Vom Motor zum Bremser
7. Januar 2016China hat seine Währung Yuan am Donnerstag weiter abgewertet und damit an den Finanzmärkten Sorgen vor einem virtuellen Handelskrieg geschürt. Die Aktienbörsen brachen in der Folge um rund sieben Prozent ein. Das beschert auch anderen Börsen weltweit einen schwarzen Tag - so fiel der deutsche Leitindex Dax am Donnerstag zum Handelsbeginn unter die psychologisch wichtige Marke von 10.000 Punkten.
Chinas Wirtschaft ist 2015 mutmaßlich nur um etwa sieben Prozent gewachsen. Für Industrieländer wie Deutschland wäre das ein gigantisches Plus, für China indes wird es wohl der geringste Zuwachs seit einem Vierteljahrhundert gewesen sein. Im Dezember ging die Industrieproduktion in der nach den USA weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft erneut zurück - zum zehnten Mal in Folge. Aus Furcht vor einer weiteren Abkühlung der Konjunktur hatten zuletzt am Mittwoch weitere Anleger Geld aus dem Land abgezogen. Dies hatte den Yuan an den ausländischen Börsen auf den tiefsten Stand seit Einführung des Handels 2010 gedrückt.
Ökonomen kappen Prognosen
Das alles sind schlechte Nachrichten - nicht nur für China, sondern auch für den Rest der Welt. Wird China vom einstigen Wachstumsmotor zum Bremser in der Weltwirtschaft? Die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, sieht durchaus diese Gefahr. Sie sieht in der schwächelnden Konjunktur der Volksrepublik einen wesentlichen Grund dafür, dass die Weltwirtschaft in diesem Jahr eher ein "enttäuschendes" Wachstumstempo hinlegen wird.
Auch die Weltbank hat ihre Prognose für das globale Wirtschaftswachstum für das Jahr 2016 revidiert - von zuletzt 3,3 auf nunmehr 2,9 Prozent. Grund sei ein voraussichtlich schwächerer Konjunkturverlauf in einer Reihe von Schwellenländern, heißt es. Für China sagt die Weltbank eine Verlangsamung des Wachstums von geschätzten 6,9 Prozent im vergangenen Jahr auf 6,7 Prozent voraus. "Es besteht aber das Risiko, dass sich die Wirtschaft in China noch schneller abkühlt als erwartet", warnt Weltbank-Direktor Ayhan Kose.
Ende der Aufholphase?
"Vielleicht sollten wir uns darauf einstellen, dass die Wirtschaft schwächer wächst, nachdem eine Region wie zuletzt China in einer längeren Aufholperiode kräftig zugelegt hat", sagte der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Dennis Snower. "Es ist möglich, dass diese sogenannte Aufholphase jetzt für China langsam zu Ende geht."
Auch der deutsche Außenhandel fürchtet Turbulenzen in China. Das Land sei ein "Riesen-Risikofaktor", sagte ihr Branchenpräsident Anton Börner in Berlin. Die Entwicklung dort sei "eine große Bedrohung für die Stabilität der Weltwirtschaft", denn "die Chinesen haben ihre Probleme nicht im Griff". Das gelte für die Innen- wie die Außenpolitik, die ausgesprochen imperialistisch und gefährlich sei. "Die Situation der chinesischen Industrie ist desolat", urteilt Börner und stellt sich gleich mehrere beunruhigende Fragen: "Wer weiß wirklich, wie die Bankbilanzen aussehen? Wie ist es um die notleidenden Kredite bestellt? Wie stabil ist die chinesische Währung? Was ist alles nur erzählt, was ist echt?"
Im vergangenen Jahr ist Chinas Volkswirtschaft offiziell um sieben Prozent gewachsen - und damit so langsam wie seit 25 Jahren nicht mehr. Für das neue Jahr gehen chinesische Behörden von einer weiteren Abschwächung aus, die Notenbank rechnet mit 6,8 Prozent, das führende staatsnahe Forschungsinstitut CASS ist noch pessimistischer.
Zweifel an amtlichen Daten
Es deutet jedoch vieles darauf hin, dass das Wachstum sehr viel geringer sein wird als offiziell angegeben. Denn viele Ökonomen und Analysten gehen davon aus, dass die in den vergangenen Jahren veröffentlichten Zahlen zu positiv ausgefallen sind. Verdächtig ist vor allem, dass die vermeldeten Wachstumsraten in schöner Regelmäßigkeit den Prognosen der Regierung entsprechen. Hinzu kommt, dass Chinas Statistikbehörde die Daten sehr viel schneller als andere Länder veröffentlicht, nämlich schon zwei Wochen nach Ende des jeweiligen Quartals.
Ökonomen zufolge liegt das weder an ungewöhnlich fixen Statistikern noch an einem besonders schnellen Meldesystem, sondern an dem Wunsch, die Vorgaben der Regierung zu erfüllen. Verdächtig ist auch, dass die Daten im Gegensatz zu anderen Ländern niemals nachträglich korrigiert werden. Experten der Commerzbank beispielsweise gehen davon aus, dass das Wachstum momentan bei nur 5,5 Prozent liegt. Und: "In den kommenden Jahren dürfte es sich weiter abschwächen." Dies sei auf Überkapazitäten im Industriesektor, die hohe Verschuldung und die ungünstige demografische Situation zurückzuführen, heißt es.