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"EU-Türkei-Abkommen nur teilweise umgesetzt"

Panagiotis Kouparanis, Athen21. April 2016

Die Rückführungen von Flüchtlingen in die Türkei sind ins Stocken geraten, kritisiert der Chef des Flüchtlings-Krisenstabs in Athen, Dimitris Vitsas. Auch mit einigen Helfern aus dem Ausland gebe es Probleme.

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Flüchtlinge in Idomeni (Foto: DW)
Bild: DW/S. Amri

Deutsche Welle: Wie sieht die Bilanz des EU-Türkei-Abkommens in der Flüchtlingspolitik nach einem Monat aus - insbesondere beim Schutz der EU-Außengrenze und der Rückführung von Flüchtlingen?

Dimitris Vitsas: Für gesicherte Schlussfolgerungen ist es noch zu früh. Tatsache ist aber, dass die Zahl der Flüchtlinge zurückgegangen ist. Früher kamen 2500 - 3000 Menschen an einem Tag nach Griechenland, jetzt gibt es Tage, da kommen nur noch 30. Es sind überwiegend Menschen, die nicht darüber informiert sind, dass die Grenzen geschlossen sind. Dieser Teil der Vereinbarung zeigt Erfolge. Erhebliche Verzögerungen gibt es bei den Rückführungen in die Türkei und den Asylverfahren in Griechenland. Die versprochene Entsendung von Personal aus den anderen EU-Staaten lässt noch auf sich warten. Auch kommt der "Relocation"-Prozess, die Umsiedlung von Flüchtlingen aus der Türkei in Länder der EU, nicht in Gang. Das sollte aber in den nächsten zehn Tagen unbedingt geschehen. Erst diese Maßnahme würde meiner Meinung nach den Flüchtlingsstrom zum Versiegen bringen.

Wie sieht es mit den versprochenen Asylexperten, Asylrichtern und Dolmetschern aus den anderen EU-Staaten aus, damit die Asylverfahren in Griechenland schneller gehen?

Nur die Niederlande und Deutschland sind bislang ihren Verpflichtungen vollständig oder nahezu vollständig nachgekommen. Es gibt aber auch EU-Mitgliedsländer, die überhaupt nichts tun. Es ist beschlossen worden, dass in einer ersten Phase 158 Experten, Richter und Dolmetscher nach Griechenland kommen sollten, um die Asylverfahren zu beschleunigen. Vor wenigen Wochen waren 30 gekommen und in dieser Woche sind noch einmal 30 angereist. So geht das nicht. Der Einsatz dieser Fachleute ist ausschlaggebend, damit die EU-Türkei-Vereinbarung zügig umgesetzt werden kann. Wir sind jetzt in der Lage, täglich rund 40 Asylanträge zu bearbeiten. Wären alle 158 Experten und ihre Dolmetscher im Einsatz, könnten es 150 Anträge sein.

Dimitris Vitsas, stellvertretender Verteidigungsminister Griechenlands (Foto: Kouparanis)
Dimitris Vitsas: 3000 Plätze in griechischen Aufnahmelagern stehen noch leerBild: DW/P. Kouparanis

Die EU hat finanzielle Hilfen für die Bewältigung der Flüchtlingskrise beschlossen. Wieviel ist bislang in Griechenland angekommen?

Was die Mittel aus dem Budget für humanitäre Hilfe angeht - nichts. Erst vor Kurzem hat Brüssel angekündigt, dass für die Flüchtlingsarbeit von internationalen- und Nichtregierungsorganisationen in Griechenland 83 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Es gibt eine Übereinkunft mit der EU-Kommission, dass die Mittel in Absprache mit der griechischen Regierung verteilt werden. Sie wird auch den Verwendungszweck der Gelder bestimmen.

Aus dem Topf mit 450 Millionen Euro der Sonderkommission Migration, die dem zuständigen Kommissar für Migration, Dimitris Avramopoulos, untersteht, ist bislang einiges an Geld geflossen. Hier muss dringend etwas unternommen werden, damit der Finanzierungsprozess beschleunigt wird.

In letzter Zeit mehrt sich die Kritik an Nichtregierungsorganisationen, die in Griechenland tätig sind. Vor allem richtet sich diese Kritik an Helfer aus dem Ausland. Man unterstellt ihnen, sie würden Flüchtlinge zu Protesten anstacheln, zu den gewaltsamen Aktionen an der Grenze in Idomeni, zu Blockaden von Schienen und Straßen. Was sind Ihre Erfahrungen mit diesem Thema?

Man sollte jetzt nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Es gibt Nichtregierungsorganisationen, die eine sehr wichtige Arbeit für die Bewältigung der Flüchtlinskrise leisten. Es gibt den UNHCR, das Rote Kreuz oder auch das SOS-Kinderdorf. Mit ihnen arbeiten wir sehr gut zusammen. Aber es sind auch Nichtregierungsorganisationen in Erscheinung getreten, die es eigentlich nur auf dem Papier gibt. Sie sind es, die für ihre politischen Ansichten das Leben von Flüchtlingen in Gefahr bringen.

Wie wollen Sie da Ordnung schaffen?

Die Kontrollen sind verschärft worden. In Idomeni ist es bereits zu Verhaftungen von sogenannten Helfern gekommen, die durch Flugblätter Flüchtlinge zu illegalen Aktionen aufriefen. Gemäß dem neuen Gesetz, dass jetzt in Kraft getreten ist, muss sich jede Nichtregierungsorganisation, die in Griechenland tätig sein will, registrieren und evaluieren lassen.

In Idomeni, im Hafen von Piräus und auch anderswo halten sich Tausende von Flüchtlingen in informellen Camps auf. Ihre Regierung will sie auflösen und die Menschen in offizielle Aufnahmelager bringen. Wann und wie soll das passieren?

Das wird nicht mit Gewalt, sondern mit Überzeugungsarbeit geschehen. Die Leerung des Hafens von Piräus läuft gut. Die Hälfte der Menschen dort sind bereits in Aufnahmelager gebracht worden. Das wird auch in Idomeni geschehen. Um dafür zu werben, wird jetzt eine Regierungsdelegation dorthin reisen.

Sind denn in den offiziellen Aufnahmelagern genug Kapazitäten vorhanden, um diese Menschen unterzubringen?

Rund 3000 Plätze in den bestehenden Aufnahmelagern stehen bislang leer. Darüber hinaus sind wir gerade dabei, weitere 11 Camps fertigzustellen. Sechs davon sollen bis Mitte nächster Woche betriebsfertig sein. Es gibt genügend Platz, um die Flüchtlinge zu beherbergen. Die Hauptsache ist doch, dass sie aus dem Schlamm in Idomeni wegkommen und dorthin gehen, wo sie ihre Rechte wahrnehmen können.

Der 60-jährige Syriza-Politiker Dimitris Vitsas ist stellvertretender Verteidigungsminister und Leiter des Flüchtlings-Krisenstabs der griechischen Regierung.

Das Gespräch führte Panagiotis Kouparanis.