Macht-Szenarien
27. November 2007Nach einer aktuellen Umfrage erwarten rund zwei Drittel aller Russen keine fairen Duma-Wahlen. Darin sind sie sich mit nahezu allen russischen und internationalen Beobachtern einig. Denn die Duma-Wahlen sind - wie 1999 und 2003 - die Auftaktveranstaltung für die in Russland wichtigere Präsidentenwahl - und die hat es im nächsten März in sich.
Es geht bei der russischen Präsidentenwahl im März 2008 um die Frage, wer Nachfolger von Wladimir Putin wird. Denn laut Verfassung darf man in Russland nur zwei Amtszeiten als Präsident in Folge regieren. Eine direkte dritte Amtszeit Putins ist damit ausgeschlossen, was die Kreml-Elite um Putin sich aber nicht vorstellen will: Denn Putin ist für die regierenden Machtgruppen, die meist aus dem KGB stammen, der Garant für den eigenen Status und vor allem für den Zugriff auf die großen Finanz- und Wirtschaftsressourcen Russlands.
Daher wird schon seit Jahren über die Lösung des "Problems-2008" diskutiert, also die Frage, wie Putin auch nach dem Sommer 2008 mächtigster Mann Russlands bleiben kann und somit die bisherige Ordnung und Machtverteilung beibehalten wird. Spekulationen und Szenarien dazu kursieren in Russland seit langem in großer Zahl - drei sind besonders populär.
Szenario 1: Vom starken Präsidenten zum starken Premierminister
Da Putin als Spitzenkandidat der vom Kreml massiv unterstützten Partei "Einiges Russland" bei den Duma-Wahlen antritt und nicht ausgeschlossen hat, im Anschluss Ministerpräsident zu werden, kursiert das so genannte Premierminister-Szenario. Demnach würde Putin entweder direkt nach den Duma-Wahlen oder spätestens im Sommer 2008 Ministerpräsident der russischen Regierung. Gegenwärtig ist der russische Ministerpräsident nach der Verfassung eher mit geringen Kompetenzen ausgestattet. Nach diesem Szenario wird eine Stärkung des Ministerpräsidenten im Machtgefüge erwartet - zum Nachteil des russischen Präsidentenamtes, dass dann von einem Putin-Vertrauten wie Sergej Iwanow, Viktor Subkow oder Boris Gryzlow ausgeübt würde. Das ganze Szenario ließe sich national wie international als eine Stärkung des Parlamentarismus verkaufen, denn die Wahl des Ministerpräsidenten würde dann durch eine Mehrheit in der Duma erfolgen.
Szenario 2: Taschenspielertrick mit der Verfassung
Ein zweites Szenario nutzt eine Unklarheit in der Verfassung aus: Nach dieser Variante könnte Putin nach der Duma-Wahl als Präsident zurücktreten und Abgeordneter werden. Dritter Präsident in der neueren russischen Geschichte - nach Boris Jelzin und Vladimir Putin - würde dann der jetzige Premierminister Viktor Subkow. Damit wäre es möglich, wenn auch verfassungsrechtlich umstritten, dass Putin im März 2008 erneut bei den Präsidentenwahlen antreten könnte, um dann - unterbrochen von der Präsidentschaft Viktor Subkows - erneut das höchste Staatsamt Russlands zu bekleiden. Eine Variante dieses Szenarios sieht die Wahl Subkows im März 2008 vor, der dann rund ein Jahr später aus Altersgründen oder gesundheitlichen Problemen zurücktritt und erneut den Weg für einen Präsidenten Putin frei machen würde.
Szenario 3: "Nationaler Führer"
Ein weiteres Szenario sieht einen informellen Machterhalt Putins nach dem Sommer 2008 vor, indem er zum "Nationalen Führer" glorifiziert wird und so hinter den Kulissen der mächtigste Mann Russlands bliebe. Seit kurzer Zeit agitiert eine angeblich spontane, aber von der Kreml-Partei "Einiges Russland" unterstützte Bewegung "Für Putin" ganz offen dafür, Putin zum "Nationalen Führer" zu machen. Nach diesem Szenario gäbe ein deutlicher Wahlsieg der Putin-Partei "Einiges Russland" mit Putin als Spitzenkandidaten auch nach dessen Amtszeit das moralische Recht, seinen Nachfolger auf die Einhaltung des bisherigen politischen Kurses zu binden. Auch in dieser Variante ist eine Rückkehr Putins nach einer akzeptablen Schonfrist in das Präsidentenamt nicht auszuschließen.
Und was denken die Russen zu den Szenarien?
Vor dem Hintergrund der sozial, ökonomisch und politisch katastrophalen 1990er-Jahren sieht die russische Bevölkerung in Putin den Garanten für politische Stabilität - verbunden mit wirtschaftlichem Aufstieg und internationaler Größe. Das ist einer der wichtigsten Gründe, warum die Mehrheit der Russen keine fairen Duma-Wahlen erwartet, aber gegenwärtig jeden Schachzug der regierenden Elite zum Machterhalt Putins hinnehmen dürfte. Es ist diese apolitische Haltung der Bevölkerung, verstärkt durch das rigorose Vorgehen gegen Kreml-Kritiker, die es erlaubt, dass all diese Szenarien nicht nur gedacht, sondern auch Realität werden können.