Von Gaza bis Ukraine: Warum Katar als Vermittler gefragt ist
22. August 2024Seit Russland im Februar 2022 die Ukraine angriff, haben sich beide Länder nicht mehr zu offiziellen Gesprächen getroffen. Kürzlich wurde jedoch gemeldet, solche Gespräche könnten bald stattfinden - unter Vermittlung eines kleinen arabischen Landes am Golf: dem Emirat Katar.
Die Gespräche könnten "einem teilweisen Waffenstillstand gleichkommen und beiden Ländern einen Aufschub bieten", schriebdie "Washington Post", die als erste berichtete. Vor dem Hintergrund des Einmarsches ukrainischer Truppen in der russischen Region Kursk und der neuerlichen Eskalation scheint der Plan aber zumindest derzeit nicht weiter verfolgt zu werden.
Nicht zum ersten Mal bietet das Drei-Millionen-Einwohner-Emirat seine Vermittlungsdienste für Konflikte an, die sich teils deutlich jenseits seiner unmittelbaren Nachbarschaft abspielen. Das Emirat hat nicht nur dazu beigetragen, dass im Iran, in Afghanistan und in Venezuela inhaftierte Amerikaner freigelassen wurden.
Es hat auch seinen Anteil daran, dass nach Russland verschleppte ukrainische Kinderzu ihren Familien zurückkehren konnten. Zudem führte Katar den Vorsitz bei diplomatischen Verhandlungen zwischen Sudan und Tschad sowie Eritrea und Dschibuti. 2011 wurde mit Katars Hilfe ein Friedensabkommen für Darfur geschlossen.
Im Jahr 2020 half Katar angesichts der sich abzeichnenden Machtübernahme der Taliban bei den Verhandlungen zum Rückzug der USA aus dem Land. Und im November 2023 trugen katarische Unterhändler zu einem vorübergehenden Waffenstillstand im Gaza-Streifen bei.
Experte: Katar macht sich unverzichtbar
"Katars Aufstieg als wichtiger Vermittler hat das diplomatische Ansehen des Landes erhöht und es inzwischen zu einem wichtigen Akteur auf der Weltbühne gemacht", urteilt Burcu Ozcelik, Senior Research Fellow beim britischen Think Tank Royal United Services Institute, im DW-Gespräch.
"Diese Rolle stärkt seinen Einfluss und positioniert das Land als unverzichtbaren Partner für den Frieden' in der Weltgemeinschaft."
Katar habe gute Gründe, sich als internationaler Vermittler zu empfehlen, sagen Analysten. Denn indem das Land an vielen Orten diplomatisch aktiv sei, stärke es durch diese Vernetzung zugleich seine eigene Sicherheit in einer instabilen Region.
Die Gestaltung einer eigenen Außenpolitik - indem es etwa manchen politischen Dissidenten Exil gewährt und teils auch militante und extremistische Gruppen unterstützt - dient Katar auch dazu, mit seinem traditionellen Rivalen, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), zu konkurrieren.
Außerdem könne dadurch seine Unabhängigkeit vom mächtigen Nachbarn Saudi-Arabien reduzieren, schrieb der Politologe Ali Abo Rezeg bereits 2021 in einem Artikelin der akademischen Zeitschrift "Insight Turkey".
Weit verzweigte Kontakte
Katar ist bekannt für sein breites und vielfältiges Netzwerk von Kontakten. Zudem hat es eine Reihe sehr unterschiedlicher Gruppen unmittelbar durch finanzielle oder sogar militärische Hilfen unterstützt. So unterstützte Katar die Taliban, die ägyptische Muslimbruderschaft, libysche Milizen sowie die Aufstände unter anderem in Syrien, Tunesien und dem Jemen im Zuge des "Arabischen Frühlings".
Im Jahr 2012 bat die seinerzeit von Barack Obama geführte US-Regierung Katar, den politischen Flügel der militanten Hamas-Gruppe bei sich zu beherbergen, anstatt ihn von Syrien in den Iran umziehen zu lassen - wo die Extremisten weit weniger zugänglich für etwaige Gespräche oder Verhandlungen gewesen wären. Die Hamas wird von den USA und vielen weiteren Ländern als terroristische Vereinigung eingestuft.
Allerdings -und das ist typisch für Katar: Das Land beherbergt nicht nur die Hamas-Führung, sondern seit 2001 auch den US-amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Al-Udeid - mit rund 10.000 Soldaten die größte US-Basis im Nahen Osten.
"Katar profitiert davon. Denn die Regierungen im Westen - und bis zu einem gewissen Grad auch die im Osten - betrachten das Land als 'nützlichen Freund'", meint Cinzia Bianco, Expertin für die Golfstaaten beim European Council on Foreign Relations.
Ebenfalls zum Erfolg trägt Katars offenkundiges Geschick bei, sich in die Interessenlagen unterschiedlicher Kräfte und Parteien hineinzuversetzen. So pflegt Katar trotz seiner engen Zusammenarbeit mit den USA auch einen pragmatischen Umgang mit zahlreichen islamistischen Organisationen.
In Katar ist man überzeugt, dass diese weder ignoriert noch in einem finalen Sinne militärisch besiegt werden können. Auch die Taliban gaben seinerzeit zu Protokoll, sie fühlten sich bei ihren Verhandlungen mit den USA in Katar gut aufgehoben.
Neutralität als Priorität
Die katarischen Verhandlungsführer hätten nicht unbedingt per se besondere Fähigkeiten, sagt Golfstaaten-Expertin Bianco. Allerdings würden sie für entsprechende Aufgaben ausgebildet.
"Sie zeichnen sich vor allem dadurch aus, so neutral wie möglich zu sein." Hilfreich sei auch der Reichtum Katars. Dessen Ressourcen erlaubten es, an mehreren Krisen gleichzeitig zu arbeiten und Dissidenten aufzunehmen.
Gefährlicher Balanceakt
Allerdings ist die Rolle des Vermittlers bisweilen auch unbequem und riskant. Dies gilt nicht zuletzt für die von Katar und Ägypten vermittelten derzeitigen Gespräche zwischen Israel und der Hamas.
Israelische Politiker haben Katar mehrfach vorgeworfen, ein "Wolf im Schafspelz" zu sein, der den Terrorismus finanziere. Auch mehrere US-Politiker haben eine "Neubewertung" der Beziehungen zu Katar gefordert, sollten die Katarer nicht größeren Druck auf die Hamas ausüben.
Einige US-Politiker brachten im April auch einen Gesetzentwurf ein, der Katar den Status eines wichtigen Nicht-NATO-Verbündeten entziehen könnte. Katar wiederum weist alle Anschuldigungen zurück und erklärt, es habe keine Macht über die Hamas.
"Wenn man mit nichtstaatlichen bewaffneten Milizen zusammenarbeitet, die schlimme Dinge tun, riskiert man natürlich, andere Parteien zu verärgern", sagt Golfregions-Expertin Cinzia Bianco.
Schnell stehe dann der Vorwurf im Raum, man verschaffe gewissen Gruppen Legitimität oder Zugang zu Ressourcen. Das Gegenargument der Kataris, so Bianco, laute dann stets: 'Ja, wir haben diese Verbindungen - aber wir nutzen sie für etwas Gutes'.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.