Vom Kindersoldaten zum Gefangenen
27. März 2018Am Verhandlungstag vergangenen Mittwoch hatte der vergitterte Kastenwagen der Polizei kaum vor dem Gerichtsgebäude angehalten, da schrie Aung Ko Htway los. Endlich konnte er sich wehren und selbst bestimmen. Aus dem Kastenwagen brüllte er: "Ich will euren Hundsrichter nicht! Ich glaube nicht an eure Justiz!" Ein paar junge Polizisten lächelten verlegen. Die Situation war ihnen peinlich.
Als der ehemalige Kindersoldat mit seiner Tirade fertig war, mussten vier Männer ihn in seinem blauen Gefängnisanzug und den rostigen Ketten an den Füßen ins Gericht tragen. Aung Ko Htway boykottiert sein Verfahren. Ihm drohen wegen Anstiftung zu öffentlicher Unruhe zwei Jahre Haft. Er hatte nach seiner Freilassung dem Sender "Radio Free Asia" aus Washington seine Geschichte erzählt. Er sagt: "Ich bereue nichts."
Aung Ko Htways verlorene Jugend
Seine Lebensgeschichte lässt sich aus seinen eigenen Erzählungen und denen seiner Verwandten und Freunden wie folgt rekonstruieren: Das burmesische Militär hat den jungen Mann als 14-Jährigen rekrutiert und ihm zwölf Jahre seines Lebens gestohlen. So wie bei vielen anderen Kindersoldaten passierte es am geschäftigen Bahnhof in Rangun. Eine Stunde nachdem ein Unteroffizier ihn dort ansprach, fand er sich in einem Rekrutierungslager für Soldaten wieder. Das war 2005. Seine hilflosen Geschwister bettelten vor der Kaserne darum ihn zurückzubekommen - vergeblich.
Im Rekrutierungslager wurde Aung Ko Htway bald von einem Soldaten an einen anderen weiterverkauft. Es folgten militärisches Arbeitslager und Flucht. Nachdem er in einen Raubmord verwickelt gewesen sein soll, was er bis heute abstreitet, landete er im Gefängnis. Im Juli 2017 kam er frei.
Doppeltes Unrecht
Aung Ko Htway hatte sich noch gar nicht richtig an die Freiheit gewöhnt - morgens joggen und auf der Brücke den Blick über den Fluss schweifen lassen - als 35 Tage nach seiner Freilassung alles ein abruptes Ende fand. Am 18. August kurz nach 10 Uhr nachts kam die Polizei in das Haus der Familie in einem Ranguner Vorort und verhaftete Aung Ko Htway. "Radio Free Asia" hatte kurz zuvor den Beitrag über sein Schicksal ausgestrahlt.
"Es ist absolut unerhört, dass das Militär, nachdem es erst seine Jugend ruiniert hat, den Kindersoldaten nun bestraft, weil er von seinem Leid erzählte", sagte Phil Robertson, stellvertretender Asien-Direktor von Human Rights Watch der DW. Er fordert, dass vielmehr die Soldaten, die ihn entführten, vor Gericht gestellt werden sollten.
Kindersoldaten weit verbreitet
Militär und einzelne Rebellengruppen in Myanmar sind dafür bekannt, Kinder zu rekrutieren, von denen manche erst elf Jahre alt sind. Seit 2012 wurden laut UNICEF 849 von ihnen freigelassen. Damals unterzeichnete das Militär ein Abkommen mit der UNO, in dem es zusicherte, keine Minderjährigen mehr einzuziehen. Wie viele Kindersoldaten heute noch dienen, ist unklar.
Seit Jahrzehnten tobt in Myanmars Minderheitenregionen ein Bürgerkrieg. Manche sprechen vom längsten bewaffneten Konflikt der Welt. Nachdem Aung San Suu Kyi 2016 neue Impulse für den Friedensprozess gegeben hat, haben die Offensiven des Militärs nicht ab- sondern sogar zugenommen.
Mangelhafte Presse- und Meinungsfreiheit
Nach über einem halben Jahrhundert Diktatur gilt Myanmar zwar heute vielen als Demokratie, aber das Militär scheint seine Macht seit den freien Wahlen von 2015 besonders engagiert zu verteidigen. Was im Dschungel Waffen sind, sind im zivilen Leben repressive Gesetze. Paragraf 505(b), unter dem auch Aung Ko Htway wegen Anstiftung öffentlicher Unruhe angeklagt ist, zählt dabei zu den beliebtesten Instrumenten des Strafgesetzbuchs, um Kritiker mundtot zu machen.
Während viele Fälle keine internationalen Schlagzeilen machen, haben zwei Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters es zu trauriger Prominenz gebracht. Ihnen drohen 14 Jahre Haft wegen Geheimnisverrats, nachdem sie brisante Informationen über eine Militäroperation gegen die muslimische Minderheit der Rohingya recherchiert hatten, die von der UNO als ethnische Säuberung bezeichnet wird.
Reformen kommen nicht voran
Aktivisten und Menschenrechtsgruppen rufen die Regierung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi regelmäßig dazu auf, die Gesetze abzuschaffen, mit denen das Militär die Meinungs- und Versammlungsfreiheit willkürlich einschränkt. Viel passiert ist bisher nicht. Die Regierung hat zwar nur einen eingeschränkten politischen Handlungsspielraum, dafür aber eine ausreichend große Parlamentsmehrheit um Gesetzesänderungen durchzusetzen. Sie nutzt sie nicht so, wie es sich viele einstige Weggefährten erhofft hatten.
Einer der am Verhandlungstag vor einer Woche besonders wünschte, es gäbe die repressiven Gesetze nicht mehr, ist Aung Thain Kha. Der Radio-Free-Asia-Reporter saß vor dem Gerichtsgebäude an einem Plastiktisch im Schatten und rührte in seinem Pulver-Kaffee. "Ich hätte doch nie gedacht, dass meine Geschichte Aung Ko Htway solche Schwierigkeiten machen könnte. Ich dachte, die Zeiten hätten sich geändert," sagte er der DW.
Der junge Mann ist Journalist geworden, weil er Myanmars Wandel zu einer Demokratie beschreiben wollte. Die Geschichte des freigelassenen Kindersoldaten sollte eine hoffnungsvolle Episode sein. "Aber das Militär hat das offenbar anders aufgefasst", sagte er nachdenklich.
"Ich bereue nichts"
Während der Reporter bis heute wünscht, er hätte die Geschichte nie veröffentlicht, bereut Aung Ko Htway nichts: "Die Wahrheit muss gesagt werden." Nachdem er im Gerichtssaal getobt hatte, wurde die Verhandlung abgebrochen. Weil er den Richter beleidigt hat, muss er in jedem Falle eine sechsmonatige Haftstrafe absitzen. Aung Ko Htway wirkte dennoch zufrieden. An Gerechtigkeit glaubt der junge Mann sowieso nicht mehr. Mehrere seiner Unterstützer sind selbst wegen Unruhestiftung angeklagt, nachdem sie vor Gericht für seine Freiheit protestiert hatten. Eine seiner Schwestern ist deshalb auf der Flucht.
Das Urteil soll am Mittwoch gefällt werden.