Pakistan immer stärker abhängig von China
25. August 2017US-Präsident Trumps Afghanistan-Strategie beinhaltet Vorwürfe und Drohungen in Richtung Pakistan. Man werde nicht länger hinnehmen, dass Pakistan als Hort und Rückzugsgebiet von Terroristen fungiere, die in Afghanistan Anschläge verüben. Inwieweit ist das ein neuer Kurs der US-Politik?
Die Vorwürfe selber sind nicht neu, das ist seit vielen Jahren Teil der amerikanischen Diskussion beziehungsweise ein Streitpunkt zwischen Pakistan und den USA. Die US-Regierungen haben Pakistan in der Vergangenheit immer wieder aufgefordert, mehr zu tun und gegen alle militanten Gruppen auf seinem Gebiet vorzugehen. Neu ist aber, dass diese Vorwürfe jetzt in dieser Form explizit Teil der US-Politik gegenüber Pakistan und Afghanistan geworden sind.
Pakistan sieht sich von den USA unfair behandelt und beklagt, dass Washington seine Opfer im Anti-Terrorkampf nicht genügend würdige. Zu Recht?
Trump hat den Einsatz Pakistans und die Opfer, die das Land gebracht hat, in seiner Rede durchaus gewürdigt. Tatsächlich hat Pakistan wie kaum ein anderes Land unter verschiedenen terroristischen Gruppen zu leiden. Man muss aber auch sehen, dass ein Großteil dieser militanten Gruppen und dieser Anschläge aus innenpolitischen Konflikten resultieren, denken wir an die Ausschreitungen in Pakistan zwischen Sunniten und Schiiten.
Ein weiterer Teil geht auf die außenpolitische Strategie Pakistans zurück, nämlich in den 90er Jahren die Taliban in Afghanistan aufzubauen, um "strategische Tiefe" für den nächsten Konflikt mit Indien zu gewinnen. Das hat sich als komplett kontraproduktiv erwiesen. Gesellschaft und Staat Pakistans zahlen hierfür einen sehr hohen Preis, denn Teile der Taliban haben sich mittlerweile gegen Pakistan gerichtet und bekämpfen die dortige Regierung. Also in dem Sinne ist das Argument richtig, dass Pakistan am meisten unter Terrorismus leidet, was aber eben auch viel mit den internen Konflikten und politischen Entscheidungen in Pakistan zu tun hat.
Ist der von Trump verlangte Kurswechsel der Politik Pakistans gegenüber Extremismus und Terrorismus realistisch?
Ein Kurswechsel wird schwer zu erwirken sein. Es ist ja faktisch die US-Politik seit 9/11, mit umfangreichen militärischen und finanziellen Mitteln die pakistanische Politik zu ändern. Das hat schon in der Vergangenheit nicht funktioniert. Außerdem ist Pakistan das wichtigste Transitland für die Unterstützung der amerikanischen und westlichen Truppen in Afghanistan. 2011 hatte Pakistan nach einem Zwischenfall an der Grenze zu Afghanistan diese geschlossen, was für die Truppen in Afghanistan ein beträchtliches Problem wurde. Ich fürchte eher, dass die Ankündigung von Trump, die Terroristen überall anzugreifen, vermehrt zu Drohnenangriffen und eventuell auch zu Militäroperationen in Pakistan führen könnte, was wiederum den Konflikt mit den USA anheizen und eine Sperrung der Transitroute zur Folge haben könnte.
Nun behauptet Pakistan, es tue inzwischen alles in seiner Macht Stehende, um den militanten Extremismus in einem Land zu bekämpfen.
Es gibt diesen Wandel zumindest in der pakistanischen Selbstwahrnehmung. Seit mindestens zwei Jahren geht die Armee in den Stammesgebieten gegen alle militanten Gruppen vor, man hat vermutlich auch einen Teil der Infrastruktur zerstört, die man früher mit unterstützt hat. Es herrscht dort momentan eine unklare Situation, weil die pakistanische Armee sagt: Wir haben uns geändert, wir gehen gegen alle militanten Gruppen vor, zumindest an der Grenze zu Afghanistan. Offensichtlich haben aber die Führer dieser Gruppen beziehungsweise ihre Familien immer noch genug Netzwerke und finden Unterschlupf in Pakistan.
