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Von Syrien nach Sinzig

Elizabeth Shoo8. Oktober 2013

Viele Syrer versuchen vor dem Bürgerkrieg in ihrem Land nach Europa zu entkommen - eine beschwerliche Flucht, oft am Rande der Legalität. Die Familie von Dalal Abdulkader hat es nach Deutschland geschafft.

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Dalal Abdulkader, Flüchtling aus Syrien. Aufnahme: Bei ihr zu Hause in Sinzig, Rheinland-Pfalz - Foto: Elizabeth Shoo (DW) zugeliefert von: Elizabeth Shoo copyright: DW/Elizabeth Shoo ***Nur im Zusammenhang mit dem Artikel über syrische Flüchtlinge zu verwenden***
Bild: DW/E. Shoo

Eine Zweizimmerwohnung, mit einem schwarzen Ledersofa im Wohnzimmer, vergilbten Einbauschränken in der Küche, Hello-Kitty-Bettwäsche im Schlafzimmer. Die Einrichtung deutet nicht darauf hin, dass sechs Menschen aus Syrien in dieser 60-Quadratmeter-Wohnung in der Kleinstadt Sinzig am Mittelrhein leben. Es ist das provisorische Zuhause für zwei Familien aus der syrischen Millionenstadt Aleppo.

Die 33-jährige Dalal Abdulkader ist vor einem Jahr mit ihren zwei Töchtern aus Syrien geflohen. Vor zwei Monaten hat es ihre Schwägerin Gulistan Ajo mit ihren zwei Söhnen ebenfalls nach Deutschland geschafft.

Heute haben sie Verwandte aus der Gegend zu Besuch. Es gibt reichlich zu essen und zu trinken: Erst arabischen Kaffee aus kleinen Tassen, dann süßen schwarzen Tee, Milchreis mit Zimt und Walnüssen und schließlich das späte Mittagessen - Nudeln mit Tomatensoße. "Das deutsche Essen geht so", findet zwar Dalals elfjährige Tochter Lidia. Trotzdem hat sie schon zwei Lieblingsgerichte: Spaghetti und Pommes.

Auf der Flucht

Wohnung syrischer Flüchtlinge in Sinzig: Ein Schlafzimmer für zwei Familien - Foto: Elizabeth Shoo (DW)
Wohnung in Sinzig: Ein Schlafzimmer für zwei FamilienBild: DW/E. Shoo

Im Gegensatz zu den 5000 syrischen Flüchtlingen, die Deutschland jetzt aus Flüchtlingslagern im Libanon einfliegen lässt, war Dalal Abdulkader ganz auf sich alleine gestellt, als sie mit ihren Kinder im Juni 2012 aus Syrien floh. Das Ziel war Deutschland, wo bereits Verwandte seit mehreren Jahren leben.

Dalal Abdulkader ist eine moderne arabische Frau. Sie trägt enge Jeans zu Stiefeln, offene Haare, rosa Lippenstift. Ihre Flucht nach Deutschland im Sommer 2012 wird sie nicht so schnell vergessen. Die zweifache Mutter hatte ihr Ziel bereits aufgegeben. Denn auf dem Weg von der Türkei nach Griechenland irrten sie und ihre Kinder vier Tage lang ohne Essen und Trinken durch einen Wald. "Ich hatte meine Kamera in der Tasche und habe Videos von uns gemacht", erzählt sie. "Ich wollte Spuren hinterlassen, damit meine Angehörigen wissen, dass ich in diesem Wald gewesen bin."

Endlich in Griechenland angekommen, kauft sie sich einen falschen Pass und fährt später mit dem Zug von Rom nach München. Dort warten ein Cousin und ein Onkel auf sie. Bei einer Ausweiskontrolle am Münchener Hauptbahnhof entdeckt die Polizei ihre falschen Papiere und nimmt sie fest. Über 12 Stunden lang ist sie mit ihren Töchtern in einer Zelle in München eingesperrt. Der Polizist verbietet ihrer Tochter, eine Toilette aufzusuchen, berichtet sie. "Ich habe ihm gesagt, dass er mich an den Geheimdienst in Syrien erinnert." Heute kann sie darüber lachen.

