Nguyen und sein neuer Roman "Die Idealisten"
13. September 2021Viet Thanh Nguyen kam als Flüchtling des Vietnamkriegs in den 1970er-Jahren mit seiner Familie in die USA. Er lebt als Literaturwissenschaftler in Kalifornien. Sein erster Roman "Der Sympathisant" gewann 2016 den Pulitzer-Preis. "Die Idealisten" ist seine Fortsetzung, der zweite Teil einer Trilogie über den Vietnamkrieg und seine Folgen. DW hat mit dem Autor über seinen neuen Roman gesprochen.
Deutsche Welle: Herr Thanh Nguyen, haben Sie die Geschichte von Anfang an als Trilogie geplant?
Als ich "Der Sympathisant" schrieb, sollte es nur ein Roman für sich sein, aber am Ende des Romans entdeckte ich, dass die Hauptfigur, "Der Sympathisant" selbst, mich nicht losgelassen hatte, dass ich ihn sowohl als Person als auch als Revolutionär erforschen wollte, als jemanden, der sich der Revolution verschrieben hatte, aber von der kommunistischen Revolution desillusioniert war.
Sie sagten in einem Interview: 'Ich wollte einen Roman schreiben, der ein so genannter Minderheitenroman ist'. Was ist damit gemeint?
Ich bin mit einer tiefen Liebe zur Literatur aufgewachsen, die für mich als Flüchtling, der in die Vereinigten Staaten kam, die eigentliche Rettung war. Aber die Literatur, die ich gelesen habe, war fast ausschließlich die Literatur der weißen Amerikaner und der europäischen Kultur und des westlichen Kanons, was alles sehr wichtig ist. Aber als es für mich an der Zeit war, Schriftsteller zu werden, wollte ich meine Erfahrungen mit den Erfahrungen vietnamesischer Flüchtlinge und anderer asiatischer Einwanderer und asiatischer Amerikaner in den Vereinigten Staaten in Einklang bringen.
Vietnam-Krieg aus vietnamesischer Perspektive
Mit Ihren Romanen wollten Sie auch eine neue Erzählung über den Vietnamkrieg schaffen. Was ist falsch an der Erinnerung der Amerikaner?
Amerikanische Erinnerungen und amerikanische Geschichten kursieren in der ganzen Welt, die Erzählungen der Vietnamesen hingegen nicht. Um überhaupt zu erfahren, was die Vietnamesen über ihre eigene Geschichte und ihren eigenen Krieg zu sagen haben, müssen die meisten Menschen nach Vietnam reisen, um diese Geschichte zu erfahren, und finden sie oft sehr überraschend und schockierend. Deshalb halte ich es für wichtig, diesen Beitrag zum amerikanischen Gedächtnis zu leisten. Was die Amerikaner an diesem Krieg falsch verstehen, ist, dass sie ihn als einen rein amerikanischen Krieg betrachten, in dem die Vietnamesen die Zuschauer des Dramas sind, obwohl etwa 58.000 Amerikaner in diesem Krieg starben, was eine Tragödie ist. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass etwa drei Millionen Vietnamesen in diesem Krieg starben. Ich glaube also, dass es den Amerikanern sehr schwerfällt, ihren eigenen Ethnozentrismus zu überwinden, wenn sie auf den Vietnamkrieg schauen.
"Die Idealisten" spielt in Frankreich. Hatten Sie französische Leser im Sinn, als Sie das Buch schrieben?
"Die Idealisten" ist mein Versuch, einen Roman über das Frankreich zu schreiben, das die Amerikaner und ein Großteil der Welt, mich eingeschlossen, nur schwer sehen können, weil ich glaube, dass die Mythologie Frankreichs und insbesondere von Paris so mächtig und verführerisch ist, dass selbst jemand wie ich, der dem französischen Kolonialismus sehr kritisch gegenübersteht, immer noch von dieser Mythologie der französischen Kultur verführt wird. Ich schreibe diesen Roman also auch, um diese Mythologie und diese Verführung zu hinterfragen und einen Roman über Paris zu schreiben, der nicht vom romantischen Paris handelt, sondern ein Roman über das düstere Paris der Einwanderer und Flüchtlinge ist.
Flüchtlinge bleiben für immer Flüchtlinge
Sie bezeichnen sich immer noch als Flüchtling, obwohl Ihre eigentliche Flucht schon vor Jahrzehnten endete. Bleiben Sie für immer ein Flüchtling?
Ich bin immer noch jemand, der von meinen Fluchterfahrungen betroffen ist und immer noch versucht, diese Dinge zu verarbeiten. Wenn wir uns Soldaten, Kriegsveteranen anschauen, dann wissen wir, dass die Auswirkungen von Kriegen noch Jahrzehnte andauern, selbst wenn sie schon vorbei sind. Flüchtlinge sind meiner Meinung nach genauso Überlebende des Krieges wie Soldaten. Was Flüchtlinge durchgemacht haben, sind in der Tat
Kriegsgeschichten. Worte vertreiben Flüchtlinge. Die Auswirkungen von Krieg und Vertreibung und der Verlust des eigenen Landes prägen Flüchtlinge über Jahrzehnte, oft bis an ihr Lebensende. Und so kann man mit Fug und Recht behaupten, dass Flüchtlinge für immer Flüchtlinge bleiben, genauso wie Veteranen für immer Veteranen bleiben.
Seit dem Beginn der Corona-Pandemie haben die verbalen und körperlichen Übergriffe gegen asiatische Amerikaner in den USA zugenommen. Wie erleben Sie das? Was sind die Ursachen?
Die Zunahme asienfeindlicher Gewalt findet nicht nur in den USA statt, sondern weltweit, überall dort, wo es asiatische Einwanderer oder Menschen asiatischer Abstammung in verschiedenen Ländern gibt, also auch in den Ländern Westeuropas und auch in Deutschland. Unabhängig davon, wie viele Generationen sie gelebt haben, waren sie oft Zielscheibe anti-asiatischer Gewalt, wann immer es in einem bestimmten Land zu internen Widersprüchen kam. Der Anteil der asiatischen Amerikaner an der Gesamtbevölkerung nimmt stetig zu und ist mit etwa sechs Prozent die am schnellsten wachsende Minderheit in den Vereinigten Staaten. Aber das hat den Anstieg der einwandererfeindlichen Gewalt nicht aufgehalten. Es ist unsere Pflicht, unsere Stimme zu erheben und stärker zum Ausdruck zu bringen, wer wir sind und wie wir zu diesem Land gehören.
Das Interview führte Sabine Kieselbach. Der Roman "Die Idealisten" ist im Blessing-Verlag erschienen und kostet 24,- EUR.