Vier-Punkte-Plan für Venezuela
7. Februar 2019Nichts geht mehr in Cúcuta: Container und Tankwagen riegeln den Grenzübergang "Las Tienditas"zwischen dem kolumbianischen Cúcuta und dem venezolanischen San Antonio ab. Das Bild steht inzwischen symbolisch für die verfahrene innenpolitische Situation in Venezuela mit zwei Präsidenten und zwei Parlamenten.
Die venezolanische Opposition erkennt die zweite Amtszeit des sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro nicht an, unter anderem weil regierungsnahe Organe die aussichtsreichsten Gegenkandidaten von der Wahl ausgeschlossen hatten. Umgekehrt werfen die Sozialisten Maduros bürgerlich-konservativen Gegenspieler, Parlamentspräsident Juan Guaidó, einen Putschversuch vor, weil der sich kurz nach Beginn von Maduros zweiter Amtszeit Anfang Januar zum Interimspräsidenten erklärt hatte.
Die Bevölkerung hungert seit Jahren, deshalb hatte Guaidó als Sofortmaßnahme humanitäre Hilfe aus Kolumbien, Brasilien und der Karibik versprochenen. Doch Maduro will die Lieferungen nicht ins Land lassen. Angeblich fürchtet er, dass statt Lebensmitteln und Medikamenten Interventionstruppen nach Venezuela gebracht würden. Die Blockade der Grenzen solle das verhindern.
Vier-Phasen-Plan
Nun startet in Montevideo der Versuch, neue Bewegung in die verfahrene Situation zu bringen. Neben Gastgeber Uruguay und Mit-Initiator Mexiko haben sich weitere Länder aus Lateinamerika und Europa der Initiative angeschlossen. Mexiko und Uruguay haben einen Vier-Phasen-Plan entwickelt, der als Mechanismus zur Krisenbewältigung dienen soll: In Phase eins sollen Bedingungen geschaffen werden, um einen sofortigen Dialog zwischen den beteiligten Akteuren zu schaffen. Anschließend sollen in Verhandlungen Punkte herausgearbeitet werden, in denen es Übereinstimmungen gibt. In Phase drei sollen die Resultate der Verhandlungen verpflichtend niedergeschrieben werden und in Phase vier sollen die erreichten Abkommen umgesetzt werden. Soweit der Plan, doch die Realität ist komplizierter.
Großes Misstrauen der Opposition
Da ist zunächst einmal das Misstrauen der venezolanischen Opposition, die nach zwei gescheiterten Vermittlungsversuchen - einmal durch den Vatikan und einmal unter dem damaligen spanischen Ministerpräsidenten Zapatero - als Verlierer dastand. Maduro nutzte die gewonnene Zeit, um das Parlament zu entmachten und um die Bedingungen für die darauffolgenden höchst umstrittenen Wahlen zu diktieren.
Zudem gibt es Zweifel an der Unabhängigkeit Mexikos und Uruguays. Mexikos neuer Präsident Andrés Manuel López Obrador lud Maduro trotz heftiger Proteste zu seiner Amtseinführung nach Mexiko ein. Die Bilder, die dabei entstanden, weckten nicht gerade den Eindruck, als ob López Obrador die neutrale Position gegenüber Maduro einnehme, die er offiziell einnimmt; zu freundschaftlich und vertraut war der Umgang miteinander.
Dass Maduro den Plan aus Montevideo sofort akzeptierte, dürfte das Misstrauen der Opposition weiter verstärken. Die Vorbehalte der venezolanischen Opposition sind der mexikanischen Regierung bekannt. Außenminister Marcelo Ebrard versuchte, die Befürchtungen zu entkräften: "Mexiko unterstützt keine der beiden Seiten, sondern vertritt eine neutrale Position. Das Wichtigste ist, dass es einen Dialog gibt, denn die Leute leiden sehr."
Guaidó lässt das jedoch nicht gelten. In einem Brief an Mexiko und Uruguay warf er beiden Ländern vor, Neutralität bedeute in diesem Konflikt, auf der Seite eines Regimes zu stehen, das Hunderttausende Menschen zu Armut und Elend verurteile.
Eine Lösung ohne die Supermächte
In Montevideo steht allerdings mehr auf dem Spiel als nur die Zukunft Venezuelas. Es geht auch darum, ob die politischen und diplomatischen Kräfte Lateinamerikas in der Lage sind, eine solche tiefgreifende Krise aus eigenem Antrieb zu lösen. Das wäre auch im Hinblick auf künftige Konflikte ein großer Schritt nach vorn für die Unabhängigkeit der Region. Eine Schlüsselrolle könnte dabei der ehemalige Präsident Uruguays, José Mujica, einnehmen. Der Linkspolitiker genießt innerhalb der lateinamerikanischen Linken große Anerkennung; zugleich hat er sich schon für Neuwahlen unter strenger internationaler Beobachtung ausgesprochen.
Auch für Europa geht es in Uruguays Hauptstadt um einiges. Die EU-Sondergesandte Véronique Lorenzo soll die Interessen der Europäischen Union vertreten, doch bislang hat sich die EU nicht auf eine einheitliche Position einigen können. Die italienische Regierung verweigert Guaidó beispielsweise die Anerkennung als Übergangspräsident, Deutschland dagegen hat sich auf die Seite Guaidós und hinter dessen Plan für Neuwahlen gestellt. Gelingt es der EU nicht, in Uruguay mit einer Stimme zu sprechen, wird ihre Stimme im Konzert der Regionen immer weniger wert sein. Dann entscheiden Washington, Moskau und Peking über die Zukunft Venezuelas, und das ölreichste Land der Welt wird endgültig zum Spielball geopolitischer Interessen der Supermächte USA, Russland und China.