Im Gespräch: Rosa von Praunheim
26. Januar 2020Als eine Art "Todes-Oscar" bezeichnet er spöttisch, doch liebevoll, die Auszeichnung, die er gerade in Saarbrücken bekommen hat: Ein Preis fürs Lebenswerk - verliehen wurde sie dem 77-jährigen bei Deutschlands wichtigstem Nachwuchsfilmfestival, dem "Max Ophüls Preis". Rosa von Praunheim fühlt sich noch höchst lebendig, "Todes-Oscar", das ist aus seinem Munde dann auch nicht böse gemeint. Es trifft aber wohl ganz gut, wofür der Regisseur auch steht: Witz und Schlagfertigkeit, Unkonventionalität und Selbstbewusstsein.
Seit 50 Jahren dreht Rosa von Praunheim Filme
Rosa von Praunheim ist Deutschlands bekanntester "schwuler Filmregisseur", seit einem halben Jahrhundert im Filmgeschäft - und im Bewusstsein der meisten kulturinteressierten Deutschen fest verankert. Das Etikett "Schwuler Filmregisseur" sieht er als Auszeichnung: "Ich glaube, dass ich weltweit der bin, der am meisten zu schwulen Themen Filme gemacht hat, auch zu schwul-lesbischen, auch zu Trans-Themen." Von Praunheim weist auf die rund 150 Filme hin, die er gedreht hat. Eine erstaunliche Zahl, auf die er "sehr stolz" sei.
Geboren wurde er als Holger Radtke 1942 in einem Gefängnis in Riga. Seine Mutter starb kurz nach Kriegsende in einer Berliner Heilanstalt. Der Junge wurde adoptiert, erst im Jahr 2000 erfuhr er davon, noch später vom Schicksal seiner leiblichen Mutter. Auch darüber, wie über so viele andere persönliche Dinge in seinem Leben, hat Rosa von Praunheim Filme gedreht.
Den Künstlernamen legte er sich später zu: "Rosa" soll an den "rosa Winkel" erinnern, den die Nationalsozialisten Homosexuellen in den Lagern aufnähen ließen, "Praunheim" an einen Stadtteil in Frankfurt, in dem der Regisseur lebte.
Mit Filmen über sein Leben wurde Rosa von Praunheim bekannt. Dabei war das Filmemachen ursprünglich gar nicht sein allererstes Ziel: "Ich habe Malerei studiert und male immer noch, mache immer noch Ausstellungen, das ist ein Standbein. Ich habe geschrieben, ich schreibe auch immer noch, schreibe sehr gern Gedichte, arbeite gerade an einem Roman, schreibe Theaterstücke, und Film kam dann irgendwann dazu."
Filme über das Schwul-Sein in Deutschland
Als Regisseur wurde er zu Beginn der 1970er Jahre bekannt. Neben Rainer Werner Fassbinder wurde er der bedeutendste schwule Filmregisseur Deutschlands. Noch stärker als bei Fassbinder stand das Thema Homosexualität von Anfang an im künstlerischen Schaffenszentrum. Die Filme "Die Bettwurst" und "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" (beide 1971) waren für das deutsche Kino, aber auch für eine breitere Öffentlichkeit, Fanale des Aufbruchs.
In der Zeit nach dem gesellschaftlichen Umbruchsjahr 1968 brachte Rosa von Praunheim das Thema Homosexualität mitten hinein in die Gesellschaft, auf seine ganz spezielle Art und Weise: radikal und spontihaft, unkonventionell und ohne Tabus. Das stieß im bürgerlichen Teil der Öffentlichkeit natürlich auf große Vorbehalte, innerhalb der Schwulen-Szene dagegen wurde von Praunheim schnell und dauerhaft zu einer Leitfigur.
Rosa von Praunheim engagiert sich für den filmischen Nachwuchs
In Saarbrücken hat er jetzt nicht nur den Preis fürs Lebenswerk entgegengenommen, sondern auch eine Masterclass für den Nachwuchs gegeben, eine Arbeit, die ihm großen Spaß macht. Von Praunheim verweist im DW-Gespräch auf seine Professur für Regie in Babelsberg und seine zahlreichen Lehrtätigkeiten im In- und Ausland.
