Vietnams Wirtschaft trotzt dem Virus
18. April 2020Die Aussichten für die Weltwirtschaft sind düster, wie der Internationale Währungsfonds (IWF) in einem ersten Ausblick unter Berücksichtigung der Corona-Krise am Donnerstag erklärt hat. Weltweit wird eine Schrumpfung der Wirtschaft von drei Prozent vorausgesagt. Für Asien, die weltwirtschaftliche Boomregion der letzten Jahre, erwartet der IWF das erste Mal seit 60 Jahren kein Wachstum. Chinas Wirtschaft ist im ersten Quartal um 6,8 Prozent geschrumpft, wie die Regierung heute bekannt gegeben hat.
Vietnam schneidet im Vergleich dazu wirtschaftlich gut ab. Zwar sind die Zahlen für das erste Quartal schlechter als erwartet, aber mit 3,82 Prozent immer noch im Plus. Nach Ansicht des emeritierten Vietnamexperten Carl Thayer von der australischen Universität New South Wales ein "beachtlicher Erfolg".
Erfolg in der Krise
Vietnam hat frühzeitig eine autoritäre Eindämmungsstrategie gegen das Corona-Virus verfolgt. Dadurch konnte es die Zahl der Infizierten laut Angaben der Johns Hopkins Universität bisher auf 268 begrenzen. Doch während des Lockdowns und trotz Einschränkung des öffentlichen Nahverkehrs hat Vietnam, so Thayer im Austausch mit der Deutschen Welle, Schlüsselindustrien weiter offengehalten. Shuttlebusse haben die Arbeiter an ihren Arbeitsplatz gebracht, Lastwagen für den Transport von Gütern konnten weiter fahren.
Die wichtige Elektronikbranche und die Pharma- und Gesundheitsindustrie konnten trotz des Lockdowns im ersten Quartal sogar wachsen, nach Angaben der deutschen Außenhandelskammer in Vietnam um 14 und um 44 Prozent.
Dienstleistungssektor hart getroffen
Ein Einbruch des Wachstums wurde auch durch andere Maßnahmen der Regierung verhindert. Neben Steuererleichterungen, reduzierten Transaktionsgebühren durch die vietnamesische Staatsbank und gestundete Landnutzungsgebühren für Unternehmen wurde laut Reuters ein Investitionspaket in Höhe von 30 Milliarden Euro beschlossen. Changyong Ree, der Direktor der Asien-Pazifik-Abteilung des IWF, der die Regierungen in Asien dazu aufforderte, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um ihre Wirtschaft in der Pandemie zu unterstützen, rennt in Vietnam offene Türen ein.
Trotz der genannten Erfolge ist aber auch Vietnam schwer getroffen. Insbesondere der Dienstleistungssektor steht, wie fast überall auf der Welt, vor gewaltigen Herausforderungen. Der Tourismus, die Luftfahrt und die Gastronomie leiden unter Ausgangssperren und Reiseverboten.
Tourismus am Boden
Der von Hanoi als strategischer Sektor angesehene Tourismus etwa weist im März im Vergleich zum Vorjahr nur ein Drittel an Reisenden auf. Die entgangenen Einnahmen werden von einem Sprecher der staatlichen Tourismusbehörde auf drei bis vier Milliarden US-Dollar für das erste Quartal 2020 beziffert, wobei die Krise erst ab Mitte Februar voll zugeschlagen hat. Der jährliche Umsatz der Tourismusbranche belief sich nach Angaben des britischen Anbieters von Wirtschaftsdaten CEIC 2018 auf 27 Milliarden US-Dollar. Eine schnelle Erholung erwartet niemand, denn die Frühjahrshauptsaison zwischen März und Mai fällt mitten in die Krise.
Die nackten Zahlen machen nur unzureichend deutlich, wie einschneidend die Folgen für die Bevölkerung in Vietnam sind. Für die Zimmermädchen, Köche, Kellner und Rezeptionistinnen ist der Verdienstausfall in der Tourismusbranche in den meisten Fällen groß. Über Erspartes verfügen die wenigsten und die soziale Absicherung ist nur unzureichend. Als Soforthilfe stellt Hanoi 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung, die je nach Bedürftigkeit und arbeitsrechtlichem Status ab Mitte April ausgezahlt werden sollen. Damit sollen die Einkommenseinbußen von etwa 20 Millionen Vietnamesen teilweise kompensiert werden, aber zumindest in den Großstädten reichen die in Aussicht gestellten Summen nicht zum Leben. Unklar ist noch, wie den Betroffenen im informellen Sektor - Straßenhändlern, Motoradtaxifahrern und Tagelöhnern - geholfen wird. Je nach Schätzung sind das bis zu 25 der rund 100 Millionen Einwohner. Wie so oft drohen sie durch das Netz zu fallen.
Bevölkerung steht hinter Regierung
Trotzdem steht die Bevölkerung hinter der Regierung. Das hat damit zu tun, dass sich die Erwartungen an eine Regierung in Krisenzeiten ändern. Bisher war die Abmachung zwischen Regierung und Bevölkerung, dass die politische Macht allein bei der Kommunistischen Partei Vietnams liegt, die im Gegenzug dafür sorgt, dass es wirtschaftlich bergauf geht und der Lebensstandard steigt. Diese Gleichung gilt jetzt nicht mehr, wie Thayer sagt. Er fügt hinzu "Die vietnamesische Öffentlichkeit weiß und versteht, dass das Coronavirus eine externe und existenzielle Bedrohung ist."
Der australische Ökonom Adam Fforde sieht das im schriftlichen Interview mit der Deutschen Welle ähnlich. Er schreibt: "Die Bevölkerung stimmt in dieser Lage mit der Regierung überein. Das Land hat beschlossen, in die Rettung von Leben und die Vermeidung von viel Not zu investieren, indem es die Aktivitäten, einschließlich der wirtschaftlichen Aktivitäten, reduziert hat." Laut Fforde stand die soziale Frage an erster Stelle. Die Bevölkerung stehe in der Krise zwar hinter der Regierung, sie sei aber nicht naiv. "Jeder weiß, dass weder die Korruption noch das allgemeine Missmanagement in der Partei verschwunden sind."
Neuausrichtung für die Erholung
Die meisten Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus in Vietnam waren zunächst bis vergangenen Mittwoch befristet. Sie wurden nun noch einmal für einige Tage verlängert, aber die Regierung will den Ausnahmezustand so schnell wie möglich beenden. "Die Regierung wendet sich von den Notfallmaßnahmen ab und arbeitet an einer Politik für die am stärksten Betroffenen und einem Plan für den Aufschwung", sagt Thayer.
Kurzfristig sei es Vietnam, so Thayer, gelungen, die schwierige Balance zwischen Schutz der Gesundheit und wirtschaftlichen Interessen zu halten. Allerdings könne das Ganze aus dem Ruder laufen. Die Krise hinterlässt auch in Vietnam tiefe Spuren, und fehlende Einnahmen des Staates könnten dazu führen, dass der Staatsbank die Optionen ausgehen.
Fforde sieht das etwas entspannter: "Vietnam ist bekannt dafür, angemessene Zinssätze für Staatsschulden zu zahlen, Inflation zu vermeiden und Schulden zurückzuzahlen. Die Regierung wird Schulden aufnehmen und dann die Steuern erhöhen."