Vor der Europawahl: EU-Staaten verschärfen Asylgesetze
31. Dezember 2023In einem halben Jahr werden die Wahlen zum Europäischen Parlament in allen 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union abgehalten. Die steigenden Zahlen von Zuwanderern und Geflüchteten sowie Asylverfahren gehören laut Meinungsumfragen zu den Hauptthemen im Wahlkampf.
In den drei größten Zielländern für Migrantinnen und Migranten, Deutschland, Frankreich und Italien, ist es deshalb nicht verwunderlich, dass 2023 nationale Gesetze verschärft wurden, um die Anzahl der Ankünfte zu verringern und Abschiebungen zu erleichtern.
Politisch bewegen sich die drei wirtschaftlich stärksten EU-Länder zwar in die gleiche Richtung. Doch die Voraussetzungen sind in jedem Land höchst unterschiedlich. So regiert in Deutschland eine Koalition aus Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen, in Frankreich eine liberale Minderheitsregierung und in Italien eine rechtspopulistische Koalition aus Rechtsextremen und Christdemokraten.
Deutschland
Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) geht man für 2023 davon aus, dass etwa 350.000 der mehr als eine Million Asylbewerber in der EU ihren Erstantrag in Deutschland stellen.
Zusätzlich zu den Asylbewerbern, die hauptsächlich aus Syrien, Afghanistan und der Türkei stammen, wurde rund eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine untergebracht. Die Ampelkoalition hat mit mehreren Gesetzen auf die zugespitzte Lage reagiert.
So soll das "Chancenaufenthaltsgesetz" die legale Arbeitsaufnahme von Migranten und deren Eingliederung verbessern, wenn diese seit mindestens fünf Jahren im Land leben.
Das "Rückführungsverbesserungsgesetz" hingegen soll Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern in ihre Heimatländer oder sichere Drittstaaten beschleunigen. Diese dürfen laut Gesetz nun länger in Abschiebehaft genommen, ihre Wohnungen können einfacher durchsucht und Abschiebungen ohne lange Ankündigungsfristen vorgenommen werden.
Zurzeit gestaltet sich dies in der Praxis schwierig. Von etwa 50.000 zur Ausreise verpflichteten Personen wurden nach Angaben der Bundesregierung im ersten Halbjahr 2023 rund 7900 tatsächlich abgeschoben.
Ein weiteres Gesetz modernisiert das Einbürgerungsrecht in Deutschland. Doppelte Staatbürgerschaften werden zugelassen. Die Wartezeit für eine Einbürgerung wird von acht auf fünf Jahre reduziert. Antisemitismus oder Rassismus des Bewerbers können allerdings zu einer Ablehnung führen.
Frankreich
Die französische Nationalversammlung hat kurz vor Weihnachten ein umstrittenes neues Migrationsgesetz mit den Stimmen des rechtspopulistischen Rassemblement National angenommen. Die Vorsitzende der Partei, Marine Le Pen, sprach von einem ideologischen Sieg für ihre Politik des "Frankreich zuerst".
Der liberale Präsident Emmanuel Macron war im Parlament zwar nicht direkt auf den Rassemblement National angewiesen, aber auf die Stimmen der konservativen Republikaner, die für eine Verschärfung der Vorschriften stimmten.
Nun will Macron das Gesetz vom französischen Verfassungsrat überprüfen lassen. Es sieht vor, dass illegale Einwanderer schneller abgeschoben werden können, der Zugang zu Sozialleistungen für Migranten erschwert und der Nachzug von Familienangehörigen eingeschränkt wird.
Ausländische Studenten sollen künftig eine Kaution hinterlegen, bevor sie nach Frankreich kommen. 70 Prozent der Franzosen sind nach Umfragen für eine Verschärfung der Migrationsgesetze.
Italien
Die rechtspopulistische Koalition unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat unter anderem mit dem Versprechen, die Anzahl der Migranten zu senken, die nach Italien kommen, die Wahlen 2022 gewonnen.
Nun will Meloni Ergebnisse vorweisen. So handelte sie mit der EU ein Rückführungsabkommen mit Tunesien aus, das letztlich aber nicht umgesetzt wurde.
Mit Albanien vereinbarte die Ministerpräsidentin ein Abkommen, das die Auslagerung von zwei Aufnahmezentren mit einer Kapazität von 3000 Personen von Italien nach Albanien vorsieht.
Albanien gilt als sicherer Drittstaat in Asylverfahren und verhandelt mit der EU über einen Beitritt zur Union. Allerdings überprüft das höchste Gericht in Albanien derzeit, ob der Deal mit Italien zulässig ist.
Zudem hat Meloni die Armee angewiesen, Abschiebelager in dünn besiedelten Gegenden Italiens einzurichten. Dort sollen ausreisepflichtige Migranten statt bisher zwölf künftig 18 Monate festgehalten werden können, während die Behörden über ihre Abschiebung entscheiden.
