Viel Geld nach Athen tragen
18. Mai 2016"Der Schuldenschnitt ist Kernvoraussetzung für den IWF, sich am dritten Hilfspaket für Griechenland zu beteiligen", sagt Jörg Rocholl, Präsident der privaten Wirtschafts- und Management-Hochschule ESMT in Berlin. "Der IWF hat sich so klar positioniert, dass ich es für unwahrscheinlich halte, dass er dabei bliebe, ohne dass es einen Schuldenschnitt gibt."
Der Countdown läuft: Beim nächsten EU-Finanzministertreffen am 24. Mai in Brüssel soll darüber entschieden werden, ob die Reformanstrengungen in Athen erfolgreich genug waren, damit die nächste Tranche aus dem 86 Milliarden Euro schweren dritten Hilfspaket ausgezahlt werden kann. Der IWF hat sich bis jetzt noch nicht daran beteiligt.
IWF unter Druck
Griechenlandexperte Jörg Rocholl weiß, warum. Denn ein Schuldenschnitt, wie ihn der IWF nun erneut gefordert hat, verringert auch das Risiko eines Zahlungsausfalls. "Die Kritik am Verhalten des IWF in Griechenland ist sehr groß geworden, insbesondere bei Entwicklungsländern", sagt er. Man werfe dem Fonds vor, dass er in Athen viel mehr Risiken eingegangen ist als in anderen Ländern.
Rocholl hat in einer im Mai veröffentlichten Studie mit dem Titel "Where did the Greek bailout money go?" (Wohin sind die Gelder zur Rettung Griechenlands geflossen?) die Verwendung der Milliardenkredite an Griechenland nachgezeichnet. Ergebnis: Weniger als fünf Prozent dienten zur Finanzierung staatlicher Aufgaben. Rund 80 Prozent der Gelder flossen in die Rückzahlung von Schulden, die Begleichung von Zinsforderungen und in die Rekapitalisierung von Banken.
Es ist paradox: Während der IWF in vielen Ländern in Lateinamerika, Afrika und Asien noch immer als gnadenloser Gläubiger gilt, der Sparpakete und sogenannte Strukturanpassungsprogramme ohne Rücksicht auf die sozialen Folgen im Land durchzieht, drängt der Fonds für Griechenland auf einen Schuldenerlass.
65 Jahre Zahlungsaufschub
Nach einem Bericht des "Wall Street Journals" vom 17. Mai hat der IWF der Eurogruppe vorgeschlagen, Hilfskredite in Höhe von 200 Milliarden Euro für Athen bereitzustellen, die bis 2040 zins- und tilgungsfrei sein sollen. Einige Kredite sollen sogar erst im Jahr 2080 fällig werden.
"Der IWF gehört in der griechischen Krise zu den Stimmen der Vernunft", lobt Jürgen Kaiser, Koordinator des entwicklungspolitischen Bündnisses "Erlassjahr.de". Der Schuldenexperte, der im Jahr 2000 für einen Schuldenerlass der ärmsten Entwicklungsländer kämpfte, vermutet allerdings, dass der IWF in erster Linie um seine eigene Sicherheit besorgt ist.
"Der Fonds hat Angst um sein eigenes Geld und will nicht selber bluten", sagt Schuldenexperte Kaiser. Entsprechend groß sei der Druck von den IWF-Anteilseignern. Insbesondere aus China, Brasilien und der Schweiz komme Kritik.
Kaiser spricht aus, was mittlerweile die meisten Experten, und auch der IWF, zugeben: Hätten die Gläubiger zu Beginn der Krise in Griechenland einen Schuldenschnitt gewährt, wäre diese zu bewältigen gewesen. Kaiser: "Die Folgen dieser Fehlentscheidung werden immer absurder und immer teurer."
Stunden statt streichen?
Die Fehler der Gläubiger und die ausgebliebenen Strukturreformen in Griechenland haben nun Brüssel und Berlin in eine tragische Lage gebracht. Auf der einen Seite braucht man den IWF zur Lösung der griechischen Schuldenkrise. Auf der anderen Seite lehnt man seinen Lösungsvorschlag, den Schuldenschnitt, ab. Spätestens bis Ende Juni muss eine Lösung gefunden werden, denn dann wird die nächste Rückzahlung der Kredite für Athen fällig.
"Das Ziel wird sein, sich auf einen Schuldenschnitt zu einigen, der entweder Zinssätze verringert oder Laufzeiten verlängert oder beides zusammen", prognostiziert Jörg Rocholl. Doch er gibt zu bedenken, dass die Wirkung eines Schuldenschnitts verpufft, wenn nicht die öffentliche Verwaltung effizienter und die Steuerflucht bekämpft werde. Rocholl: "Die Ursachen des Problems liegen in Griechenland."