Rumänien: Richtungswechsel unter Klaus Iohannis
25. November 2021"Gut gemacht, Marcel", lobte die ultranationalistische Ex-Ministerin der rumänischen Sozialdemokraten (PSD), Olguța Vasilescu, ihren Parteichef Marcel Ciolacu nach den Koalitionsverhandlungen mit den Liberal-Konservativen von der PNL: "Du hast sogar dem Toten das Geld von der Brust genommen", sagte sie in Anspielung auf einen alten orthodoxen rumänischen Brauch, der dem Verstorbenen beim Zoll ins Jenseits durch Legen von Münzen und Geldscheinen auf die Brust helfen soll. Tatsächlich wird in der neuen Regierungskoalition unter dem PNL-Premierminister Nicolae Ciucă die PSD das Sagen haben.
Hoffnung auf Stabilität
Die neue konjunkturelle Gemeinschaft aus linkspopulistischer PSD, konservativer PNL, die unter dem Druck des Kompromisses und nicht eingelöster Versprechen zusehends zerbröselt, und der Partei der ungarischen Minderheit, UDMR, wurde wie erwartet am Donnerstag (25.11.2021) vom Parlament bestätigt. Sie soll als große Koalition Stabilität in dem von Pandemie, explodierenden Energiepreisen und der politischen Dauerkrise arg gebeutelten Land bringen. Das zumindest ist die offizielle Erklärung der politischen Hauptakteure in Bukarest. Doch die Chancen auf Stabilität stehen schlecht.
Denn Rumänien scheint eine streitsüchtige Patchworkfamilie als Regierung zu bekommen, deren Mitglieder sich bis gestern spinnefeind waren. Der einzige gemeinsame Nenner dieser "unmoralischen Koalition" dürfte laut einigen Kritikern Nationalismus und Gier sein. Wegen des Kompromisses mit der ex-kommunistischen PSD, der immer wieder Korruption und eine antieuropäische Haltung vorgeworfen wurden, haben rund 20 PNL-Abgeordnete - darunter auch der ehemalige Parteichef und Premierminister Ludovic Orban - ihrer Partei den Rücken gekehrt.
Doch nicht nur die Liberal-Konservativen stehen vor einem Scherbenhaufen. Vor allem dem Staatspräsidenten Klaus Iohannis, der als Befürworter dieser neuen Koalition gilt, weht ein eisiger November-Wind ins Gesicht. Kritiker und bisherige Anhänger erinnern ihn gleichermaßen an sein wiederholtes und nun gebrochenes Versprechen, nie mit den nationalistischen Wende-Kommunisten der PSD zusammenzuarbeiten. "Rumänien wird erst dann ein normaler Staat sein, wenn die PSD in die Opposition geschickt wird", sagte Iohannis noch vor zwei Jahren, als er seine zweite Amtszeit nach gewonnener Wahl antrat.
Ende 2020, vor der letzten Parlamentswahl, die eine Mitte-Rechts-Koalition der PNL mit der Reformpartei USR und dem Ungarnverband UDMR hervorgebracht hatte, war Iohannis erklärter Hoffnung, dass die antireformistischen Sozialdemokraten von der politischen Bildfläche verschwinden. Er hatte immer wieder einen funktionierenden Rechtsstaat und das Ende von Korruption und Vetternwirtschaft versprochen. Millionen hatten dem Siebenbürger Sachsen zugejubelt, als er sich bei Wahlen gegen seine PSD-Herausforderer 2014 und 2019 durchsetzte.
Aus all dem wird nun voraussichtlich nichts mehr, da Iohannis "seine" PNL als Juniorpartner mit einem Ex-General aus seinem Vertrautenkreis als Regierungschef in die große Koalition mit der PSD trieb und dabei einen grundlegenden Kurs- und Richtungswechsel vollzog. Mehr noch: Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass nach eineinhalb Jahren ein PSD-Politiker das Amt des Regierungschefs übernehmen soll.
Reaktionen der Zivilgesellschaft
Die Folgen dieser Vereinbarung der ehemaligen Erzfeinde PNL und PSD sind unabsehbar. Als erste Reaktion auf den "faulen Kompromiss", wie nicht nur Kritiker die neue Koalition nennen, haben bereits einige Persönlichkeiten (wie der Schauspieler Marius Manole und der Schriftsteller Radu Paraschivescu) den ihnen von Präsident Iohannis verliehenen Kulturverdienstorden zurückgegeben. Für sie besteht kein Zweifel: Bei der neuen Regierung handelt es sich um eine vom Präsidenten selbst gewollte, ermöglichte und herbeigeführte große Koalition, die dem versprochenen Reformkurs für immer den Rücken kehrt.
