie wägt jede Äußerung sorgfältig ab, um nicht gegen das Gesetz zur "Diskreditierung der russischen Armee" zu verstoßen. Andernfalls könnte ihr eine langjährige Haftstrafe drohen. Bisher bekam sie keine Konsequenzen zu spüren. Doch genau das nährte bei Kritikern den Verdacht, Duntsova sei eine "Spoiler-Kandidatin" des Kreml. So nennt man Scheinkandidaten, die mit Putins Billigung aufgestellt wurden, damit der Präsidentschaftswahlkampf wie ein echter Wettbewerb aussieht.
Abbas Galjamow sieht allerdings "keinen Grund zu der Annahme, dass Duntsova nicht aufrichtig handelt". Der ehemalige Redenschreiber von Wladimir Putin hatte 2010 mit dem Präsidenten gebrochen und lebt heute als politischer Analyst im Exil. "Sie hat einen guten Ruf als eine engagierte Person mit aufrichtigen Ideen. Duntsova gilt als Person, die für ihre Ideale kämpft und nicht opportunistische Politik betreibt", sagt er gegenüber der DW.
Holpriger Start für die Bewerberin
Stolpersteine fand die Politikerin auf ihrem Weg bereits einige: Nur wenige Minuten, nachdem Ekaterina Duntsova über ihre Social-Media-Kanäle öffentlich um finanzielle Unterstützung für ihre Wahlkampagne gebeten hat, soll ihre Bank ihr Konto für Geldeingänge gesperrt haben. Dies erklärte sie auf ihrem Telegram-Kanal.
Zu ihrer Nominierungssitzung am 17. Dezember sollen nicht nur 700 Unterstützer gekommen sein, sondern auch die örtliche Polizei. "Plötzlich ging der Strom aus", schrieb sie auf Telegram. "Wir haben sofort per Generator eine Notstromversorgung organisiert." Dann habe der Moderator der Versammlung ihr das Mikrofon abgenommen und darum gebeten, "keine politischen Fragen" zu stellen. "Es wird wahrscheinlich weiterhin kleinere Pannen geben", gibt sich die 40-Jährige kämpferisch, "aber wir werden sie gemeinsam meistern."
Entscheidung im Kreml: Zulassen oder nicht?
Kämpferisch oder nicht - auch als aufrichtige Gegenkandidatin kann Ekaterina Duntsova vom Kreml für dessen Zwecke benutzt oder ganz einfach kaltgestellt werden. Abbas Galjamow sieht zwei Szenarien.
Erstens: Der Kreml lasse Duntsova die nötigen Unterschriften sammeln und sich offiziell registrieren. Dann könne sie dafür genutzt werden, Putins Sieg und vor allem dem Krieg in der Ukraine mehr Legitimität zu verleihen. Wenn Putin angeblich "fair" gegen eine Antikriegskandidatin gewönne, könne er dies wiederum für die russische Propaganda ausschlachten.
Zweitens: Der Kreml lässt eine Kandidatur Duntsovas gar nicht erst zu. "Das Risiko, dass sie zu viel Unterstützung bekommt und zu viele Stimmen gewinnt, ist groß", gibt Galjamow zu bedenken, "vor allem wenn sich während ihres Wahlkampfes die Lage an der Front verschlechtert, was nicht auszuschließen ist." Dann, glaubt der Analyst, würden die Protestwähler sie wegen der Missstände eher wählen. Vielleicht würde sie einen Achtungserfolg erringen. Es sei eher unwahrscheinlich, dass der Kreml das riskiert.
Ein hohes persönliches Risiko
Wie gefährlich es werden kann, Präsident Putin die Stirn zu bieten, dessen ist sich Ekaterina Duntsova bewusst. Auch sie weiß, dass seine schärfsten innenpolitischen Kritiker - Alexej Nawalny, Ilja Jaschin oder Wladimir Kara-Mursa - zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Dennoch gibt sie sich hoffnungsvoll: "Die Aussichten sind vielleicht nicht sehr gut. Wir alle haben gesehen, was mit Leuten passiert, die ihre Position, auf die eine oder andere Weise, kundtun. Sie werden als ausländischer Agent gebrandmarkt oder strafrechtlich verfolgt. Aber ich möchte an das beste Ergebnis glauben", sagt sie gegenüber der DW.
Und sie ergänzt auf ihrem Telegram-Kanal: "Weil ich unser Land liebe, weil ich möchte, dass Russland ein demokratischer, wohlhabender und friedlicher Staat ist. Denn im Moment bewegt sich unser Land in eine ganz andere Richtung: weg von Rechten und Freiheiten, weg von Liebe und Frieden, weg von einer schönen Zukunft."