Verliert Obama Deutschland?
10. Juli 2014"Das ist ein Weckruf für die amerikanische Regierung, um deutlich zu machen, wie ernst die Dinge in Deutschland stehen. Diese Einsicht setzt sich zu langsam in Washington durch", sagte Michael Werz vom Center for American Progress der Deutschen Welle. Beobachter sprechen hinter vorgehaltener Hand von einer "Schockwelle", die die Berliner Ausreiseaufforderung an den höchsten CIA-Repräsentanten bei der Obama-Regierung ausgelöst habe. Man fühlt sich offensichtlich wie ein "Feindstaat" behandelt und tröstet sich allenfalls damit, dass die so empfundene Überreaktion der deutschen Bundesregierung auf den innenpolitischen Druck zurückzuführen ist, unter dem Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits seit der Enthüllungen Edward Snowdens steht.
Das offizielle Washington hüllt sich bisher noch in Schweigen und betont in allgemeinen Formulierungen, wie wichtig für die USA die enge Sicherheitspartnerschaft mit Deutschland sei. Auch auf Anfrage der Deutschen Welle weigert sich das Weiße Haus, sich konkret zu dem Fall zu äußern. Man gebe zu geheimdienstlichen Angelegenheiten keine Auskunft, heißt es. Ähnlich hat sich bereits die CIA geäußert. Die Sprecherin von Präsident Obamas Sicherheitsrat, Caitlin Haydn, teilte der Deutschen Welle lediglich mit, dass die geheimdienstliche Zusammenarbeit mit Deutschland wichtig und im Interesse beider Länder sei.
Den Ball flach halten
Es ist nicht zu erwarten, dass die US-Reaktion dramatisch ausfallen wird. Die Amerikaner wollen ganz offensichtlich die Situation beruhigen und den Ball so flach wie möglich halten. Sie gewinnen damit Zeit, um sich auf die neue Eskalationsstufe in der Auseinandersetzung mit ihrem engsten europäischen Verbündeten einzustellen und eine Position zu formulieren. Wie zu hören ist, konkurrieren innerhalb der Obama-Regierung unterschiedliche Positionen. Insbesondere im Außenministerium fürchtet man einen beträchtlichen Schaden und plädiert für mehr Zurückhaltung. Die Geheimdienstfraktion hält dagegen.
Auf jeden Fall aber ist "das Unverständnis und der Schrecken über die Handlungen in Berlin hier relativ groß", sagt Michael Werz, der über exzellente Kontakte ins Weiße Haus verfügt. Ausreiseaufforderungen an Geheimdienstmitarbeiter kenne man sonst nur aus Staaten, mit denen die USA keine freundlichen Beziehungen pflegen.
Verhältnis schlechter als während des Irakkriegs
"Die deutsche Seite hat die Situation eskaliert, das war ja so auch beabsichtigt, aber wir wissen, dass es nicht viel weiter gehen darf", warnt Werz. Das bilaterale Verhältnis sei vielleicht noch stärker angespannt, als das im Irakkrieg der Fall war. "Damals konnte man noch sagen: Bush, Cheney, Rumsfeld - das sind die bösen Amerikaner." Heute ist die Enttäuschung über Barack Obama sehr groß.
Auch aus dem Kongress kommen kritische Stimmen. "Wir müssen sicherstellen, dass der Präsident und die Regierung verstehen, wie tief das geht", sagte der demokratische Abgeordnete Tim Ryan der Deutschen Welle kurz nach Bekanntwerden des zweiten Spionagefalls. Der republikanische Abgeordnete Charlie Dent macht sich angesichts der amerikanischen Spionageaktivitäten in Deutschland "Sorgen, dass die begrenzten und knappen Geheimdienstressourcen fehlgeleitet werden, obwohl es auf der Welt wirkliche Bedrohungen gibt."
In den amerikanischen Medien finden die jüngsten Entwicklungen Beachtung, wenn auch in geringerer Intensität als in Deutschland. Der Fernsehsender CNN berichtet in seinen Hauptnachrichten, "Washington Post" und "New York Times" machen ihre Online-Ausgaben mit den Meldungen aus Deutschland auf.
Spionage - trotz Zusammenarbeit
"Die NSA-Affäre und die Spionageaktivitäten werden von den Experten in den Vereinigten Staaten als zwei Paar verschiedene Schuhe wahrgenommen", erklärt Michael Werz. Das Abhören des Telefons der Kanzlerin sei eine unentschuldbare "Dummheit" gewesen, wie das auch die frühere amerikanische Außenministerin Hillary Clinton vor einigen Tagen noch einmal in Berlin signalisiert hat. "Die Tatsache allerdings, dass Geheimdienste in Deutschland ermitteln, um im Rahmen eines sehr engen Arbeitsverhältnisses zu klären, ob die Informationen aus Deutschland auch den Tatsachen entsprechen, wird hier als ganz normal angesehen - auch unter Freunden."
Die "New York Times" stellte nüchtern fest, dass die deutsch-amerikanischen Beziehungen mit der Ausreiseaufforderung an den CIA-Repräsentanten in Berlin auf ihrem Tiefpunkt angelangt sind. Deutschlandkenner in Washington sehen das noch dramatischer: Präsident Obama sei gerade dabei, Deutschland zu verlieren.