Dem vorausgegangen war ein Bruch der bisherigen Regierungskoalition aus PNL und USR über Justizreform, Macht, Kontrolle und Verteilung von Geldern und europäischen Hilfen aus dem Wiederaufbaufonds, der zu willkürlichen Entlassungen von Ministern der USR durch den ehemaligen PNL-Regierungschef Florin Cîțu geführt hatte.
Der Bruch mit der Reformpartei USR aufgrund einer, so der Philosoph und Publizist Andrei Cornea, "unerklärt gebliebenen Politik" des Präsidenten zerstört nicht nur das bisherige Lebenswerk des Staatschefs, sondern wird auch zur Zerreißprobe für die Partei der Liberal-Konservativen. Vielen Rumänen bleibt der Wechsel schleierhaft und hat nicht nur in den Eliten, sondern auch in weiten Teilen der Bevölkerung eine bittere und verbreitete Enttäuschung verursacht. Denn zu Hunderttausenden waren die Bürger bis 2019 jahrelang auf die Straßen gegangen, um gegen Korruption und die damals regierende, oft als kleptokratisch bezeichnete PSD zu protestieren und eine unabhängige Justiz zu fordern.
Auch die Zivilgesellschaft eines immer wieder von postkommunistischen Regierungen verratenen Landes zeigt sich regelrecht erbost. 26 renommierte NGOs haben am Mittwoch (24.11.2021) eine von zahlreichen Persönlichkeiten mitunterzeichnete Erklärung veröffentlicht, die den "Machthabern den unverschämtesten Verrat seit 1990" bescheinigt. Das Papier kündigt Straßenproteste an, falls "rote Linien" zum "europäischen Schicksal Rumäniens" überschritten werden sollten. Dem Staatschef und den neuen Koalitionären werden Zynismus und eine "politische Mineriade" (in Anspielung auf die gewalttätigen Bergarbeiterproteste im postkommunistischen Rumänien - Anm. d. Red.) sowie eine "Restauration" antidemokratischer Verhältnisse vorgeworfen.
Iohannis als Hauptverantwortlicher der Abkehr von Reformen
Wem die Meinungselite die Hauptverantwortung für die antireformistische Richtungsänderung anlastet, ist kein Geheimnis. Die neue Koalition von PNL und PSD sei der "demütigende" und auch für die Zivilgesellschaft "beschämende Ausdruck einer absoluten Verachtung des Wahlvolks", meint die ehemalige Dissidentin und Dichterin Ana Blandiana. Sie ist sich absolut sicher, dass der "Hauptschuldige" der Katastrophe Präsident Iohannis sei.
Wie Blandiana sehen viele "ein Ende der Hoffnungen" voraus und befürchten ein Wiedereinsetzen der Massenmigration junger und gut ausgebildeter Menschen. Nicht Wenige monieren ein mutwillig verursachtes Wiederaufblühen der korrupten, nationalistischen und moskauhörigen Seilschaften, die Rumänien seit 1945 regierten oder aus dem Hintergrund kontrollierten, und deren Macht nach den letzten Wahlen ausgebremst, ja gebrochen zu sein schien.
Wären dieser Richtungswechsel und die Transformation des Präsidenten vom Liebling der Nation zum Bösewicht vermeidbar gewesen? Ja, glauben die Kritiker des Staatschefs. Nach dem Bruch der Mitte-Rechts-Koalition wäre die Reformpartei USR bereit gewesen, einen zweiten Anlauf für eine Koalition mit der PNL zu wagen - trotz der früheren Verstimmungen. Doch davon wollten weder die PNL noch Präsident Iohannis etwas wissen.
Der Politologe Ioan Stanomir von der Universität Bukarest ist überzeugt, den Zweck der Manöver zu kennen: "Die neu-alte Allianz der beiden Parteien PSD und PNL ist das Werk Klaus Iohannis'. Er ist auch ihr Hauptnutznießer", sagt Stanomir der DW. Zu den strategischen Hauptzielen des Präsidenten gehöre, sich eine ruhige, sorgenfreie Restamtszeit zu sichern, so der Politologe. Für die Liberalen sei das eine vergiftete Umarmung des Präsidenten, denn sie werde mittel- und langfristig zur Schwächung und zur Untergrabung der Glaubwürdigkeit der Partei beitragen.
Aber auch die Glaubwürdigkeit des Landes steht auf dem Spiel. Nach Einschätzung unabhängiger Beobachter ist nicht auszuschließen, dass die EU - neben der Lage in Polen und Ungarn - mit Argusaugen das Auftauchen eines weiteren, kaum kontrollierbaren Sorgenkinds am Horizont der europäischen illiberalen Demokratien wird verfolgen müssen.