"3. Amtszeit für Xi wahrscheinlich"
9. August 2017DW: Welche Spitzenfunktionäre haben die besten Aussichten, auf dem 19. KPCh-Parteitag einen der freiwerdenden Posten im aus sieben Mitgliedern bestehenden Ständigen Ausschuss des Politbüros zu besetzen? Wer könnte als Nachfolger von Xi Jinping im Jahr 2022 aufgebaut werden?
Victor Shih: Sicherlich müssen dies Vertrauenspersonen von Xi Jinping sein. Sun Zhengcai, der gestürzte KP-Chef von Chongqing, war nicht eine dieser Vertrauenspersonen. Trotzdem hatten viele ihn bereits als aussichtsreichen Kandidaten für einen Posten im Ständigen Ausschuss gesehen, und sogar als möglichen Nachfolger Xis. Ich war nicht dieser Ansicht, aber dass er so abserviert wurde und dass gegen ihn wegen Vergehen gegen Parteistatuten ermittelt wird, hat mich überrascht.
Ich hätte gedacht, dass man ihn auf einen Posten ohne Macht, in den Volkskongress oder die Politische Konsultativkonferenz, abschieben würde. Auch der ebenfalls 53 Jahre junge Hu Chunhua, der ebenfalls als Anwärter auf einen Sitz im innersten Machtzirkel gilt, scheint mir ein Wackelkandidat zu sein.
Mit quantitativen Methoden untersuchen Sie die Bildung von Seilschaften im kommunistischen China. Wie sehen die Dinge für Xi aus? Hat er die nötige Mehrheit hinter sich?
Wir haben die 125 wichtigsten Positionen im Partei- und Staatsapparat identifiziert, wie zum Beispiel KP-Chefs und Gouverneure der Provinzen, Befehlshaber der Streitkräfte, Minister und so weiter. Vor dem 18. Parteitag, auf dem Xi zum Nachfolger von Hu Jintao gewählt worden war, waren etwas mehr als 20 solcher Posten von Vertrauenspersonen Hu Jintaos besetzt. Von Xis Leuten waren es etwa ein Dutzend.
Nach dem 18. Parteitag konnte Xi seine Gefolgschaft ausbauen, denn Hus Leute schieden altersbedingt aus, manche wurden geschasst. Aber der größte Gewinner ist überraschenderweise nicht Xi selbst, sondern sein Vertrauter und ständiges Mitglied im Politbüro Wang Qishan. Dieser verstand es, seine eigenen Leute im Zuge der von ihm geleiteten Kampagne gegen Korruption auf entscheidende Posten zu bringen.
Wang wird dieses Jahr 69 Jahre alt und überschreitet damit die ungeschriebene Altersobergrenze von 68 Jahren für Spitzenkader der KPCh. Glauben Sie, dass Wang noch weiter im Amt bleibt?
Das ist schwer zu sagen. Das ist ein großes Rätsel. Ich tippe darauf, dass er bleibt.
Warum?
Wang hat dafür gesorgt, dass für eine Reihe von Spitzenfunktionären die Karriere zu Ende war und sich damit unbeliebt gemacht. Als einen seinen Vertrauten will Xi Jinping ihn schützen. Der beste Schutz ist, ihn weiter im Ständigen Ausschuss zu behalten. Sollte das nicht möglich sein, könnte Xi ihm den Vorsitz im Nationalen Volkskongress oder in der Politischen Konsultativkonferenz Präsident besorgen.
Schon vor einem Jahr haben Sie die These aufgestellt, Xi Jinping werde nach dem 20. Parteitag 2022 weiter Generalsekretär der KPCh bleiben. Bleiben Sie immer noch bei dieser Vorhersage?
Definitiv! Es sieht jetzt so aus, dass er eine dritte Amtszeit antreten wird. Im Moment ist kein Nachfolger in Sicht. Er wird auch nicht aktiv Nachwuchspolitiker fördern, in seinem eigenen Interesse. Eine Chance als Nachfolger hat allenfalls der neu ernannte KP-Chef von Chongqing, Chen Min'er, als Kern der nächsten Führungsgeneration. Er kennt Xi jahrzehntelang und konnte Erfahrungen in einigen Provinzen als KP-Chef sammeln.
Jedoch setze die Partei bei der Auswahl des Nachfolgers auf "experientia maximus" (höchste Erfahrungen), machen die Staatsmedien schon jetzt klar. Im Moment sieht so aus, dass nur Xi diese höchsten Erfahrungen verkörpert und deshalb vielleicht auch nach 2022 im Amt bleiben wird.
Das Interview führt Ju Juan.
Chinaexperte Victor Shih ist Visiting Scholar am MERICS Institut in Berlin und Juniorprofessor an der University of California, San Diego.