Werner Herzogs neuer Film "Family Romance, LLC"
12. Juni 2020Irgendwie passt der neue Film des deutschen Regisseurs Werner Herzog gut in die neue Zeit. Im internationalen Filmbetrieb ist derzeit sehr viel aus den Fugen geraten. Die Kinos haben größtenteils noch geschlossen, erst langsam berappelt sich die Szene wieder, die so hart unter der Corona-Pandemie zu leiden hat. Neustarts: Fehlanzeige. Filmdreharbeiten: abgesagt oder unterbrochen. Festivals: ausgefallen - oder ins Internet verlegt.
Und so ist der neueste Filmstreich von Werner Herzog, "Family Romance, LLC", der seine Weltpremiere im vergangenen Jahr in Cannes abseits des Wettbewerbs feierte und seither bei kleineren Festivals zur Aufführung kam, nun bei der 20. Ausgabe des Japanischen Filmfestivals in Frankfurt, der "Nippon Connection", zu sehen (09.-14. Juni 2020) - nur online. Das Festival hat seine Aktivitäten, wie so viele andere Veranstaltungen auch, wegen der Pandemie ins Netz verlagert.
Werner Herzogs neuer Film wirkt improvisiert - aber auch künstlerisch
Warum Herzogs Film nun gerade dort gut aufgehoben scheint, hat vor allem zwei Gründe. Es ist ein Film über einen besonders originellen, für manche sicher auch abschreckenden Aspekt unserer modernen Zeit. Es geht um japanische Firmen, die Schauspieler als Familienverwandte anbieten. Der zweite Grund: "Family Romance, LLC" ist von Herzog mit wenig Geld innerhalb von zwei Wochen gedreht worden, eine Mischung aus Doku und Fiktion. Manches wirkt improvisiert und deshalb eignet sich "Family Romance, LLC" durchaus für die Betrachtung auf dem heimischen Monitor. Die große Kinoleinwand wird gar nicht so sehr vermisst.
Worum geht es? Der Weltreisende Werner Herzog, der schon auf allen Kontinenten gedreht hat, der teure Spielfilme mit Hollywood-Stars ebenso inszeniert hat wie Low-Budget-Filme im Kamikaze-Stil, der in den 1970er Jahren ein bekannter Vertreter des "Neuen Deutschen Films" war, inzwischen aber längst ein international agierender Regisseur, der zwischen Spiel-, Dokumentar- und Essayfilmen wechselt, dieser Film-Globetrotter ist in Japan auf ein Phänomen gestoßen, das ihn fasziniert hat.
Familienmitglieder mieten - "Familiy Romance" macht es möglich
Dort vermieten Firmen Schauspieler, die für unterschiedliche Zeitspannen in die Rolle von Familienmitgliedern schlüpfen. Das kann pragmatische Gründe haben, beispielsweise, um eine Familienfeier aufzubauschen, indem auf dem Foto ein paar mehr "Familienmitglieder" erscheinen. Es kann aber auch durchaus ernste Gründe haben, wenn alleinerziehende Mütter, die schon lange ohne Mann leben, ihren Kindern einen Familienvater präsentieren wollen. In Deutschland wäre solch ein simulierter Vater auf Zeit wohl eine undenkbare Sache, nicht aber in Japan.
In "Family Romance, LLC" inszeniert Werner Herzog eine Vater-Tochter-Geschichte. Aber was heißt bei diesem Regisseur schon "inszenieren"? "Family Romance" ist der authentische Name einer tatsächlich existierenden japanischen Firma, eines der großen Unternehmen mit rund 3000 Mitarbeitern. Deren Gründer und Eigentümer ist der in Tokio lebende 38-jährige Yuichi Ishii (Bild oben). Und niemand anderes als Yuichi Ishii "spielt" nun in Herzogs Film einen Schauspieler, der wiederum für die zwölfjährige Mahiro den lange verschwundenen Vater mimt.
Herzogs Kamera heftet sich auf die Fersen seiner beiden Hauptdarsteller
Der Film begleitet die beiden, in den Park, ins Einkaufszentren, in die Wohnung. Sie nähern sich am Anfang an, schließen Freundschaft, oder sollte man besser sagen: ein Familienbündnis? Und ist das Ganze nun inszeniert, ist es halbdokumentarisch - oder authentisch? Der Betrachter rätselt. Und das ist wohl auch im Sinne Werner Herzogs. Es ist genau jene schmale Linie zwischen Dokument und Fiktion, die diesen Regisseur seit jeher reizt - und auf der er sich schon so oft mit traumwandlerischer Sicherheit bewegt hat.
War ein früher Film wie "Auch Zwerge haben klein angefangen" (1970), in dem Herzog ausschließlich kleinwüchsige Menschen agieren ließ, nicht auch eine Art Doku-Fiction? Oder die wenig später entstandenen Arbeiten "Jeder für sich und Gott gegen alle" und "Stroszek" mit dem damals als "geistig zurückgeblieben" geltenden Hauptdarsteller Bruno S.? Waren das nicht auch Filme, in denen Authentisches und Fiktives zusammenflossen und die dem Zuschauer den sicheren Boden unter den Füßen wegzogen?
War nicht auch "Fitzcarraldo" eine Art Docu-Fiction?
Ebenso zählten Herzogs Filme, die sich auf die berühmt-berüchtigte Zusammenarbeit mit Klaus Kinski stützen, "Aguirre - der Zorn Gottes" ebenso wie "Fitzcarraldo", auf ihre Art zu den Werken, die nur scheinbar fiktive Geschichten erzählten, die aber in Wahrheit exakte Aufzeichnungen von wahnwitzigen Dreharbeiten waren. Und bei denen seltsame Dinge geschahen und zu sehen waren: Bei "Fitzcarraldo" etwa, wie ein riesiges Schiff über einen Andengipfel gezogen wurde - ganz ohne digitale Tricks und Special Effects.
Und kamen bei diesen Filmen mit Klaus Kinski nicht auch Darsteller zum Einsatz, deren legendäre Wutausbrüche ebenso irreal wie verspielt wirkten? Oder markierte Kinski vor Kameras nur ein Image? Die Dokumentation "Mein liebster Feind", inszeniert natürlich von Herzog selbst, geht diesem Faszinosum auf den Grund - ohne es restlos aufzulösen.
Und so darf sich der Betrachter von Werner Herzogs "Family Romance, LLC" nur einer Sache gewiss sein: Was in diesem Film wahr und was gespielt, was authentisch und inszeniert ist, das weiß wahrscheinlich nicht einmal der Meister selbst.
"Family Romance, LLC" läuft nach einigen Festivaleinsätzen in den vergangenen Monaten derzeit beim 20. Filmfestival Nippon Connection. Ein Kinostart in mehreren Ländern, u.a. Frankreich (19. August), soll noch folgen.