Die Goldenen Zitronen erklären "Die Entstehung der Nacht"
26. Oktober 2009
Wenn es von Tag zu Tag immer früher dunkel wird, wenn Blätter fallen, die Vögel aufhören zu singen, dann kommt unweigerlich der Herbst. Die Goldenen Zitronen kommen da gerade recht mit ihrem Album "Die Entstehung der Nacht", aber nicht etwa, um uns die grauen Tage zu versüßen oder es uns kuschelig zu machen. Nein, der Titel ist schon ernst gemeint und er lässt erahnen, was zu hören sein wird. "Börsen Crashen" heißt es da; oder "Des Landeshauptmann's letzter Weg". Die Zitronen bleiben auf ihrem Weg des politischen Liedes, bedienen sich dabei reichlicher Entfremdungstechniken und ästhetisieren die Negation. "Bloß weil ich friere, ist noch lange nicht Winter" ist nur einer der vielen Slogans, die man sich schonmal merken kann.
Flucht nach vorne
Was wäre denn nun die beste Strategie, mit Krisen wie beispielsweise der hiesigen Wirtschaftskrise umzugehen? Kolleginnen von der Band Silbermond sprechen vom Rückzug ins Private und 'ich will Sicherheit'. Ist es denn so einfach? Aus dem Stück "Aber der Silbermond“ klingt ein eindeutiges NEIN durch. "Der Punkt ist gekommen, wo man mal wieder nach vorne gehen soll; einfach nur so." Das soll aber nicht als Aufruf verstanden werden, den Bundestag zu stürmen – obgleich Sänger Schorsch Kamerun diesen Gedanken nicht unattraktiv findet.
Bekanntlich kann auch das Private politisch sein. So ist der Opener "Zeitschleifen" ein ziemlich gelungener Versuch, eine gescheiterte Liebesbeziehung gestochen scharf zu analysieren. Die Musik gerät dabei niemals unter Verdacht, kitschig zu sein. Das liegt daran, dass die Goldenen Zitronen mit ihren stark elektronischen Anklängen vielleicht die im Text beschriebene Distanz spiegeln wollen – vielleicht können sie das aber auch nicht so gut – das Romantisch-Sein. "Wir sind eben nicht die Typen für Lovesongs. Vielleicht liegt das auch daran, dass wir es schlecht umsetzen könnten."
Vom Funpunk zum Diskurs
"Für immer Punk" hieß Mitte der 80er eine ihrer ersten Mitsinghymnen, "Porsche, Genscher, Hallo HSV" das passende Album dazu. Was Anfangs noch als Spaß gedacht war, verlor von Jahr zu Jahr immer mehr an Reiz. Man wollte sich einfach nicht noch 20 Jahre später in ein- und derselben Bierlache wiederfinden, die man in den lauten und anarchisch grölenden Anfangsjahren so zelebriert hatte; das war Punk in spießigem Gewand. "Fuck you" hieß 1990 die logische und selbstironische Antwort in Vinylform, Höhepunkt war 1994 das Album "Das bisschen Totschlag"“: Nun stand Diskurs auf dem Programm. KünstlerInnen bezogen sich dabei in ihren Werken aufeinander. Inhaltlich ging es um politisch relevante Themen, unangenehme Wahrheiten, Kritik am Staat, alles in fast linksradikaler Manier, versteht sich. Während sich so manch befreundete Band aus dieser Art des Schaffens längst zurückgezogen hat, halten die Goldenen Zitronen noch immer daran fest. "Wir können gar nicht anders, das ist unsere Form der Anteilnahme“, sagt Schorsch Kamerun, dessen Stimme sich nach wie vor nur sehr selten vom typischen Krakelen verabschiedet.
Eigentlich keine Hippies
Musikalisch werden auf "Die Entstehung der Nacht" weit mehr Genres bedient, als bloß der altbewährte Punk. Man findet neben den vorwärts preschenden Gitarren auch verstörende Elektronik, Hip Hop Sprechgesang oder Hippiehymnen zum Mitsingen. A propos Hippie: Im Jahr 1986 landeten die Goldenen Zitronen eine Art Skandal, als sie den deutschen Anti-Drogen-Song rund um Conny Kramer leicht umdichteten: "Am Tag, als Thomas Anders starb" hieß die neue Version. Gibt es da etwas, das man wissen muss? "Hippies sind wir eigentlich nicht, weil wir aus einer anderen Ästhetik kommen, aber die Ideale der Hippies, die liegen uns sehr nahe."
25 Jahre Streitkultur
25 Jahre sind eine lange Zeit, in der sich sicherlich so manches mal der Sound geändert hat, aber niemals die Haltung, die Ideen und die Ideale. Die Goldenen Zitronen halten die Stellung und sind für jede weitere kritische Bestandsaufnahme bereit. "Die Entstehung der Nacht" ist derweil ein muss für alle fortgeschrittenen Punks und die selbst ernannte linke Avantgarde.
Autorin: Eva Gutensohn
Redaktion: Matthias Klaus