Folgen des EuGH-Urteils
8. April 2014Bei Datenschützern dürften nach dem EuGH-Urteil die Sektkorken geknallt haben. Ungewöhnlich deutlich äußerten sich die Luxemburger Richter zur anlasslosen Speicherung der Telekommunikationsdaten: zu gravierend sei der Eingriff in die Grundrechte der Bürger. Sie kippen damit eine Regelung von 2006, die die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet hatte, mindestens sechs Monate lang zu speichern, wer mit wem wie lange telefoniert oder wie viele Emails ausgetauscht hat. Der EU-Gesetzgeber habe beim Erlass der Richtlinie "die Grenzen überschritten", so die Richter in ihrer Begründung.
In Deutschland wird schon seit Jahren erbittert über die Vorratsdatenspeicherung gestritten: Kritiker sprechen von einer drohenden Totalüberwachung der Bürger. Befürworter dagegen argumentieren, dass sie in Zeiten zunehmender Internetkriminalität für die Strafverfolgung nicht mehr verzichtbar ist. Der IT-Experte Felix Freiling von der Universität Erlangen-Nürnberg rechnet damit, dass die Debatte mit dem Luxemburger Urteil neues Futter bekommt: "Das sieht man jetzt schon im Internet, dass darüber wieder intensiv diskutiert wird. Das ist auch wichtig - das Thema gehört in die Öffentlichkeit", sagte er der DW.
Ein Urteil - mehrere Deutungen
Das Luxemburger Urteil könnte aber auch die Diskussion innerhalb der Regierungskoalition neu anheizen: Denn im Moment hat Deutschland als einziges EU-Land derzeit kein Gesetz, das die Speicherfristen für Telekommunikationsdaten regelt. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2010 eine Regelung gekippt, die eine Speicherung von sechs Monaten vorsah - mit einer ähnlichen Begründung wie jetzt der EuGH. Die Unionsparteien dringen schon seit Jahren auf eine Neuregelung und haben die Sozialdemokraten im Koalitionsvertrag darauf verpflichtet, möglichst schnell ein Gesetz auf den Weg zu bringen.
Die mitregierenden Sozialdemokraten dagegen, in deren Reihen es viele Kritiker der Vorratsdatenspeicherung gibt, hatten es damit nicht so eilig: Bundesjustizminister Heiko Maas wollte damit warten, bis Luxemburg geurteilt hat. Nun tritt der SPD-Minister erst recht auf die Bremse: "Es besteht jetzt kein Grund mehr, schnell einen Gesetzentwurf vorzulegen", sagte er vor Journalisten in Berlin. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) stellte dagegen fast zeitgleich und ebenfalls in Berlin klar, dass er weiter Handlungsbedarf sieht: "Ich dränge auf eine rasche, kluge, verfassungsmäßige und mehrheitsfähige Neuregelung."
Der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl sieht das wie sein CDU-Kollege: "Wir werden uns das Urteil jetzt genau ansehen", sagte er der DW. "Und dann wird es noch einmal um die Grundsatzfrage gehen: Können wir auf dieses Rechtsinstrument verzichten? Wir werden noch einmal Experten anhören, die uns sagen werden, dass viele schwere Verbrechen anders gar nicht mehr anders zu bekämpfen sind."
Neuer Fall fürs Bundesverfassungsgericht?
Ein Streit in der Koalition ist also programmiert. Doch ist überhaupt ein Gesetz denkbar, das den strengen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts standhält? Georg Jochum, Europarechtler an der Universität Friedrichshafen, hält das durchaus für möglich: "Eine Vorratsdatenspeicherung per se ist zunächst einmal durchaus mit den Grundrechten vereinbar", sagte er der DW - wenn sie, wie jetzt auch vom EuGH gefordert, auf ein notwendiges Maß beschränkt werde.
Außerdem müssten noch andere, viel wesentlichere Fragen geklärt werden: Nämlich wer zu welchem Anlass wie kontrolliert Zugriff auf diese Daten habe. "Also: Darf ich als Bundeskriminalamt einfach mal gucken, was denn da so gespeichert ist, oder muss das ein Richter entscheiden? Wie konkret kann ich als Betroffener die Verwendung meiner Daten überprüfen? Kann ich im Fall von Missbrauch Schadenersatz verlangen? Das sind alles Fragen, die der Gesetzgeber berücksichtigen müsste.''
Alle Daten löschen?
Die beiden Oppositionsparteien Grüne und Linke dagegen sehen sich in ihrer Haltung bestätigt, die Vorratsdatenspeicherung komplett abzulehnen: "Eigentlich müssten nun alle EU-Staaten die Vorratsdatenspeicherung rückgängig machen und die Daten löschen", sagte Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, der DW. Und kündigte für den Fall, dass es ein neues Gesetz in Deutschland gibt, schon mal vorsorglich Widerstand an: "Wenn hier erneut Grundrechte und Bürgerrechte verletzt werden, dann werden wir dagegen gerichtlich vorgehen." Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, drückte es kürzlich im Bundestag noch etwas süffisanter aus: "Da wünsche ich der Koalition nach der NSA-Affäre eine gute Reise nach Karlsruhe vors Bundesverfassungsgericht."
Trotz der bevorstehenden kontroversen Debatten rechnet auch IT-Experte Felix Freiling fest damit, dass es dieses Gesetz früher oder später geben wird: "Je nachdem, wie man das dann ausgestaltet, wird es dann in der Öffentlichkeit positiver oder negativer gesehen. Aber der EuGH hat in seinem Urteil ganz klare Regeln festgelegt - insofern ist es ein guter Tag für den Datenschutz."
Ob es auf europäischer Ebene eine neue Richtlinie geben wird, ist noch unklar: Die EU-Kommission werde "das Urteil und seine Folgen genau analysieren", sagte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström in Brüssel - und hielt damit alle Optionen offen.