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Viel Lärm mit Nichts

Andreas Leixnering19. Juli 2004

Menschen, die sich rhythmisch auf Bühnenbrettern winden, zertrümmerte Instrumente aus Luft, tobende Zuschauer und eine Menge Bier. Wie in Berlin der erste Deutsche Meister im Luftgitarrenspiel gekürt wurde.

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Der gekonnte Griff ins Leere: Die Deutsche Meisterschaft im Luftgitarre spielenBild: Leixnering
Es ist brechend voll in der Knorre. 200 Leute sitzen, stehen und kauern dicht an dicht in dem Berliner Kulturhaus mit Kneipenflair. Die skandalerpichte Meute will Schweiß und Leidenschaft sehen, beim ersten deutschen Wettbewerb in der Kunst, möglichst beeindruckend auf einer nicht vorhandenen Gitarre zu spielen. Der Sieger bekommt eine Luftmatratze. Und ein Flugticket nach Finnland, wo er Ende August Deutschland bei der inzwischen neunten Luftgitarrenweltmeisterschaft vertreten darf. 14 Luftgitarristen wollen sich nacheinander auf die
Deutsche Meisterschaft im Luftgitarrespielen, Mark Böhmer
Mark Böhmer sieht sich als sicheren SiegerBild: Leixnering
winzige Bühne wagen, um Jury wie Publikum zu begeistern. "Ich werde gewinnen, ganz klar", sagt Mark Böhmer, 29, extra aus Hannover angereist. Eigentlich spielt der Student Schlagzeug. Aber für die Meisterschaft habe er sich für eine "zweischwänzige Gitarre" entschieden, auf der er oben akustisch und unten elektrisch spielen könne. Monatelang habe er trainiert: Laufen, Fingerübungen und Bizepstraining. Die eigentliche Performance will er recht spontan halten, "bis auf zwei, drei kleine Eckpunkte, die ich natürlich im Programm drin habe. Ansonsten guck ich, was auf der Bühne abgeht. Wie die Luft da oben ist." Spielen Drogen in der Szene eine Rolle? "'Ne ganz Große. Ich darf darüber jetzt nichts weiter erzählen, aber es ist schon klar, dass man ein, zwei Bierchen vorher trinken muss." Eine starke Untertreibung, wie sich zeigen wird.

Klampfen für den Weltfrieden

Vor der Show wird Veranstalterin Friedericke van Meer von den Mikros der Journalisten verfolgt. Vor einem halben Jahr hat die Transsexuelle die German Air Guitar Federation mit Freunden gegründet. "Ich kam zufällig auf die Weltverbandsseite und war sehr begeistert, was ich da gesehen habe; insbesondere, dass Luftgitarre spielen dem Weltfrieden dient. Sehr interessant finde ich den Mix zwischen Ernsthaftigkeit und Selbstironie. Das habe ich so in dieser Mischung woanders noch nicht gefunden."

Ein Moderator im Nadelstreifenanzug aus Samt und rosa Rüschenhemd weist das ungeduldige Publikum in Regeln und Historie des Luftgitarrenspiels ein. 60 Sekunden lang können die Teilnehmer überzeugen, in Kür und Pflicht. "Es entscheidet der künstlerische Gesamteindruck, die Optik, die technischen Fähigkeiten, das Lied, alles. Ihr könnt natürlich auch die Jury beeinflussen durch euren Applaus." Die dreiköpfige Jury wertet mit Punkten zwischen 4,0 und 6,0 und besteht aus deutschen Musikern, die ihre beste Zeit schon hinter sich haben.

14 Luftgitarristen geben alles

Nach dem kurzen Auftritt einer Band mit echter Gitarre ist es endlich soweit. "Hell Sinki", der erste Luftgitarrist betritt die Bühne mit einer Flasche Bier in der Hand, leert sie in betont langsamen Zügen und legt los. Zu markigen Rock'n Roll-Riffs malträtiert der Endzwanziger mit Oasis-Frisur sein imaginäres Instrument, haut unrhythmisch in die imaginären Saiten, springt in die Luft und landet unsanft auf dem Boden. Zum Ende der Performance fällt er von der Bühnekante. Das Publikum johlt. Die Jury ist knauserig mit ihren Punkten: 5,7, 5,5, und 5,4.

