NATO ist noch nicht komplett
21. November 2012Vor zehn Jahren beschloss das nordatlantische Verteidigungsbündnis die Aufnahme von sieben Staaten in Osteuropa, die 2004 vollzogen wurde. Beim Gipfeltreffen 2002 in Prag wies der damalige NATO-Generalsekretär Lord George Robertson darauf hin, dass sich die neuerliche Erweiterung nicht gegen Russland oder irgendeinen anderen Staaten richten würde. "Die NATO war nie eine exklusive Organisation. Von ursprünglich 12 Gründungsstaaten haben wir auf 14, 15, 16 Mitglieder erhöht. Dann waren wir 1999 bei 19 Mitgliedsstaaten und die Tür der NATO steht immer noch auf." 1999 waren mit Polen, Tschechien und Ungarn die ersten drei Länder in die Allianz aufgenommen worden, die zuvor zum aufgelösten Warschauer Pakt gehört hatten. Der Warschauer Pakt, das Militärbündnis des Ostblocks, war wie seine Führungsmacht Sowjetunion nur wenige Jahre zuvor von den Landkarten verschwunden. "Das hätten wir uns damals, Anfang der 1990er Jahre, in unseren wildesten Träumen nicht vorgestellt, dass wir eines Tages Mitglieder der NATO werden würden", sagte vor zehn Jahren der estnische Ministerpräsident Siim Kallas beim Gipfel in Prag.
Die Tür zur NATO bleibt offen
Was Lord Robertson schon 2002 ankündigte, dass nämlich die Tür zur NATO offenbleiben würde, hat der NATO-Gipfel 2008 in der rumänischen Hauptstadt Bukarest noch einmal bestätigt. "2008 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Allianz Georgien und auch der Ukraine die Mitgliedschaft anzubieten. "Georgien wird Mitglied der NATO", sagte der heutige NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erst vor wenigen Tagen beim Besuch des neuen georgischen Regierungschefs Bidsina Iwanischwili im NATO-Hauptquartier in Brüssel. "Wir bleiben ihrer transatlantischen Zukunft verpflichtet. Mitgliedschaft erfordert aber mehr Anstrengungen und mehr Reformen und Zusammenarbeit zwischen allen Zweigen der Regierung." Der gerade in einer freien Wahl ins Amt gewählte Premier sagte zu, alles zu tun, was von den Bewerbern für eine Mitgliedschaft erwartet wird. Iwanischwilli kündigte in Brüssel auch an, er wolle die Beziehungen zu Russland verbessern. Russland und Georgien hatten sich vor vier Jahren eine kriegerische Auseinandersetzung um abtrünnige Gebiete geliefert. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sieht den NATO-Kurs Georgiens kritisch.
Russland hat kein Mitspracherecht
Russland hat alle Erweiterungsschritte der NATO nach 1990 mit mehr oder weniger heftiger Kritik begleitet. Gleichzeitig sind NATO und Russland aber eine besondere Partnerschaft eingegangen. Ein spezielles Gremium, der NATO-Russland-Rat, wurde geschaffen. 2002 beim Gipfel in Prag sagte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder: "Ich denke, dass es ganz wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass dieser Erweiterungsprozess ganz fair und offen mit Russland diskutiert worden ist. Ich denke, dass dies in vielen Gesprächen zum Ausdruck gekommen ist und auch weiter zum Ausdruck kommen wird."
Ein Recht mitzuentscheiden hatte und hat Russland aber nicht, sagt heute der Bundestags-Abgeordnete Karl Lamers (CDU), der Mitglied in der parlamentarischen Versammlung der NATO ist: "Transparenz und Dialog prägen das Verhältnis zwischen NATO und Russland, aber eine Mitsprache irgendeiner Art kann und darf es nicht geben und wird es auch nicht geben. Im Gegenteil: Sie haben ja in der Vergangenheit immer wieder erlebt, dass Russland Einwände erhoben hat. Ich denke da besonders an die Aufnahme der baltischen Staaten Estland, Lettland, Litauen. Das hat zu nichts geführt", sagte Lamers der Deutschen Welle. "Die NATO hat für sich und aus sich heraus entschieden." Der NATO-Parlamentarier Karl Lamers geht davon aus, dass Russland erkennen müsse, "dass die NATO nicht gegen Russland gerichtet ist, sondern ein Partner für mehr Sicherheit und Stabilität in der Welt ist."
