"Verwundete Retter" in Südafrika
13. Dezember 2007Zanele war gerade mal neun Jahre alt, als sie vergewaltigt wurde. Von ihrem eigenen Stiefbruder. Seitdem trägt sie das tödliche Virus in sich. Heute ist die zierliche junge Frau 22 und will andere Kinder und Jugendliche vor einem ähnlichen Schicksal bewahren. Etwa, indem sie in so genannten "Aids-Gottesdiensten" ihre Geschichte erzählt: "Ich bin HIV-positiv – als Folge einer Vergewaltigung. Aber ich lebe mein Leben." Zaneles Motto: "Aids darf nicht bestimmen, wer ich bin."
AIDS akzeptieren, um helfen zu können
Zanele will durch ihre Predigten Lebensmut schenken. "Lasst euch nicht unterkriegen vom Virus", fordert sie ihre Zuhörerinnern und Zuhörer auf. Es ist mucksmäuschenstill in der Kirche des katholischen Kinderschutzzentrums St. Philomenas im südafrikanischen Durban. Zanele erzählt, wie der Glaube ihr Kraft gibt, offen zu ihrer Infektion zu stehen. Ihre langjährige Ersatzmutter Glenda hat oft mit ihr gebetet – und noch häufiger mit ihr gekämpft.
Bis Zanele endlich ihren Weg gefunden hatte. "Wenn du erst mal in der Lage bist, die Krankheit zu akzeptieren, statt sie zu verleugnen, dann wird es leichter." Zanele ermutigt dazu, andere über die Krankheit aufzuklären. "Viele denken ja immer noch: Wenn du HIV-positiv bist, bist du schon so gut wie tot und stirbst spätestens morgen."
Glaubwürdige Aufklärer
Junge Menschen wie Zanele räumen mit diesen und anderen Vorurteilen auf. Sie sind besonders glaubwürdige Vorkämpfer gegen Aids, erklärt Patrick Vorster. Er ist Leiter des Kinderschutzzentrums, das auch vom katholischen Hilfswerk missio aus Deutschland unterstützt wird. In seinem Stress- und Trauma-Programm konfrontiert der Theologe und Sozialarbeiter die infizierten Kinder und Jugendlichen immer wieder mit ihren schlimmen Erlebnissen: "Wir sagen Ihnen: Ihr seid verletzt worden, schlimme Dinge sind in euerem Leben passiert – doch ihr sollt genau diese Verwundungen dazu nutzen, anderen zu helfen." So könnten die Kinder und Jugendlichen zu "Verwundeten Rettern" werden.
Die Ignoranz ist groß in Südafrika, beklagt Vorster. Und macht das Land am Kap der Guten Hoffnung für viele zum Kap ohne Hoffnung. Doch wer Zanele und ihren Mitstreitern zuhört, lernt schnell, dass man Aids nicht beim Händeschütteln bekommt und dass weder ausgiebiges Duschen noch Sex mit einer Jungfrau das Virus vertreiben können.
AIDS-Aufklärung im Comic
Auch der 15-jährige Gabriel ist auf dem Weg zum "wounded healer". Er ist seit seiner Geburt HIV-positiv, doch das wissen bisher nur ganz wenige in seiner Umgebung. Wenn es ihm nicht gut geht, erzählt er seinen Freunden, dass er Grippe oder eine andere vorübergehende Krankheit hat. "Denn sonst würden sie nicht länger meine Freunde sein", schätzt Gabriel.
Mit anderen infizierten Jugendlichen trifft er sich immer samstags in St. Philomenas. Hier im geschützten Raum können sie offen reden, auch über ihre Ängste. Hier beten und singen sie zusammen, um Kraft für die neue Woche zu tanken. Und hier ist auch "Hi, Virus!" entstanden: eine Art Comic für Kinder, in dem sie verständlich erklären, was Aids bedeutet und wie man sich davor schützen kann. "Ich erzähle ihnen, dass die Welt nicht untergeht, wenn du infiziert bist. Sondern dass das Leben weitergeht, auch wenn du das Virus hast."
Ansteckung im Drogenrausch
Eine ähnliche Botschaft verkündet Zanele auf den Straßen von Durban. Hier arbeitet sie inzwischen für die Nichtregierungs-organisation "Umthombo", die sich um einen großen Teil der mehr als 7 000 Straßenkinder der Küstenstadt kümmert. Viele betteln und stehlen, die meisten schnüffeln Klebstoff. Und gerade wenn sie auf Drogen sind, denken sie nicht über Konsequenzen nach, bekennt der 14-jährige Sydney: "Wenn du auf Drogen bist, machst du dir über nichts Sorgen oder Gedanken." Safer Sex? Kondome? Alles egal.
Zanele erzählt auch hier ihre Geschichte. Wobei sie genau weiß: Ohne den Rettungsanker St. Philomenas hätte sie ebenso enden können wie ihre gestrandeten Schützlinge. Eine Reise in die eigene, lange verdrängte Vergangenheit.