Deutsche Meisterschaft im Luftgitarrespielen
Auch ein beinhartes Publikum lässt sich begeisternBild: Leixnering

Auf amüsante folgen peinliche Darbietungen. "Echodrive", ein älteres Semester, hüpft unbeholfen zu Pink Floyd über die Bühne. Ein Hornbebrillter in Unterhemd und roter Badehose fummelt fast den ganzen Auftritt lang an seinem Phantasie-Verstärker, der ständig Störgeräusche von sich gibt.

Aber es gibt auch Glanzlichter. Der junge Japaner Hiro wird zum Zuschauerliebling. Gekleidet mit Krawatte, Bügelfaltenhose und Designerbrille verzieht er beim Spiel ekstatisch sein Gesicht, dreht dann dem Publikum den Rücken zu und wackelt mit dem Hintern. Als er sich schließlich mit seiner virtuellen Klampfe auf dem Boden windet, hat er die Menge in der Hand. BHs und Handtücher fliegen auf die Bühne. Die Jury entscheidet sich für eine mittelmäßige Bewertung, dafür hagelt es Buh-Rufe.

Deutsche Meisterschaft im Luftgitarrespielen, Hiro
Der Japaner Hiro ist der Star bei den ZuschauernBild: Leixnering

Dann ist Mark Böhmer dran, der selbstbewusste Hannoveraner. Er hat einen Roadie dabei, der noch schnell das Instrument stimmt. Im Muskelshirt rockt Mark breitbeinig zu "Delay Nuclear" von The Hives. Selbstbewusst drischt er auf sein Instrument ein, wirbelt über die Bühne und geht in die Knie. Eine kraftvolle Performance, aber die Menge ist nicht leicht zu befriedigen. "Deine Eltern sind Geschwister!", ruft ihm jemand zu. Dreimal eine 5,7 gibt es von den Punktrichtern, das ist nicht schlecht, reicht aber nicht. "Es ist ein bisschen blöd gelaufen. Ich hätte gedacht, dass die Jury mehr auf stilistische Sachen oder auf Kreativität achtet. Ich hatte eher das Gefühl, dass denen eher Aussehen und Spaßfaktor wichtig waren." Dann lacht er aber schnell wieder: "Das nächste mal weiß ich, dass ich vorher nichts trinken darf. Wenn man vergisst, wie der eigene Song weitergeht …"

Meisterschaft im Luftgitarrespielen, Mark Böhmer
Mark Böhmer gibt allesBild: Leixnering

Der Sieger kam zufällig vorbei

Ein Kandidat hat sich erst vor Ort entschieden mitzumachen. Ingo Schulz, 33, aus Berlin, wusste nicht so recht wohin. Weil er keine Lust auf Techno oder House hatte, ging er alleine in die Knorre. Eigentlich wollte der kaufmännische Angestellte nur zuschauen. Aber dann dachte er: "Was soll's?", wünschte sich AC/DC und schnappte sich die Klampfe. In Jeans und Karohemd macht er den Angus Young, liebkost sein Luftinstrument mit der Zunge, schlägt und zupft ganz in sich versunken die Saiten. Eine Ausnahme-Performance: puristisch, ehrlich, ohne Schnickschnack. Schulz wird von der Jury zum Deutschen Meister gekrönt, die Zuschauer haben diesmal keine Einwände. "Wenn ich Songs von AC/DC spiele, habe ich das Gefühl, die zehn Meter, die ich von Angus Young beim letzten Berliner Konzert entfernt war, sind wieder ganz nahe. Das gibt mir das Gefühl, jetzt lebt wieder die Musik und zwar nur für mich alleine. Wenn es dem Publikum gefällt, umso besser." Dass er im August als Deutsche Hoffnung zur Weltmeisterschaft fliegen wird, nimmt er noch recht gelassen. "Ich werde auf jeden Fall wieder AC/DC machen. Ob es dasselbe Lied ist, weiß ich noch nicht. Auf zum Weltfrieden nach Finnland!"

Ingo Schulz kitzelt seine Luftgitarre
Filigraner Hardrocker: Der Deutsche Meister Ingo SchulzBild: Leixnering