Viele Tote bei Polizeirazzia in Rio de Janeiro
22. Juli 2022Bei einem Polizeieinsatz in einem Armenviertel der brasilianischen Millionenstadt Rio de Janeiro sind mindestens 18 Menschen getötet worden. Ein Polizeisprecher sagte, es handele sich um 16 mutmaßliche Mitglieder krimineller Banden, eine 50-jährige Anwohnerin und einen Polizisten. Andere Quellen sprachen sogar von 20 Toten bei der Razzia in der Favela Complexo do Alemão im Norden von Rio.
Die Polizei war nach eigenen Angaben mit fast 400 Beamten in das Armenviertel eingerückt, um eine Bande zu fassen, die Fahrzeuge und Banken ausraubt. Demnach waren auch Panzerfahrzeuge und Hubschrauber im Einsatz. Spezialeinsatzkommandos und Kriminelle hätten sich heftige Feuergefechte geliefert; die Beamten seien mit militärischen Taktiken angegriffen worden. Zudem hätten die Bandenmitglieder Anwohner als Schutzschilde missbraucht.
Schwere Vorwürfe gegen die Sicherheitskräfte
Zeugen wiederum erhoben schwere Vorwürfe gegen die Polizei. Der Freund der getöteten 50-Jährigen sagte dem Nachrichtenportal "G1", er sei mit ihr in einem Auto unterwegs gewesen. "An einer Ampel stand ein Polizist, wir haben angehalten", so Denilson Glória. "Sie haben dennoch auf das Auto geschossen." Seine Freundin sei auf ihn gekippt. "Als ich geschaut habe, hatte sie ein Loch in der Brust." Die Polizei kündigte eine Untersuchung zum Tod der Frau an.
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro betrauerte zunächst nur den im Einsatz getöteten Polizisten und äußerte sich nicht zu den anderen Toten. "Er starb bei einer Konfrontation mit Banditen", erklärte der Rechtsaußen-Politiker, der im Kampf gegen das Verbrechen auf eine harte Linie setzt.
Ringen um die Vorherrschaft im Drogengeschäft
Die Polizei führt regelmäßig gewaltsame Razzien in Rios Armenvierteln durch, die als Rückzugsorte für Drogengangs und andere kriminelle Banden bekannt sind. Erst im Mai wurden bei einem Einsatz in der Favela Vila Cruzeiro mindestens 24 Menschen getötet. Im vergangenen Jahr waren bei dem gewaltsamsten Polizeieinsatz in der Geschichte der Stadt in der Favela Jacarezinho nach aktuellen Zahlen mindestens 28 mutmaßliche Mitglieder von Drogengangs getötet worden. In den Favelas ringen mächtige Banden um die Vorherrschaft im Rauschgifthandel und bei der Schutzgelderpressung.
Menschenrechtsaktivisten erheben immer wieder schwere Anschuldigungen gegen die Polizei. Sie werfen ihr unter anderem die außergerichtliche Hinrichtung von Verdächtigen vor. Das oberste brasilianische Gericht verpflichtete den Bundesstaat Rio de Janeiro in diesem Jahr, einen Plan vorzulegen, wie die Zahl der Toten bei Polizeieinsätzen gesenkt werden kann. 2021 betrug sie laut dem Projekt Monitor da Violência (Gewalt-Monitor) 1356 - mehr als in jedem anderen Bundesstaat des südamerikanischen Landes. Ein daraufhin vorgelegtes Papier bleibt in den Augen von Kritikern zu unverbindlich.
jj/sti (dpa, afp)