Erst Festnahme, dann Flüchtlingslager

Gulistan Ajo und ihre beiden Söhne - Foto: Elizabeth Shoo (DW)
Gulistan Ajo und ihre beiden Söhne: "Froh, in Sicherheit zu sein"Bild: DW/E. Shoo

Dalal Abdulkader will Asyl beantragen und kommt deshalb mit ihren Töchtern in das Flüchtlingslager Trier. Die Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende hat Platz für bis zu 700 Flüchtlinge, die dort maximal drei Monate bleiben können. Danach werden sie auf die Kommunen verteilt. Die Kommunen entscheiden, wo und wie die Flüchtlinge untergebracht werden. Nach einigen Wochen in Trier darf Dalal zu ihrer Schwester Fatima Stöhr nach Ahrweiler ziehen. Diese ist vor 20 Jahren nach Deutschland gekommen und war mit einem Deutschen verheiratet. Zurzeit arbeitet sie in einer Konditorei in Bonn.

Seit Juli lebt auch Gulistan Ajo, die Schwägerin der beiden Schwestern, in Deutschland. Auch sie war mit ihren Söhnen zunächst in Trier untergebracht. "Ich war froh im Heim zu sein, in Sicherheit", erzählt die 26-Jährige. "Ich hatte aber Probleme mit meiner Schwangerschaft und bat sie, mir ein Zimmer im Erdgeschoss statt im dritten Stock zu geben, damit ich nicht immer die Treppen hoch- und runterlaufen muss. Sie haben keine Rücksicht auf mich genommen."

Auch ihre Schwägerin Dalal Abdulkader ist dankbar, in Deutschland sein zu können. Sie wünscht sich aber mehr Freiheit. "In unserem Heimatland konnten wir auch frei arbeiten." Sie darf sich zwar in ganz Deutschland bewegen. Eine Arbeitserlaubnis hat sie aber nur für das Bundesland Rheinland-Pfalz. Für sie ist das eine große Umstellung im Vergleich zu ihrem Leben in Syrien. Dort war sie Geschäftsfrau, besaß einen großen Schönheitssalon. Sie würde gerne auch im benachbarten Bundesland Nordrhein-Westfalen arbeiten. Die Städte Bonn und Köln dort sind von Sinzig nicht weit weg.

Neuanfang

Fatima Stöhr in ihrem Auto - Foto: Elizabeth Shoo (DW)
Fatima Stöhr: Viele Absagen, weil Menschen nicht gerne an Flüchtlinge vermietenBild: DW/E. Shoo

Für Menschen, die aus Syrien fliehen mussten, sind Verwandte, die bereits in Deutschland leben, eine große Hilfe. Der Termin beim Ausländeramt, der Arztbesuch - kaum möglich ohne jemanden, der übersetzen kann. Fatima Stöhr unterstützt ihre Familie gerne. Sie fährt ihre Schwester, wenn sie zum Integrationskurs muss, übernimmt Telefonate und ist bei Wohnungsbesichtigungen dabei.

Im Moment sucht sie eine größere Wohnung für Dalal und deren Familie. Die Wohnungssuche gestaltet sich jedoch schwierig. Fatima Stöhr hat bereits viele Absagen bekommen, weil Menschen nicht gerne an Flüchtlinge vermieten. Deshalb verrät sie nicht mehr die ganze Wahrheit: "Ich sage dann immer, dass Dalal Kosmetikerin ist und gerade eine Umschulung macht."

Ein Umzug in eine neue Wohnung bedeutet mehr Platz für Dalal Abdulkader und ihre Töchter - aber auch Abschied nehmen von der gerade neu vertrauten Umgebung. "Ich mag dieses Haus", sagt die elfjährige Lidia. "Ich habe geweint." "Weil wir hier Freunde haben", ergänzt ihre ältere Schwester Sidera. "Unsere Freunde haben auch geweint, weil wir gehen. Die wollen, dass wir bleiben."

Die Kinder haben sich schnell in Deutschland eingelebt. Lidia vermisst dennoch ihre beste Freundin aus Syrien. Die ist jetzt in Kanada, hat Lidia gehört.