Vorzeigeprojekt mit Schattenseiten
30. Oktober 2015Gerade einmal sechs Kilometer sind es von der Türkei bis an die Nordküste von Lesbos. Eineinhalb Stunden bei gutem Wetter, eigentlich kein Problem. Katrin Göring-Eckardt aber sieht mit eigenen Augen, wie die Angst den Frauen und Kindern beim Erreichen des Ufers die Tränen in die Augen treibt. Die meisten sind Nichtschwimmer.
In Empfang genommen werden sie von jungen Spaniern, Briten und Holländern, von denen werden die Flüchtlinge an der Küste betreut. Ein paar Griechen sind auch dort, aber die "kümmern" sich um die Außenbordmotoren der Boote und verwertbare Metallteile, die - wo auch immer hin - abtransportiert werden.
Vom Strand an den Hotspot
Für die Flüchtlinge beginnt am Strand eine Odyssee über die ganze Insel, immerhin die drittgrößte Griechenlands. Kilometerweite Fußmärsche entlang der steilen Küste bis zum ersten Sammelpunkt. Dann per Bus 60 Kilometer in eins von drei Registrierzentren. Moria ist einer der ersten sogenannten Hotspots in der EU, soll ein Vorzeigeprojekt sein. Katrin Göring-Eckardt ist der Schrecken ins Gesicht geschrieben.
Meterhohe Zäune und Stacheldraht sichern einen ehemaligen Militärstützpunkt. Tausende Flüchtlinge campieren tagelang rund um das Lager in einfachen Zelten oder Plastikbehausungen vom UN-Flüchtlingshilfswerk. Menschen warten in langen Schlangen auf Einlass, um sich registrieren zu lassen. Der Leiter des Lagers, Konstantinos Papasoglou, erzählt der Politikerin aus Deutschland voller Stolz, dass man mittlerweile mit Hilfe moderner Technik aus EU-Mitteln pro Tag mehr als 5000 Flüchtlinge Tag registriert.
Zwei Klassen Flüchtlinge
Vor allem Syrer werden hier bevorzugt, genießen als Kriegsflüchtlinge eine Sonderrolle. Viele andere, vor allem Pakistaner, Iraker und Afghanen, gelten dagegen als Abschiebekandidaten. Göring-Eckardt empfiehlt den Konservativen in Europa, die auf solche Hotspots setzen, einen Besuch in Moria. "Man kann Familien mit kleinen Kindern nicht von Lesbos aus zum Beispiel nach Kundus zurückschicken", sagt sie. Asylschnellverfahren seien an einem Ort wie diesem unmöglich.
Reisende soll man nicht aufhalten
Im übrigen ist das auf Lesbos auch gar nicht geplant. Hier wird jeder registriert und darf mit dem Papier in der Hand ein Fährticket kaufen. Nur weg von Lesbos ist die Devise. Tausende warten geduldig tagelang in Zelten oder Hauseingängen in der Hauptstadt Mytilene auf die nächste Fähre Richtung Norden. Es soll so nah wie möglich an die Grenze zu Mazedonien gehen. Dort beginnt die sogenannte Balkan-Route über Land mit Ziel Mitteleuropa. Die Griechen halten Reisende nicht auf. Katrin Göring-Eckardt verlässt Lesbos mit mehr Fragen als Antworten im Gepäck.