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Verzweiflung auf Lesbos

5. April 2016

Auch die letzten Migranten, die noch nicht im geschlossenen Lager sind, sollen dort hin gebracht werden. Sie wollen es nicht. Manche drohen mit Selbstmord. Von Lesbos berichtet Panagiotis Kouparanis.

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Griechenland Migranten-Camp in der Nähe des Hafens von Mytilini auf Lesbos. Foto: Kouparanis
Flüchtlingscamp in der Nähe des Hafens MytiliniBild: DW/P. Kouparanis

Obwohl jeder Sechste auf Lesbos ein Migrant oder Flüchtling ist, sind sie aus dem Inselbild verschwunden. Noch bis vor zwei Wochen, waren sie überall zu sehen. Alles änderte sich als das EU-Türkei Abkommen am 20. März in Kraft trat. Seitdem wurden die Miganten und Flüchtlinge, die vor diesem Stichtag angekommen waren, auf das Festland transportiert. Die Neuankömmlinge werden - kaum von den Booten ausgestiegen - mit dem Polizeibus direkt ins geschlossene Lager Moria gebracht.

Keiner weiß Bescheid

Aber es gibt sie noch, die Migranten, die sich mehr oder weniger frei bewegen können. Einen halben Kilometer oberhalb des Hafens von Mytilini ist seit letztem November ein Camp entstanden. Rund 250 Menschen wohnen hier in Zelten – vorwiegend junge Männer aus Pakistan. Hilfsorganisationen versorgen sie mit dem Nötigsten, die Aktivistenengruppe "No Border Kitchen" betreibt eine – wie man betont - vegane Küche. Bislang wurden die Migranten von der Polizei und den Behörden in Ruhe gelassen. Aber es ist dennoch offensichtlich, dass die Menschen im Camp dem Ganzen nicht trauen. Außerhalb des Camps laufen sie nur das kurze Stück der Straße bis zum Hafenzaun – nicht weiter. Zu groß ist die Angst, dass sie von der Polizei aufgegriffen und nach Moria gebracht werden.

Jetzt haben ihre Ängste neue Nahrung bekommen. Der Bürgermeister der Inselhauptstadt Mytilini will das Camp räumen lassen. Schuld daran ist das gute Wetter. Bei mittlerweile 24 Grad Celsius fangen immer mehr Menschen an, im Meer schwimmen zu gehen. Und da stören die Zelte der Migranten. Sie befinden sich auf einem Teil des Geländes der kommunalen Badestelle Tsamakia. Letzte Woche waren zwei Flüchtlingshelfer und ein Rechtsanwalt beim Bürgermeister. Der Deal sieht so aus, dass man bis zu diesem Mittwoch eine Frist bekommen hat, um das Lager zu räumen. Mit Unterschrift und Amtsstempel hat der Bürgermeister schriftlich versprochen, dass bis dahin keine Polizei auf dem Camp erscheinen wird. Und danach? Der Sprecher des Bürgermeisters erklärt, man werde Busse hinschicken und die Menschen in das von der Kommune betriebene offene Aufenthaltslager Kara Tepe bringen. Aber natürlich müssten die Migranten vorher zur Anmeldestelle der Insel, die nun Mal im Lager Moria ist. Könnte es aber nicht sein, dass man sie gleich dort behalte oder vielleicht auch auf auf das Festland bringt? Das könne er nicht sagen. Die Migrations- und Asylbehörden unterstehen nicht der Kommune.

Griechenland Migranten im Flüchtlingslager von Tsamakia auf Lesbos. Foto: Kouparanis, DW
Migranten im Flüchtlingslager von Tsamakia auf Lesbos versuchen an Informationen heranzukommenBild: DW/P. Kouparanis

Angst und Selbsmordabsichten

Auch Joe Acrosan zuckt mit den Schultern. Er wisse nicht, was mit den Migranten von Tsamakia nach dem 6. April geschehen wird: "Das ist Flüchtlingsschicksal", sagt er fast emotionslos. Er sei Sprachlehrer für Englisch und Spanisch in Seattle und mache seit sechs Wochen Flüchtlingsarbeit auf Lesbos. Er war beim Treffen mit dem Bürgermeister dabei. Danach habe man alle im Camp über das Verhandlungsergebnis informiert. Seitdem herrscht Ratlosigkeit. "Was sollen wird tun, außer Angst haben", sagt Ahmed in einem mehr als passablem Griechisch. Sieben Jahre hatte er in Griechenland gearbeitet, war sozial versichert. 2014 ist er nach Pakistan zurückgekehrt, hat geheiratet, eine Tochter bekommen. Die Lage dort war für ihn unsicher geworden. Deshalb hat er sich wieder auf dem Weg nach Griechenland gemacht. Sein Ziel war Athen. Da komme er nicht mehr hin. Mittlerweile haben die Behörden den Reisebüros auf den Inseln verboten, Schifftickets an Migranten und Flüchtlinge zu verkaufen. Er sei zwar vor dem 20. März gekommen, doch habe er sich erst danach in Moria registrieren lassen. Nur weil er Griechisch spricht, konnte er kurz vor das Tor des Lagers gehen und dann war er auch schon weg, mit dem was er am Leib trägt. Jetzt lebe er mit der Angst, in die Türkei verfrachtet zu werden.

Angst scheint das elementare Lebensgefül in Tsamakia zu sein. Dazu tragen auch die Nachrichten aus Moria bei. Man stehe im ständigen telefonischen Kontakt, versichern viele. Freunde berichten von Schwierigkeiten, einen Asylantrag stellen zu dürfen. Sie berichten auch darüber, dass sich Pakistaner in einem besonderen Teil des Lagers aufhalten müssen. Dorthin seien seit Montag erneut an die hundert Flüchtlinge gebracht worden, um von dort in die Türkei zurückführt zu werden. Am Sonntagabend soll sich ein junger Pakistaner, der für den Rückführungstransport vorgesehen war, die Pulsadern aufgeschnitten haben. Er kam ins Krankenhaus. Er würde auch lieber sterben, als in die Türkei zurückkehren, sagt der kaum zwanzigjährige Rehan aus Lahore. Er sei erst am 31. März auf Lesbos angekommen. Auf eine Registrierung habe er verzichtet. Er wollte sich nicht der Gefahr aussetzten, umgehend in die Türkei zurückgeführt zu werden. Um bis hierher zu gelangen, habe seine Familie fast alles was sie besaß verkauft. An die 6.000 Dollar musste er den Schleusern zahlen. Einen Monat sei er unterwegs gewesen. Immer wieder ist ihm versichert worden, man werde ihn bis nach Deutschland bringen. Wenn er gewusst hätte, dass die Grenzen geschlossen sind, dann hätte er sich nicht auf dem Weg gemacht.

Der Strom der Flüchtlinge nach Lesbos reist nicht ab. Am Dienstagmorgen informiert die Polizei, dass in den letzten 24 Stunden 187 Migranten nach Lesbos gekommen sind. Sie wurden direkt zum Lager Moria gebracht. Auch der Student Ferhan erzählt eine ähnliche Geschichte. Fast beiläufig sagt er am Ende, entweder man werde in Europa bleiben dürfen oder man bringe sich um. Viele der Umstehenden wiederholen diese Worte.