"Es wird Wiedergutmachungen geben"
31. Mai 2016DW: Frau Wöhrl, wie zufrieden sind Regierung, Parlament und Zivilgesellschaft in Namibia mit den Verhandlungen über die Aufarbeitung des Genozids?
Wir sind momentan in einer sehr entscheidenden Phase, der Dialog ist sehr weit fortgeschritten. Wir haben mit dem Sprecher der Nationalversammlung Gespräche geführt und mit dem namibischen Verhandlungsführer. Ich glaube, es ist alles auf einem sehr guten Weg und wir haben gemerkt, dass beide Seiten großen Wert darauf legen, den Versöhnungsprozess bald abzuschließen.
DW: Sie haben sich ja auch mit Vekuii Rukoro getroffen, einem der traditionellen Herero-Führer, der direkte Verhandlungen mit der Bundesregierung fordert. Was halten Sie davon?
Wir haben uns mit mehreren Königshäusern getroffen. Herr Rukoro hat als einziger die Forderung aufgestellt, dass nicht die beiden Regierungen miteinander verhandeln sollen, sondern dass die Herero und die Nama direkt mit der Bundesregierung verhandeln. Ich habe in meinen Ausführungen dargelegt, dass ich das nicht für einen guten Weg halte. Man hat im Gespräch gemerkt, dass sich die verschiedenen Gruppierungen der Herero auch untereinander nicht einig sind. Dann ist es natürlich sehr schwer, zum Abschluss eines Versöhnungsprozesses zu kommen.
In meinen Gesprächen mit der Regierungsseite hatte ich schon das Gefühl, dass sie Wert darauf legen, alle Bevölkerungsgruppen einzubinden. Sie haben einen technischen Beirat gegründet, in dem sich alle Bevölkerungsgruppen wiederfinden und mit ihren Vorstellungen an die Regierung herantreten können.
Das heißt, die Nachfahren der Opfer sind Ihrer Meinung nach ausreichend in die Verhandlungen eingebunden?
Durch meine Treffen vor Ort habe ich den Eindruck gewonnen, dass sie eingebunden sind. Trotzdem ist es natürlich auch unsere Aufgabe, darauf zu achten, dass ihre Forderungen auch tatsächlich aufgenommen werden. Das war ja auch der Sinn meines Gespräches mit den Königshäusern: Sind sie zufrieden, dass die Regierungen direkt miteinander verhandeln? Werden ihre Forderungen aufgenommen? Der Großteil der Königshäuser hat mir und meinen Kollegen das Gefühl gegeben, dass sie es für den richtigen Weg halten. Sie sagen auch: Dies ist eine gewählte Regierung - und sie vertrauen darauf, dass die Regierung gut für sie verhandelt. Sie haben natürlich auch gesagt, dass sie erwarten, dass das Ergebnis dann auch in ihrem Interesse ist. Sie möchten, dass es auch ihnen zu Gute kommt.
Wenn es aber manche Vertreter gibt, die sehr frustriert sind, dann deutet das ja schon darauf hin, dass sie sich in den Verhandlungen nicht wiederfinden.
Das hat aber nur Chief Rukoro so explizit dargebracht. Die anderen Königshäuser, die sich zu Wort gemeldet haben, hatten eine andere Meinung.
Wie empfinden Sie es als Abgeordnete des Bundestages, dass die Verhandlungen auf Regierungsebene geführt werden - würden Sie sich eine stärkere Einbindung der Parlamente wünschen?
Die Parlamente werden auf jeden Fall eingebunden sein. Es wird eine der großen Sternstunden des deutschen Parlamentes sein, wenn wir über die Ergebnisse des Dialogprozesses diskutieren. Beide Parlamente haben ein großes Interesse daran, eine gemeinsame Sprache und einen gemeinsamen Weg in die Zukunft zu finden. Wir haben sehr gute Beziehungen zu Namibia, Deutschland war das erste Land, das die Unabhängigkeit 1991 anerkannt hat. Namibia ist das Land in Afrika, das die größte Pro-Kopf-Entwicklungshilfe aus Deutschland bekommt - das wollen wir beibehalten.
Bisher hat der Bundestag noch keine Namibia-Resolution verabschiedet. Warum ist es für den Bundestag so schwierig, den Genozid auch jetzt schon als solchen zu bezeichnen?
Wir hatten 1989 einen Entschluss und auch 2004, wo wir anerkannt haben, dass wir eine politische, historische und moralische Verantwortung gegenüber den Herero und Nama haben. Bei der letzten Debatte vor einem halben Jahr hat zum ersten Mal jede Partei das Wort "Völkermord" in den Mund genommen. Aber wir wollen dem Dialogprozess nicht vorgreifen, deswegen sind wir noch nicht zu einer Resolution gekommen. Die Versöhnung, die Aufarbeitung ist ein so wichtiges, moralisch verpflichtendes Thema. Wir wollen, dass das ganze Haus dahinter steht, um auch ein Zeichen zu setzen.
Warum ist das jetzt nicht möglich? Das Haus könnte sich doch auch jetzt zusammenschließen. Es gibt doch einen Konsens, dass der Genozid stattgefunden hat.
Das ist ein Konsens, aber ich glaube, es ist wichtig, dass in diese Debatte auch die Sprachregelung mit einfließt, die zwischen den beiden Regierungen dann ausgemacht ist.
Es gibt von Teilen der Herero Forderungen nach Reparationen für die betroffenen Volksgruppen. Wie sehen Sie das?
Wir wissen, dass es keinen Rechtsanspruch auf Reparationszahlungen gibt. Das ist klar und das muss man auch sehen. Es gibt keine Überlebenden mehr, so dass keine individuellen Ansprüche geltend gemacht werden können. Es ist auch nicht möglich, Reparationszahlungen an Dritte zu leisten. Es wird Wiedergutmachungen geben, davon kann ich ausgehen. Aber wie diese ausgestaltet werden, ob es eine Art "Zukunftsstiftung" geben wird, das müssen die Gespräche ergeben.
Wichtig ist, dass es Zahlungen sind, die dann auch auf die Zukunft ausgerichtet sind. Sie müssen den Nachfahren der Opfer helfen, ein zukunftsgerichtetes Leben mit aufzubauen. Namibia ist ein reiches Land mit einer armen Bevölkerung. Wir wollen natürlich auch gerade die Bevölkerungsgruppen unterstützen, die die Nachfahren der Opfer sind.
Dagmar Wöhrl (CSU) ist die Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestages. Vergangene Woche war der Ausschuss zu Gesprächen in Namibia.
Das Interview führte Daniel Pelz.