Alexander Gauland: Rechtspopulist im feinen Tweed
5. Juni 2018Frank Plasberg, Moderator einer der bekanntestes Politik-Talkshows im deutschen Fernsehen, will Alexander Gauland nicht mehr in seine Sendungen einladen. Weil der die Verbrechen der Nationalsozialisten verharmlose. Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strom, nennt Gaulands Aussagen "unerträglich". Wie fast alle Politiker - außerhalb der "Alternative für Deutschland" (AfD), versteht sich. Und sogar dort, in seiner Partei, haben die jüngsten Provokationen des Partei- und Fraktionschefs der Rechtspopulisten im Bundestag Kritik ausgelöst.
Die NS-Zeit: ein "Vogelschiss"?
Am Wochenende hatte Gauland auf einer Veranstaltung der Jugendorganisation der AfD erklärt, gemessen an der gesamten deutschen Geschichte sei der Nationalsozialismus nur ein "Vogelschiss". Geschenkt, dass er zuvor an das Leid im Nationalsozialismus erinnert hatte. Gauland selbst machte dazu - wie so oft - ein eher harmloses, fast überraschtes Gesicht. Nach dem Motto: Worüber regt ihr euch alle denn so auf?
Doch die Kommentatoren sind sich weitgehend einig: Die "Vogelschiss"-Formel sei ebenso kalkuliert gewesen wie frühere Tabubrüche. So hatte Gauland über den dunkelhäutigen deutschen Fußball-Nationalspieler Jerome Boateng (den er gar nicht persönlich kennt) geäußert, den wolle kaum jemand in Deutschland als Nachbarn haben. Und die frühere Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, die türkischstämmige SPD-Politikerin Aydan Özoğuz, wollte Gauland "in Anatolien entsorgen".
Eigentlich ein CDU-Urgestein
Dabei ist Gauland eigentlich so etwas wie ein Fossil der alten, der westdeutschen CDU. In die trat der promovierte Jurist 1973 mit 32 Jahren ein und machte Karriere. Von 1987 bis 1993 etwa leitete er die hessische Staatskanzlei, also die Regierungszentrale in Wiesbaden, sein Chef war Ministerpräsident Walter Wallmann, der zuvor unter Bundeskanzler Helmut Kohl Deutschlands erster Bundesumweltminister gewesen war. Beide, Wallmann und Gauland, galten als stramm konservativ, wie die gesamte CDU in Hessen. Gauland wirkte als geschickter Strippenzieher. Radikale Ansichten von Gauland sind aus dieser Zeit nicht überliefert.
Dann aber veränderte sich seine CDU, zunächst nach dem Verlust der Macht unter Helmut Kohl 1998 und dann durch die Kanzlerschaft von Angela Merkel ab 2005, die bis heute andauert. Wie viele konservative Kräfte konnte auch Gauland den Kurswechsel in gesellschaftlichen Fragen unter Merkel nicht verkraften - bei der Anerkennung Homosexueller etwa oder beim Ausstieg aus der Kernenergie. Vor allem die zunächst liberale Flüchtlingspolitik Merkels empörte ihn. Legendär ist im politischen Berlin mittlerweile diese Geschichte: 2012 war Gauland, damals noch CDU-Mitglied, mit anderen Vertretern des rechten Flügels der Christdemokraten in der Berliner Parteizentrale zu Gast. Der damalige Generalsekretär Hermann Gröhe empfing die Gruppe, behandelte sie aber - so sieht es jedenfalls Gauland - von oben herab und respektlos. Auch das Essen sei schlecht gewesen, sehr schlecht sogar. Gauland kehrte der CDU den Rücken und gründete später die AfD mit.
Streit auch in der Familie
Heute vergeht kaum eine Woche, in der der AfD-Chef nicht irgendwo mit seinen radikalen Sprüchen aneckt. Dabei bleibt er stets seelenruhig. Klassisch gekleidet meist in feinen schottischen Tweed, hält Gauland viel auf seine guten Umgangsformen. Dass er wie seine Kollegin und Ko-Fraktionschefin im Bundestag Alice Weidel wutentbrannt aus einem Fernsehstudio stürmt, ist kaum vorstellbar. Aber in der Sache sind seine Aussagen verletzend. Auch ihm nahestehende Menschen hat er mit der starken Veränderung seiner Ansichten verletzt: Mit seiner Tochter, einer in der Flüchtlingshilfe aktiven Pfarrerin, ist Gauland zerstritten.
Er meint, was er sagt
Immer wieder ist im politischen Berlin diskutiert worden, was mit dem geachteten CDU-Politiker Gauland passiert sein mag, der zwischenzeitlich auch durchaus erfolgreich als Zeitungsherausgeber und Publizist wirkte. Eine These lautet: Gaulands AfD-Engagement ist nichts weiter als die Rache für die Zurückweisung durch seine CDU, die er auf einem grundsätzlich falschen Kurs wähnt. Aber die Vertreter dieser These werden weniger, je öfter Gauland das Wort ergreift. Die meisten Beobachter gehen inzwischen davon aus, das Gauland alles, was er sagt, auch exakt so meint.