In die jungen Leute, die in Saarbrücken beim Festival ihre ersten Arbeiten präsentieren, kann er sich deshalb gut hineinversetzen: "Jeder hat andere Probleme, und keiner weiß natürlich, wie die Zukunft ist und ob das mal ein Beruf wird, aber die ersten Schritte sind da, das ist sehr vielfältig hier - und das erinnert einen natürlich auch an eigene Anfänge."
Was braucht man heute, wenn man Regisseur werden will? Was gibt er den jungen Leuten mit auf den Weg? "Ich hab ein Buch geschrieben, 'Wie wird man reich und berühmt?', das habe ich aus meinen Erfahrungen geschrieben als Dozent, da habe ich viele Anregungen drin", erzählt Rosa von Praunheim: "Da gehört natürlich Disziplin dazu, auch, dass man mit Leidenschaft dahintersteht und - es geht nicht von alleine: Man kann nicht nur einfach da sitzen und dann wird man berühmt. Man muss sich schon ständig beschäftigen mit dem Medium, Spaß haben zu drehen, man muss seiner Phantasie freien Lauf lassen. Heute kann man ja mit Digital-Kameras sehr billig drehen."
Von Praunheim vermisst in der Filmszene den Mut zum Experiment
Rosa von Praunheim ist stets gewechselt zwischen den filmischen Formen und Formaten, er hat Spiel- und Dokumentarfilme gedreht, filmische Essays und viel Experimentelles. Auf die Frage nach Veränderungen beim Filmemachen in den letzten Jahrzehnten, verweist er auf den großen Einschnitt Mitte der 1980er Jahre: "Mit dem Privatfernsehen hat sich sehr, sehr Vieles kommerzialisiert." Die öffentlich-rechtlichen Sender schielten seitdem sehr auf die Quote.
Heute müsse alles "viel publikumsfreundlicher" sein. Für die Filmemacher sei das "eine große Hürde, weil man nicht mehr so experimentieren kann." Die Filme seien heute "nicht mehr so radikal, man wünscht sich manchmal mehr Opposition, mehr Wut." Da habe auch er sich umstellen müssen. Rosa von Praunheim hat das geschafft, hat weiter unermüdlich Film für Film gedreht, fürs Fernsehen und fürs Kino, vieles auch am Rande der offiziellen Film-Szene.
Starke Frauenfiguren haben den Regisseur von Praunheim immer gereizt
Und welche Themen haben ihn gereizt? Natürlich Homosexualität, aber auch immer wieder Porträts starker Frauen: "Für einen schwulen Mann ist es eine starke Identifikation, mit starken Frauen zu arbeiten, da kann man sich gut rein versetzen."
Starke Frauen hätten "viel mehr Freiheiten, durch ihre Kleidung, durch ihr Make-Up." Sie hätten eine größere Ausstrahlung, dürften auch Gefühle zeigen. Bei Männern wäre das lange "nicht so angesagt in der Gesellschaft: Bei Männern hatte ich immer ein bisschen Angst, Saufen, Fußball- und Kriegsspiele und so…." Das habe sich aber inzwischen auch geändert, gibt Rosa von Praunheim zu, "weil sich das Männerbild ja auch verändert hat."
Nach Saarbrücken hat er dann auch seinen neuen Film mitgebracht, ein "Männer-Thema": "Darkroom" ist eine düstere Männergeschichte: Erzählt wird vom Fall eines schwulen Serienmörders, der sich so vor ein paar Jahren in Saarbrücken abgespielt hat. Und auch hier bricht von Praunheim mit Tabus: "Nach 50 Jahren Emanzipation kann man sich ja mal leisten, einen sogenannten bösen Schwulen zu zeigen."
Rosa von Praunheim hat noch viel vor. Mit 77 Jahren denkt er noch lange nicht ans Aufhören. Filmemachen, Schreiben, Malen - Rosa von Praunheim steckt voller Pläne und Projekte. Und so sieht er den Preis fürs Lebenswerk auch nur als Zwischenstation.