Ein zweiter Punkt ist, dass es auch um die aufständischen Gruppen im indischen Teil Kaschmirs geht. Und dazu hat die pakistanische Armee gerade vor wenigen Tagen noch einmal deutlich gemacht, dass der sogenannte Freiheitskampf der Kaschmiris, der von pakistanischen militanten Gruppen und vom pakistanischen Militär unterstützt wird, dass dieser Freiheitskampf eben nicht als Terrorismus gesehen wird. Hier findet offensichtlich kein Umdenken statt.
Die verschiedenen militanten Gruppen, sowohl die in Afghanistan als auch die in Kaschmir agierenden, haben natürlich eine Reihe von gemeinsamen Netzwerken. Und das macht die Sache schwierig, denn Pakistan müsste sich zu einer Politik durchringen, die Terrorismus in jeder Form ablehnt, sowohl als außenpolitisches Mittel gegenüber Afghanistan als auch gegenüber Indien. Und diesen Wandel sehe ich zumindest gegenüber Indien nicht.
China ist Pakistan nach den heftigen Vorwürfen Trumps zur Seite gesprungen. Pekings Top-Diplomat forderte: "Wir müssen die wichtige Rolle Pakistans in der Afghanistan-Frage hoch einschätzen, und wir müssen Pakistans Souveränität und seine Sicherheitsanliegen respektieren." Welche Rolle spielt China in der Konfliktlage?
China ist für Pakistan von überragender außenpolitischer Bedeutung. Es ist der wichtigste internationale Partner, und deshalb hat es mich auch nicht erstaunt, dass von chinesischer Seite ein solches Statement zugunsten Pakistans kommt. Hinzu kommt der chinesisch-pakistanische Wirtschaftskorridor, ein 60-Milliarden-Dollar-Projekt, das die wirtschaftliche Entwicklung des Landes in Gang bringen soll. Auf der anderen Seite bedeutet der potentielle Konflikt mit den USA für Pakistan, dass man mittel- bis langfristig außenpolitischen Handlungsspielraum verliert. In der Vergangenheit hat Pakistan es immer vermocht, zwischen China und den USA zu lavieren. Jetzt sieht es ganz so aus, als würde sich Pakistan zunehmend auf China verlassen, weniger auf die USA. Pakistan begibt sich außenpolitisch und wirtschaftlich in immer größere Abhängigkeit von China.
Auch China muss an der konsequenten Verfolgung des Terrorismus in Pakistan interessiert sein. Trotzdem äußert es sich jetzt sehr verständnisvoll im Zusammenhang mit der Kritik aus Washington, dass Pakistan nicht genug tue.
China arbeitet mit Pakistan bei der Terrorismus-Bekämpfung bereits zusammen. Eine Reihe von militanten Gruppen, die in Chinas westlicher autonomer Region Xinjiang tätig waren, hatten in Pakistan Lager und auch Rückzugsgebiete in Afghanistan und sind bekämpft worden. Und es geht natürlich auch um den Schutz von chinesischen Fachkräften und Staatsangehörigen, auf die es bereits Anschläge gegeben hat. Im übrigen gibt es in China durchaus Stimmen, die argumentieren, dass diese Infrastrukturprojekte, die die wirtschaftliche Entwicklung in Pakistan ankurbeln sollen, auch ein Mittel sind, um dem Extremismus in Pakistan das Wasser abzugraben.
Welche Rolle könnte China angesichts seines starken Einflusses in Pakistan bei einer Lösung des Konflikts in Afghanistan spielen?
Es gab in den letzten Jahren Versuche auf Seiten Chinas, Gesprächsinitiativen zwischen den Konfliktparteien in Afghanistan zu vermitteln. Die sind aber soweit man das verfolgen konnte nicht wirklich weit gediehen. Es gibt auch zurzeit wenig Anzeichen dafür, dass China Pakistan drängt, die Taliban an den Verhandlungstisch zu bringen. Die Zusammenarbeit dürfte immer soweit gehen, dass man den Extremismus in beiden Ländern soweit eindämmt, dass er für das chinesische Staatsgebiet ohne Gefahr bleibt. Ob dahinter eine größere politische Initiative für Afghanistan steht, ist momentan nicht wirklich zu sehen.
Dr. habil. Christian Wagner ist Südasien-Experte und Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.
Das Interview führt Hans Spross.