Der Dachverband europäischer Flüchtlingsorganisationen, European Council on Refugees and Exiles (ECRE), kritisiert in seinem Länderbericht zu Italien, dass der reguläre Zugang zu Asylverfahren oft sehr schwer und langwierig sei. Bewerber müssten monatelang auf Termine warten.
Viele Migranten ziehen aus Italien weiter nach Norden, vor allem nach Österreich und Deutschland, um dort Asylanträge zu stellen. Eigentlich wäre Italien nach den sogenannten Dublin-Regeln der EU für die Aufnahme zuständig. Doch Rom weigert sich, Migranten wieder aufzunehmen, die aus Deutschland in das Land ihrer ersten Einreise zurückgeschickt werden sollen.
Griechenland, Ungarn, Österreich und die Niederlande
In Griechenland sind direkte Zurückweisungen von Migranten an den Grenzen oder das Rückführen von Booten in türkische Hoheitsgewässer (sogenannte Pushbacks) eher die Regel als die Ausnahme. Das zumindest schreibt die Hilfsorganisation ECRE aus Brüssel in ihrem Jahresbericht.
Der Zugang zu Asylverfahren ist erschwert, weil Migranten während der Wartezeit auf Anhörungen keine Sozialleistungen erhalten. Für einige Termine werden in Griechenland 100 Euro an Gebühren von den Asylbewerbern verlangt, ein einmaliger Vorgang in der EU.
Ungarn sticht aus den anderen EU-Staaten heraus. Seit 2016 gilt hier Ausnahmerecht an den Grenzen. Die Einreise für Asylbewerber ist fast unmöglich. Verfahren müssen an den ungarischen Botschaften in Belgrad oder Kiew beantragt werden.
Der Dachverband ECRE der Hilfsorganisationen in der EU geht davon aus, dass am dichten ungarischen Grenzzaun rund 150.000 Menschen unmittelbar nach Serbien zurückgeschoben wurden. Sowohl der Europäische Gerichtshof in Luxemburg als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg haben die ungarische Praxis für illegal erklärt. Budapest ignoriert die Urteile.
In den Niederlanden scheiterte die rechtsliberale Regierung an einer Verschärfung der Asylgesetze. Ministerpräsident Mark Rutte trat zurück, weil er eine Beschränkung der Familienzusammenführung von abgelehnten Asylbewerbern nicht durchsetzen konnte.
In Österreich hat das Innenministerium beschlossen, eine Arbeitspflicht für Asylbewerber während ihres Verfahrens einzuführen. Sollten sie gemeinnützige Arbeiten ablehnen, würde ihnen die Unterkunft und die Verpflegung gestrichen.
Europäische Union
Bis April 2024 wollen das Europäische Parlament und der Ministerrat, die Vertretung der 27 EU-Staaten, einen neuen sogenannten Migrationspakt auf den Weg bringen. Diese umfassende Reform der Asylverfahren in der EU soll einige Neuerungen bringen.
Dazu gehören schnelle Asylverfahren direkt an den Grenzen für 30.000 Menschen mit wenig Chancen auf Anerkennung sowie schnelle Abschiebung aus den Grenzlagern. Außerdem ist erstmals eine verbindliche Solidarität der EU-Staaten untereinander vorgesehen.
Bei Überlastung der Ersteinreisestaaten Italien, Griechenland, Zypern, Spanien, Malta oder Kroatien sollen nach einem Quotensystem Migranten im Rest der EU verteilt werden. Bis zur vollständigen Umsetzung aller acht Gesetze aus dem Migrationspakt wird es bis 2026 dauern.
Trotzdem will man mit dem Pakt schon im Wahlkampf für das Europäische Parlament punkten, so die Präsidentin des Parlaments, die Christdemokratin Roberta Metsola aus Malta.
Großbritannien
Ein Blick auf ein Zielland außerhalb der EU: Der britische Premierminister Rishi Sunak hat das "Stoppen der Boote" im Ärmelkanal zu einer seiner politischen Prioritäten erhoben.
Im Jahr 2023 kamen geschätzt 30.000 Menschen in Booten von Frankreich nach Großbritannien. Seit dem Ausscheiden aus der EU hat Großbritannien seine Asylgesetze drastisch verschärft.
Der Plan, Asylverfahren nach Ruanda auszulagern und so Migranten von der Überfahrt auf die britischen Inseln abzuhalten, stockt allerdings. Erst hatte ein britisches Gericht eine Neufassung des Gesetzes nötig gemacht und dann Ruanda nicht den Status eines sicheren Drittstaates zuerkannt, in den Überführungen möglich wären.
Premier Rishi Sunak kündigte an, er werde notfalls internationale Flüchtlingsabkommen überdenken, um die Zahlen der Ankünfte zu senken. Sunak erklärte, er wolle eng mit Italiens rechtspopulistischer Regierung bei der Rückführung von Migranten via Tunesien zusammenarbeiten.