Ohne das aufmüpfige Volk wäre alles so schön
8. April 2016"Ich habe nicht gewusst, wo ich war. Sie haben mich ausgezogen, gefilmt und gedroht alles ins Netz zu stellen, wenn ich zur Polizei gehe." Die 17-jährige Zouhara erzählt, wie sie im Februar Opfer einer Gruppenvergewaltigung wurde. Trotz der Drohung ging die Oberschülerin zur Polizei und stellte sich der Gefahr. Denn die mutmaßlichen Täter haben mächtige Verbündete. Es sollen der Sohn eines Ministers und vier Generalssöhne gewesen sein. Sie stellten das Video ins Netz.
Daraufhin kam es in der Hauptstadt N'Djamena zu wütenden Straßenprotesten. Die Demonstranten forderten Gerechtigkeit für Zouhara. Ein Student wurde von der Polizei erschossen. Die Polizei nahm neun Verdächtige fest. Der Generalstaatsanwalt Bruno Louapambe Mahouli versprach, den Fall aufzuklären.
Der Fall Zouhara ist nur die Spitze des Eisbergs: Das Vertrauen der Bevölkerung in das Regime von Idriss Déby Itno ist erschüttert - und das obwohl viele nie einen anderen Präsidenten als ihn erlebt haben. Die meisten der 13 Millionen Tschader waren noch nicht einmal geboren als sich Déby vor 25 Jahren an die Macht putschte. Déby, der mehrfach selbst von Putschversuchen und Aufständen bedroht war, klammert sich weiter an sein Amt. Noch darf er als Präsidentschaftskandidat ein weiteres Mal bei den Wahlen antreten. Dafür hat er 2004 die Verfassung ändern lassen, die bis dahin nur zwei Amtszeiten in Folge zuließ. Bei einem Wahlkampfauftritt hat der in Frankreich ausgebildete Offizier mehr Basisdemokratie und mehr Verantwortung für die 23 Verwaltungsregionen versprochen.
Starker Bündnispartner gegen den Terror
Die Armee ist nach wie vor Débys wichtigstes Instrument, um den Vielvölkerstaat mit 200 ethnischen Gruppen zusammenzuhalten. Der Sohn eines Schafhirten gilt zudem als guter Stratege in der Region. Seine Armee half Frankreich in Mali. Jetzt führt sie die regionale Allianz gegen Nigerias Terrorsekte Boko Haram an.
Außenpolitisch ist Déby angesehen wie nie zuvor. Er ist Vorsitzender der Afrikanischen Union, wurde 2014 von Präsident Barack Obama im Weißen Haus empfangen und wird von Frankreich hofiert. Der Grund: Nur Débys Armee scheint dem Terror in der Region gewachsen zu sein.
Die Terrorgefahr kommt aus Nigeria, das im Südwesten an den Tschad grenzt. 2015 geriet auch der Tschad selbst ins Visier der Islamisten. Sie verübten hauptsächlich in der Tschadseeregion Anschläge. Aber auch in N'Djamena sprengten sich im Juni 2015 vier Selbstmordattentäter in die Luft und töteten mindestens 23 Menschen. Obwohl sich keiner zu dem Angriff bekannte, machte die Regierung Boko Haram für die Anschläge verantwortlich. Déby rief den Ausnahmezustand an den grenznahen Gebieten aus. Seine Regierung führte ein Burkaverbot ein und die Justiz im Land reagierte ebenfalls rigoros mit Todesurteilen für die Terrorkämpfer.
Den Regierungsgegnern reicht's
Doch gegen die wachsende Unzufriedenheit im Land hat Déby kein Rezept. Auf Proteste reagierte die Polizei mit willkürlichen Verhaftungen und Versammlungsverboten. Der Sprecher der zivilgesellschaftlichen Plattform "Ça suffit" Mahamat Nour Ibedou fordert Débys Abdankung. Im Februar organisierte die Protestbewegung unter dem Motto "Es reicht, die Stadt steht still" einen Generalstreik, dem sich Tausende anschlossen.
"Er ist jetzt 25 Jahre an der Macht und wir finden, es reicht. Die Bilanz ist katastrophal. Wir wollen Déby nicht erlauben, die Bevölkerung noch weitere fünf Jahre leiden zu lassen", sagt Ibedou. Seine mutigen Worte hatten Konsequenzen. Am Donnerstag forderte die Staatsanwaltschaft in N'Djamena sechs Monate Haft für Ibedou. Das Urteil soll am 14. April fallen.
Derweil hält der Protest an. Beamte fordern mehr Gehalt, Schüler bessere Bildung. Nur ein Drittel der Tschader kann lesen und schreiben. Obwohl seit Beginn der Ölförderung 2003 viel mehr Geld ins Land kommt, gehört der Tschad zu den fünf ärmsten Ländern der Welt. Etwa 60 Prozent der Tschader leiden unter absoluter Armut und müssen mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag auskommen.
Weil der Boko-Haram-Terror den Handel mit den Nachbarn Kamerun und Nigeria bedroht, wird das Leben für die Menschen zudem teurer. Der Krieg verschlingt Geld, das Déby für die Entwicklung einsetzen müsste. Gleichzeitig lässt der Absturz des Ölpreises die Staatseinnahmen schrumpfen wie Butter in der Sonne.
Kritiker fordern: Keine Geldpumpe mehr fürs Militär
Der Oppositionelle Gali Ngothé Ghatta mahnt, Déby müsse aufhören, nur auf militärische Lösungen zu setzen. "Der Tschad gilt als Land der Krieger, und Idriss Déby als ein guter Militär." Déby sei in Mali und in der Zentralafrikanischen Republik eingeschritten, dabei habe der Tschad nicht die Mittel dazu. "Das Geld, das ins Militär investiert wird, fehlt dann in den Schulen, im Gesundheitswesen, im Wohnungsbau. Die Öleinnahmen werden völlig undurchsichtig verwaltet, ohne Mitsprache des Parlaments", so Ngothé Ghatta.
Die Kritik findet Wiederhall in der Bevölkerung. Déby hat bei diesen Wahlen viele Gegenkandidaten. Darunter Oppositionsführer Saleh Kebzabo von der Union für Demokratie und Erneuerung. Er umgarnt die jungen Leute indem er Investitionen in die Bildung verspricht. "Wer den Tschad regiert und nicht begriffen hat, dass die Schulbildung absolute Priorität ist, der hat nichts begriffen", sagt Kebzabo.
Déby hat angekündigt, die fünfte Amtszeit werde seine letzte sein. Einen Nachfolger hat der 63-Jährige nicht aufgebaut. Was nach ihm kommt, ist ungewiss. Für Zouhara, die junge Frau in N'Djamena, ist es aber nicht so wichtig, wer Präsident wird. Er solle nur dafür sorgen, dass ihre Vergewaltiger auch wirklich bestraft würden.