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Politik

Von der Leyen: Auf harten Brexit vorbereitet

31. Januar 2020

Sollte es Ende 2020 kein Abkommen mit Großbritannien geben, könnte man trotzdem weiter verhandeln. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Brexit-Tag im DW-Interview.

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Belgien Brüssel | DW Interview: Max Hofmann im Gespräch mit Ursula von der Leyen
Bild: DW/B. Riegert

"Wir sind in einer starken Ausgangsposition"

Deutsche Welle: Es gab eine Menge Tränen diese Woche in Brüssel vor dem Brexit. Wie fühlen Sie sich? Sind sie noch traurig?

Ursula von der Leyen: Das ist ein sehr emotionaler Tag, wie das nun einmal ist, wenn ein Familienmitglied beschließt zu gehen. Es ist traurig. Ich habe viele Freunde im Vereinigten Königreich. Ich habe ein Jahr an der London School of Economics studiert. Ich habe Verwandte dort. Einige meiner Kinder haben dort studiert. Es gibt also eine Menge von Verbindungen. Ein emotionaler Tag!

Was werden Sie am meisten am Vereinigten Königreich vermissen?

Ich werde den Pragmatismus vermissen. Der war sehr hilfreich. Sie waren immer sehr geerdet. Ich werde ihren wunderbaren britischen Sinn für Humor vermissen. Aber so ist das nun einmal. Von morgen an werden wir mit unseren britischen Freunden aus einem Drittstaat umgehen.

Manche sagen, der schwerste Teil des Brexit kommt jetzt, nämlich das Aushandeln der neuen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Glauben Sie das auch?

Es werden harte, faire und schnelle Verhandlungen werden. Es stimmt, da das Vereinigte Königreich ein Drittstaat sein wollte, müssen wir nun herausfinden, wie nahe sie wirklich am gemeinsamen Binnenmarkt dran bleiben wollen. Je enger sie verbunden bleiben wollen, desto mehr müssen sie die gemeinsamen Regeln des Binnenmarktes befolgen. Es ist also mehr oder weniger ihre Wahl, ob sie weit weg sein wollen. Dann wird der Zugang zum Binnenmarkt schwierig. Oder eben umgekehrt.

Belgien Brüssel | DW Interview: Max Hofmann im Gespräch mit Ursula von der Leyen
Zu Gast im DW-Studio Brüssel: Ursula von der Leyen mit Interviewer Max Hofmann Bild: DW/B. Riegert

Der britische Premierminister Boris Johnson sagt, er werde unter keinen Umständen die Übergangsphase verlängern. Das heißt, wenn es bis zum Ende dieses Jahres keinen Vertrag gibt, erleben wir einen harten Brexit. Denken Sie, das ist ein schlauer Schachzug von ihm?

Das ist seine Entscheidung...

...ja, aber ist das klug?

Wenn das am Ende des Jahres der Fall sein sollte, dann sind wir vorbereitet, denn die schwierigsten Fragen sind für uns im Austrittsabkommen geregelt worden: Bürgerrechte, finanzielle Fragen und das Problem auf der irischen Insel. Das ist erledigt. Damit sind wir zufrieden. Jetzt sind wir in einer starken Ausgangsposition für die Verhandlungen. Wenn es am Ende des Jahres einen harten Brexit geben sollte, dann wird das hart. Das Vereinigte Königreich exportiert immerhin die Hälfte seiner Güter in die EU.

Hat sich Johnson selbst in eine Sackgasse manövriert? Hätten Sie das als Politikerin auch so gemacht?

Ich muss ihm keine Ratschläge geben, was er machen soll. Als EU-Kommission werden wir im Sommer sehen, wo wir stehen und dann entscheiden. Aber auch wenn wir am Ende des Jahres einen harten Brexit haben sollten, können die Verhandlungen danach trotzdem weitergehen.

Sie werden jetzt versuchen, ein Freihandelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich auszuhandeln. Können Sie definitiv sagen: Ein Jahr ist dafür zu kurz?

Es geht ja nicht nur um das Freihandelsabkommen. Es geht um mindestens zehn oder elf verschiedene Themen, um Sicherheit zum Beispiel. Es gibt eine Menge zu verhandeln. Wir werden rund um die Uhr arbeiten und dann werden wir sehen, wie weit wir kommen.

Aber unter normalen Bedingungen ist so etwas noch nie in so kurzer Zeit ausgehandelt worden?

Ich habe ursprünglich gesagt, dass wir mehr Zeit brauchen. Für eine solche Entscheidung brauchen Sie aber beide Seiten. Wir sind da ziemlich entspannt, denn wir haben, wie gesagt, eine gute Ausgangsposition.

Würden Sie unter diesen Umständen - Boris Johnson will keine Verlängerung, der Zeitdruck ist groß - sagen, dass ein harter Brexit unvermeidbar ist?

Hören Sie, lassen Sie uns doch erst einmal anfangen mit den Verhandlungen. Wir werden uns das britische Verhandlungsmandat anschauen, wir werden unser eigenes Mandat bekommen. Ich glaube, es wäre jetzt nicht klug, schon jetzt Voraussagen für das Ende des Jahres zu treffen. Ich habe Ihnen unsere Optionen aufgezeigt, aber lassen Sie uns erst einmal anfangen.

Was ist Ihr Hauptziel in diesen Verhandlungen?

Mein hauptsächliches Ziel ist es, eine gute, faire und möglichst enge Partnerschaft mit unseren britischen Freunden zu schließen. Wir haben sehr viele gemeinsame Interessen. Es geht darum, unseren Binnenmarkt zu schützen und gleiche Spielregeln mit unseren britischen Freunden zu erhalten. Wir müssen sicherstellen, dass die Union geeint bleibt.

Ich weiß, dass Sie keine Kristallkugel haben, Frau Kommissionspräsidentin, aber ich will es trotzdem versuchen. In zehn Jahren: Glauben Sie, das Vereinigte Königreich will dann wieder zurück in die EU?

Ich sage meinen Kindern immer, das ist eine Aufgabe für euch. Natürlich muss das britische Volk entscheiden. Für mich ist es jetzt wichtig zu sagen, wir sind Freunde. Wir wollen in Zukunft eine Partnerschaft pflegen. Es gibt so viele Gemeinsamkeiten wie Klimawandel oder Digitalisierung. Da ziehen wir am gleichen Strang und sollten intensiv zusammenarbeiten. Lassen Sie uns auch die positive Seite sehen und machen wir das Beste daraus.

Ursula von der Leyen (61) ist seit dem 1. Dezember 2019 Präsidentin der Europäischen Kommission. Die CDU-Politikerin war zuvor Bundesverteidigungsministerin.

Die Fragen stellte Max Hofmann.