Ukraine will nicht mehr rein
2008 hatte die Ukraine ebenfalls Ambitionen der NATO irgendwann beizutreten. Doch nach der Wahl des eher Russland-freundlichen Viktor Janukowitsch zum neuen Präsidenten hat die Ukraine ihre Beitrittspläne gekündigt. "Unter dem gegenwärtigen Präsidenten gibt es keine Perspektive für einen NATO-Beitritt", so der der Bundestagsabeordnete und NATO-Fachmann Karl Lamers. Trotzdem gäbe es weiter eine enge Zusammenarbeit, sagte der NATO-Generalsekretär Rasmussen beim letzten förmlichen Treffen mit der ukrainischen Regierung im Frühjahr. Die Ukraine engagiert sich bei NATO-geführten Auslandseinsätzen wie in Afghanistan.
Drei Kandidaten auf dem westlichen Balkan
Im Jahr 2009 waren Kroatien und Albanien in die NATO aufgenommen worden, lange bevor sie Mitglieder der Europäischen Union werden konnten. Die Kriterien für die NATO sind weniger streng als die der EU, allerdings müssen die NATO-Bewerber gefestigte Demokratien sein, eine zivile Kontrolle ihrer Armeen nachweisen. Außerdem müssen die Streitkräfte einigermaßen den Standards der Allianz entsprechen. An diese Standards werden zurzeit Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Mazedonien herangeführt. Wann die Beitritte stattfinden können, ist aber noch unklar. "Die Entscheidung, wann ein Staat aufgenommen wird, hängt ab von den Fortschritten, die die Staaten machen. Sie müssen die Werte erfüllen, für die die Nato steht. Man wird sich die Fortschritte anschauen und dann die Entscheidung treffen. Ein konkretes Datum steht für keinen dieser Staaten fest", sagte der NATO-Parlamentarier Karl Lamers der Deutschen Welle.
Die Kriterien erfüllt im Grunde bereits die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien. Da aber das NATO-Mitglied Griechenland den Namen" Mazedonien" für seine nördliche Provinz beansprucht und Mazedonien unter diesem Namen beitreten will, ist eine Aufnahme in die NATO seit Jahren blockiert.
Problemfall Serbien
1999 führte die NATO einen Krieg gegen Serbien, um Menschen im damals zu Serbien gehörenden Kosovo-Gebiet zu schützen. Deshalb sind die Beziehungen zwischen der NATO und Serbien relativ kühl. Serbien möchte dem Militärbündnis anders als alle seine Nachbarn auf dem Balkan nicht beitreten. Drängen kann und will man Serbien natürlich auch nicht, sagt der NATO-Parlamentarier Karl Lamers. "Es ist eine ganz wichtige Voraussetzung, dass die Menschen das auch wollen. Das heißt: Wir müssen in der Bevölkerung eine Mehrheit dafür haben, dass sie der Nato beitreten und Mitglied werden wollen. Da ist, gerade was diesen Staat (Serbien, Anm. d. Red.) anbetrifft, noch ein längerer Prozess notwendig." Die NATO legt Wert darauf, dass nur Staaten aufgenommen werden können, die keine territorialen Konflikte mit ins Bündnis bringen. Zunächst müsste also der Konflikt zwischen Serbien und Kosovo bereinigt werden. Serbien erkennt, wie übrigens auch einige EU-Staaten, die Unabhängigkeit Kosovos nicht an. Im Kosovo ist nach wie vor eine NATO-geführte Schutztruppe stationiert.