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Verheerende Auswirkungen des zweifachen Neins

Petra Kohnen2. Juni 2005

Auch die Niederländer haben gegen den EU-Verfassungsvertrag gestimmt. Das ist schade, findet Petra Kohnen in ihrem Kommentar, denn der Vertrag sei viel besser als sein Ruf.

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War das Nein der Niederländer zur EU-Verfassung wirklich ein Nein zu Europa? Wer Volkes Stimme in den Tagen vor dem Urnengang verfolgt hat, weiß dass die Absage - genau wie die der Franzosen - mit der Verfassung an sich herzlich wenig zu tun hat. Denn der Verfassungstext ist - wie die meisten Gesetzestexte - kompliziert zu lesen. Den meisten Europäern ist deshalb leider gar nicht bewusst, dass das Verfassungswerk eine wirklich gute Grundlage für das Zusammenleben der 450 Millionen EU-Bürger ist.

Stabiler Anker

Die EU-Verfassung ist eine gute Grundlage für Frieden und Recht, Wohlstand und soziale Sicherheit in einem zusammenwachsenden Europa. Nie zuvor in der Geschichte sind die Grundrechte der Menschen im EU-Raum juristisch derart abgesichert worden. So sieht die Charta der Grundrechte die Sicherung aller Arbeitnehmerrechte vor, wie zum Beispiel das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren, zu streiken, das Recht auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt und den Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung. Sozialer Ausgleich, Sozialpflichtigkeit des Eigentums, Schutz vor Diskriminierung und Vollbeschäftigung sind in ihr fest verankert.

Gegen ein derartiges Regelwerk kann eigentlich kein Europäer etwas haben - schon gar nicht die traditionell eigentlich sehr weltoffenen Niederländer. Ihr Nein - wie auch das der Franzosen - ist allerdings Ausdruck eines weit verbreiteten Unmuts und der Angst vor Arbeitslosigkeit, sozialem Abstieg und unkontrollierter Einwanderungspolitik. Wenn ein Lette im Volvo-Werk in Schweden für nur einen Euro pro Stunde arbeitet und ein Schwede wegen dieses Lohndumpings seinen Arbeitsplatz verliert, hält er natürlich nichts mehr von einer europaweiten "offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb". Dagegen haben die europäischen Gewerkschaften in Brüssel massiv demonstriert - mit dem Erfolg, dass die betreffende Dienstleistungsrichtlinie in ihrer bisherigen Form im Papierkorb der Union gelandet ist. Allein dies zeigt, dass solche demokratischen Prozesse, wie sie gerade auch in der EU-Verfassung vorgesehen sind, durchaus Wirksamkeit haben. Ein Grund für das niederländische Nein war sicher auch die Einführung des Euro, der real vieles verteuert hat. Ein angeblich entstehender europäischer Superstaat kann dafür allerdings genauso wenig zur Rechenschaft gezogen werden, wie die Verfassung. Es war der nationale Gesetzgeber, der es versäumt hat, den niederländischen Gulden seinem Wert entsprechend umzuwandeln.

Versagen der Politik

Der Ausgang der Referenden führt klar vor Augen, dass es enorme Informationsdefizite gibt. Das gilt nicht nur für Frankreich und die Niederlande. Die verantwortlichen Politiker haben es bislang nicht vermocht, die Argumente der Euroskeptiker zu entkräften. Jetzt müssen sie vor allem für sozialen Frieden sorgen, Arbeit schaffen, Scheinselbständigkeit bekämpfen, den Bürgern die Angst vor "Überfremdung" nehmen - und ein Mindestmaß an Kenntnissen vermitteln.

In den neuen EU-Ländern zum Beispiel werden die positiven Seiten des europäischen Projekts viel deutlicher: Beim Straßenbau, bei Bildungsmaßnahmen und in der Landwirtschaft weisen Schilder, Plakate und Broschüren darauf hin, dass die EU finanziell in diesem Bereich hilft. Insbesondere Slowaken, Polen und Ungarn profitieren davon. Vielleicht hätten Schilder mit dem europäischen Sternenbanner auf französischen Äckern den Landwirten noch einmal verdeutlicht, dass sie jahrzehntelang die größten EU-Subventionsempfänger waren. Ein Ja zur EU-Verfassung hätte gerade ihnen gut angestanden.

Das Nein zur EU-Verfassung - heißt es - war nicht anti-europäisch gemeint. Es hat aber leider verheerende antieuropäische Auswirkungen. Denn es wird bereits darüber nachgedacht, ob ein in ferner Zukunft anstehender Beitritt der Türkei die EU "überdehnt". Schlimmer noch ist der Gedanke, die bereits für 2007 anvisierten Beitritte Bulgariens und Rumäniens zu verzögern oder auszusetzen. Das wäre auch ein schlechtes Signal für die Länder des ehemaligen Jugoslawiens. Die Menschen dort hoffen sehr stark auf die Unterstützung der EU. Was jetzt gefragt ist, ist eine europäische Solidarität, die auch diesen Ländern beim Aufbau einer funktionierenden Demokratie und Marktwirtschaft hilft und damit für bessere Lebensbedingungen im gesamten europäischen Raum sorgt. Das steht so übrigens sinngemäß auch in der Präambel zur EU-Verfassung.