"Völlig verheerend": Der Sechstage-Krieg 1967
5. Juni 2017DW: Herr Tamari, welche Umstände haben zum Krieg im Juni 1967 geführt?
Salim Tamari: Der unmittelbare Auslöser bestand darin, dass Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser damals die Straße von Tiran gesperrt hatte, wodurch sich Israel abgeschnitten sah von internationalen Gewässern. Der eigentliche Grund bestand allerdings unter anderem darin, dass Israel die UN-Resolutionen zur Rückkehr der Flüchtlinge von 1948 ständig zurückgewiesen hatte. Außerdem gab es Spannungen an der Grenze zwischen Israel und Ägypten im Gebiet um Gaza.
Der Krieg war nach wenigen Tagen vorbei. Die Folgen dauern an. Welche direkten Auswirkungen hatte der Krieg?
Die Armeen aus Syrien, Ägypten und Jordanien haben eine Niederlage hinnehmen müssen. Außerdem hat Israel die gesamte Sinai-Halbinsel, das Westjordanland inklusive Ostjerusalems und Teile der Golanhöhen in Syrien erobert. Die unmittelbaren Auswirkungen waren nicht nur völlig verheerend für die jeweiligen arabischen Regierungen, sondern auch für die Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen.
Wie hat sich denn das Leben der Menschen danach verändert?
Zwei Dinge haben das tägliche Leben der Menschen verändert: Zum einen hatten Palästinenser im Westjordanland, im Gazastreifen und auf dem Golan auf einmal keinen Zugang mehr zu einem Flughafen. Sie konnten nicht mehr reisen, keinen Handel betreiben und konnten keinen Austausch mehr mit anderen Kulturen pflegen, wie sie es vorher gewohnt waren.
Zum anderen wurden die Märkte des Westjordanlandes und des Gazastreifens in die israelischen Märkte integriert.
Jerusalem wurde formell annektiert, was zur Folge hatte, dass die Palästinenser dort Bewohner Israels wurden. Sie konnten sich freier bewegen als die Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen.
Würden Sie sagen, dass die Palästinenser in Jerusalem ebenfalls annektiert wurden? Sie sind keine gleichberechtigten Bürger Israels. Sie haben keinen israelischen Pass, dürfen dort zwar leben, aber sie dürfen zum Beispiel nur an den Lokalwahlen teilnehmen.
Man hatte die Stadt annektiert, aber nicht die Bevölkerung. Sie mussten einen sogenannten "blauen Ausweis" beantragen und hatten somit einen Status, der zwischen dem der Palästinenser in anderen israelischen Städten und dem der Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen anzusiedeln ist. Sie leben eigentlich schon immer in einer Art Schwebezustand.
Bei meiner letzten Reise nach Jerusalem und ins Westjordanland haben mir sehr viele Palästinenser gesagt, dass sie 1967 nicht losgelöst von den Ereignissen von 1948 sehen können, als der Staat Israel nach einem Krieg gegründet wurde. Können Sie das nachvollziehen?
Viele Palästinenser, die im Westjordanland und in Gaza leben, sind Flüchtlinge aus den Gebieten, die 1948 zum Staat Israel wurden. Palästinenser, die 1967 geflohen sind, leben heute überwiegend in anderen arabischen Staaten. Die Menschen hier sind historisch traumatisiert vom Krieg im Jahr 1948 - für sie bedeutet 1967 etwas ganz anderes: Sie wurden keine Flüchtlinge, sondern Geiseln der Annexion des Westjordanlandes und des Gazastreifens durch Israel.
Ende der 1960er Jahre sind Sie selbst ins Westjordanland zurückgezogen. Wie hat sich die Besatzung und wie haben sich damit die Menschen dort in den vergangenen 50 Jahren verändert?
Der Hauptunterschied zu heute liegt darin, dass man nach dem Krieg 1967 das Gefühl hatte, dass das ein Zustand ist, der für immer anhalten wird. Die arabischen Nationen wurden besiegt, militärisch konnten sie sich nicht mehr erheben. Dann aber kam 1987 die erste Intifada (Aufstand der Palästinenser, Anmerkung der Redaktion) und die Menschen hatten das Gefühl, dass die Besatzung ein Ende finden könnte.
Aber die Ergebnisse der Oslo-Verträge von 1993 waren eine enttäuschende Folge. Denn dort wurde die Fortsetzung der Besatzung in einer anderen Form beschlossen - unter dem Deckmantel sogenannter Autonomie. Die Menschen hatten auf einmal eine andere Vision: Plötzlich ging es nicht mehr um den Kampf für mehr Unabhängigkeit oder eine Zwei-Staaten-Lösung, sondern um einen rechtlichen Kampf.
Es gibt so viele israelisch-palästinensische Friedensbewegungen, bei denen das Ende der Besatzung immer im Vordergrund steht. Können diese Initiativen etwas bewirken, solange die politische Situation sich nicht ändert?
Sie haben tatsächlich nach der ersten Intifada etwas gebracht. Inter-ethnische Solidarität war die Folge, aus der schließlich die Friedensverhandlungen von Oslo hervorgingen. Aber das hat die Menschen mürbe gemacht, denn so etwas wie Oslo wollten viele nicht noch einmal.
Dazu kommt, dass die israelische Friedensbewegung und auch die israelische Linke geschrumpft sind, in der Größe und der Bedeutung. Es gibt natürlich zivilen Ungehorsam und friedliche Proteste. Ich bin der Meinung, dass sie dazu beitragen, eine andere Vision zu kreieren. Aber das kann man momentan noch nicht in politische Handlungen übersetzen.
Was erwarten Sie denn von der internationalen Gemeinschaft, damit die Besatzung ein Ende findet und eine Zwei-Staaten-Lösung gedeihen kann?
Die internationale Gemeinschaft muss sich ganz klar dem Thema der Land-Enteignungen und des Ausbaus der Siedlungen widmen. Außerdem sollte sie eine Atmosphäre schaffen, die Israel dazu bringt, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen. Das alles ist aber bereits bekannt. Aber weder Europa und schon gar nicht die USA wollen diese politischen Themen wirklich angehen.
Salim Tamari wurde 1945 in Jaffa geboren. Er ist Research Associate am Institut für Palästina-Studien und Herausgeber der Fachzeitschrift von Jerusalem Quartely. Außerdem ist er emeritierter Professor der Birzeit-Universität in Ramallah.
Das Gespräch führte Diana Hodali.