Terror in Kairo
24. Januar 2014Vor dem Polizeihauptquartier in der historischen Innenstadt Kairos klafft ein großer Krater. Die Detonation der Autobombe hat die Straße aufgerissen, überall liegen Scherben und Steine, aus gerissenen Rohren quillt Abwasser auf die Gehsteige. Umstehende zeigen Handyfotos von völlig zerfetzten Leichen. Die Fassade des Hauptquartiers ist schwer beschädigt, das gegenüberliegende Museum für islamische Kunst meldet Schäden in Millionenhöhe. Auch anliegende Cafés und Geschäfte hat es bei dem Anschlag am Freitag (24.01.2014) getroffen.
Jussuf arbeitet in einer Bäckerei, die weniger als hundert Meter vom Ort der Explosion entfernt liegt. Dort fegte die Druckwelle die Brote aus den Regalen. Ein Teil der Decke ist eingestürzt. "Um 6.30 Uhr kam es zur Explosion", erzählt Jussef. "Wir Angestellte schliefen zu diesem Zeitpunkt vor unserem Geschäft auf Matratzen am Boden. Wegen des Rauchs haben wir zunächst überhaupt nichts erkennen können, wir hörten Schüsse. Alles ist zerstört." Der Polizei sei es offenbar nicht einmal möglich, sich selbst zu schützen, klagt er.
"Wer außer den Muslimbrüdern?"
Mindestens sechs Todesopfer und mehr als 70 Verletzte - das ist die Bilanz des Anschlags im Herzen Kairos. Weniger als drei Stunden nach der ersten Detonation griffen Unbekannte im Westen der Nilmetropole ein Polizeifahrzeug mit Sprengstoff an. Dabei wurden mehrere Polizisten verletzt, ein Soldat kam ums Leben. Nicht weit von den Pyramiden von Gizeh gingen ebenfalls zwei Bomben in die Luft, eine am Morgen, eine am späten Nachmittag. Mindestens eine Person verlor dabei ihr Leben. Es handelt sich um die schwersten Anschläge in der ägyptischen Hauptstadt seit dem gescheiterten Attentat auf Innenminister Mohammed Ibrahim am 5. September 2013. Der Zeitpunkt der Anschlagsserie ist nicht zufällig gewählt: Am Samstag (25.01.2014) begehen die Ägypter den dritten Jahrestag der Revolution. Armee und Regierung haben Festlichkeiten im ganzen Land geplant.
Für die meisten Anwohner und Schaulustigen rund um das Polizeihauptquartier standen die Schuldigen bereits Momente nach dem Attentat fest. Ein Mann, der trotzig eine Ägypten-Fahne schwenkte, sagte: "Wer außer den Muslimbrüdern könnte dahinterstehen? Wer sonst zerstört sein eigenes Land? Aber sie jagen damit niemandem Angst ein. Sie sind doch nur Feiglinge."
Gewalt gegen Ausländer
Nur Stunden nach dem ersten und schwersten Anschlag bekannte sich allerdings nicht die gestürzte Islamisten-Organisation, sondern die Terrorgruppe Ansar Beit al-Maqdis zur Tat. Die Organisation ist auf der Sinaihalbinsel beheimatet und orientiert sich stark an der Ideologie von Al-Kaida. Zuletzt haben die Dschihadisten den Terror immer wieder vom Sinai in die Großstädte getragen, und die Verantwortung für Dutzende Anschläge in den vergangenen Monaten übernommen.
Die Regierung in Kairo hingegen wirft der Muslimbruderschaft des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi vor, hinter den jüngsten Gewaltakten zu stehen. Als Reaktion auf einen Anschlag in der Stadt Mansura vor einem Monat mit 16 Toten stufte sie die Muslimbruderschaft als Terrororganisation ein und geht seither noch härter gegen deren Mitglieder vor. Beweise für eine Kooperation der beiden Gruppen haben die Machthaber bislang allerdings nicht vorgelegt.
Im Zentrum Kairos versammelten sich kurz nach dem ersten Anschlag Hunderte Armeeanhänger und Sicherheitskräfte zu einem Protest. Mit Sprechchören riefen sie immer wieder: "Das Volk will die Hinrichtung der Muslimbruderschaft." Die Demonstranten hielten Poster des Armeechefs Abdel Fattah al-Sisi in die Höhe und sammelten Unterschriften für eine Präsidentschaftskandidatur des Generals. Die Stimmung schlug schnell in Hasstiraden gegen Islamisten und Westler um. Mehrere ausländische Journalisten wurden angegriffen, ein Kamera-Team der ARD von einem Mob krankenhausreif geschlagen.
Kritik an Innenminister
Die Befürchtung in Kairo ist nun groß, dass die Situation weiter eskalieren könnte. Zum Jahrestag der Revolution haben nicht nur die Armeeanhänger, sondern auch die Islamisten Märsche im ganzen Land angekündigt. Bereits zuvor zogen sie in zahlreichen Provinzen durch die Straßen. Die Sicherheitskräfte töteten mindestens drei Demonstranten südlich von Kairo. Ahmed Rami, selbst kein Muslimbruder, aber mit guten Kontakten zur Gruppe, sagt: "Was auch immer passiert, die Regierung beschuldigt die Muslimbruderschaft. Jeder, der dem Land Böses wünscht, kann ein Attentat verüben und die Muslimbrüder beschuldigen. Nur Gott weiß, wer wirklich dahinter steckt."
Auch zahlreiche säkular orientierte Ägypter äußerten sich kritisch zum Vorgehen der Regierung. Auf sozialen Netzwerken forderten einige den Rücktritt des Innenministers Ibrahim. Dieser hatte vor wenigen Tagen versprochen, die Sicherheitsvorkehrungen rund um den Jahrestag der Revolution noch einmal zu erhöhen. Nun muss sich sein Ministerium die unbequeme Frage gefallen lassen, ob es die Lage in Kairo noch im Griff hat.